Skip to main content

Singularity

Nimm dir die Zeit

Die Holztreppe vor Euch sieht aus, als hätte darüber ein Elefant versucht in den ersten Stock zu steigen. Statt Stufen klafft bloß ein Loch zwischen den Wänden. Endstation? Hat Euch diese russische Insel namens Katorga-12 in eine Sackgasse gelockt? Mitnichten! Ihr aktiviert das Gerät, das auf Eurem linken Handrücken klemmt. Die Entwickler haben es TMD getauft – Time Manipulating Device. Eine Art Hosentaschenzeitmaschine, mit der Ihr Eure Umgebung verändert. Chronolight, also grob übersetzt Zeitlicht, heißt das im Spiel.

Wie von Geisterhand fliegen Trümmerstücke heran, formen sich neu, setzen sich zu der verschwunden Treppe zusammen. Erstaunlich. Trotzdem wünscht Ihr Euch zuweilen, Euer Flugzeug hätte nicht über diesem Bermuda-Dreieck des Kalten Kriegs den Geist aufgegeben. Ihr fühlt Euch wie eine zum Tod verdammte Version von Marty McFly aus Zurück in die Zukunft, nur dass Ihr den Sprung in die Vergangenheit ohne Doc Brown und seinen DeLorean hinter Euch gebracht habt. Jetzt zu Hause vor dem Bildschirm hocken und ... Moment mal! Das könnt Ihr ja, ist doch alles nur ein Spiel. Also bitte zurücklehnen und genießen.

„Wir haben viele Szenen eingebaut, die 'larger than life' sind“, verrät Lee-Creel später bei einem Gespräch. Momente also, die einfach mehr bieten sollen als das echte Leben. Ich verstehe, was er meint. Der Ritt auf der Rakete vorhin war wohl einer davon. Ein anderer ist diese Ruine, die sich mittels TDM wieder in ein Gebäude verwandelt hat. Oder dieser Kran, den er bei der Präsentation auf eine Gruppe Angreifer hat stürzen lassen.

Russische Einheiten stürmen heran.

„Wir haben eine Menge Fallen entworfen, bei denen der Spieler etwas auf seine Gegner fallen lassen kann“, so Lee-Creel. „Es gibt eine Stelle, an der man ein ganzes Schiff aus dem Meer hebt und danach darüber laufen kann.“ Manchmal reißt man durch Zeitmanipulation aber auch einfach bloß ein Loch in die Wand oder lässt eine Sicherung erscheinen, mit der man den alten Öffnungs-Mechanismus einer Stahltür wieder in Gang setzt.

Die Zeit zu beeinflussen, darauf setzt Singularity. Darin glaubt Raven den großen Trumpf des Spiels. Doch das täuscht kaum darüber hinweg, dass sich das Spiel schamlos bei anderen Genre-Kollegen bedient. Nichts des Gezeigten fühlt sich wirklich neu und frisch an. Wie ein Fisch, der einen Tag zu lang in der Auslage gegammelt hat. Denn Rätsel, die sich nur lösen lassen, indem man die Zeit vor- und zurückspult, kennt man bereits zur Genüge aus Blinx oder Timeshift.

Spetsnaz-Spezialeinheiten, die sich mit Mutanten herumschlagen, haben spätestens mit S.T.A.L.K.E.R. den Reiz des Unbekannten verloren. Zeitlupen-Schießereien hat schon F.E.A.R. vor Jahren in Ego-Shootern salonfähig gemacht. Was also bietet Singularity? Nun, vielleicht einen gut abgeschmeckten Mix aus all dem. Und vielleicht reicht das sogar.

Horror-Elemente fehlen nicht.

Ich gebe zu: Ich weiß nicht so recht, was ich zum jetzigen Zeitpunkt von Singularity halten soll. Ich liebe Ego-Shooter, ich liebe übertriebene Action, ich liebe Abenteuer mit Grusel-Einlagen. Und Singularity verspricht mir jede Menge davon. Es machte während der Präsentation auch durchaus den Eindruck, als könnte man generell viel Spaß damit haben.

Aber: Singularity erfindet dabei ganz sicherlich nicht das Rad neu, setzt auf jede Menge bereits Bekanntes. Zeitlupen-Gemetzel, die Uhr vor- und zurückdrehen, gegen Mutanten in die Schlacht ziehen. Alles schon einmal erlebt, alles schon einmal gesehen. Ein Déjà-vu? Besitze ich, ohne es zu wissen, vielleicht selbst so ein Chronolight zur Zeitmanipulation wie der Held aus Singularity? Nein. Aber ich hätte gerne eins, dann würde ich die Uhr vordrehen, bis das Spiel fertig in meinem Laufwerk schnurrt - und dann könnte ich mich davon überzeugen, ob Raven vielleicht noch das eine oder andere Alleinstellungsmerkmal beigefügt hat oder sich damit begnügt, auf Altbewährtes zu setzen. Was im Grunde ja auch nicht schlecht sein muss.

Singularity soll voraussichtlich im 4. Quartal für PC, PS3 und Xbox 360 erscheinen.

Schon gelesen?