Eastward ist so von seiner Geschichte überzeugt, dass es nicht mal merkt, wie es meine Lebenszeit vergeudet
Wie viel Spiel muss in einem Videospiel sein?
Eastward ist wie Uncharted. Nur umgedreht. Das mag jetzt angesichts eines niedlichen Pixel-Look-RPGs im Vergleich zu einem High-End-Story-Shooter seltsam klingen und der Bezug ist auch etwas abstrakt. Aber er ist da. In Uncharted lauscht ihr 30 Prozent der Zeit der Story, wobei ihr lahm und linear durch die Gegend schleicht. Den Rest der Zeit verbringt ihr mit weitestgehend linearer Action in etwas, das ich ein Videospiel nennen würde. Insoweit, dass man aktiv Dinge tut und nicht nur eine Geschichte anschaut. Eastward dreht dieses Verhältnis praktisch um. Womit ich ein ganz großes Problem habe.
Einige der Fragen, die ich mir bei Eastward stellte: Wie viel Spiel muss in einem Videospiel sein? Ist es ein Spiel, wenn ich nicht wirklich spiele, aber auch keine Wahlmöglichkeiten habe, sondern eigentlich nur einen Pixel-Film in Zeitlupe ansehe? Und wie kann es sein, dass heute noch ein Spiel rauskommt, bei dem ich die Zwischensequenzen nicht abbrechen darf? Eastward hat viel, was für das kleine Game spricht, aber am Ende konnte ich nicht umhin zu sagen, dass es zu viel meiner Zeit vergeudete, als dass ich es gut in Erinnerung behalten werde.
Es beginnt schon damit, dass es nicht wirklich beginnt. Nach drei Stunden passiert endlich mal etwas Interessantes, das inhaltlich dem Ganzen zumindest eine Richtung gibt. Bis dahin nenne ich es mal freundlich die Kennenlernphase zweier Charaktere, von denen der eine, John, kein Wort sagt und stoisch alles macht, was von ihm erwartet wird. Die andere, Sam, quatscht unablässig, womit sie das Klischee des Früh-Teen-Mädchens perfekt erfüllt. Was sie auch ist, passt wohl. Packt bei ihr noch unermüdlichen Enthusiasmus und Optimismus darauf, dann ist die Charakterisierung weitestgehend abgeschlossen. Also entweder drei Sätze wie hier oder ungefähr zwei Stunden Sprechblasen, von denen jede einzelne weggedrückt werden muss. Ich kann das Game nicht mal, wenn es wieder in einen belanglosen Redefluss verfällt, in die Ecke legen und sein Ding machen lassen. Jeder noch so irrelevante Satz muss mit einem Knopfdruck quittiert werden.
Nicht, dass die Textqualität schlimm wäre, im Gegenteil. Ein paar der Zeilen sind wirklich gut, aber das geht leicht in zu viel Plattitüden verloren, von denen jede eigene ihre persönliche, einzeln wegzudrückende Sprechblase bekam. Ich schwöre, wenn ich noch einmal „John!“ wegdrücken muss... Sicher, das sind nur zwei bis drei Sekunden. Aber es läppert sich.
Eastward ist weitestgehend strikt aufgeteilt. Ihr spielt für 20 bis 30 Minuten einen sehr linearen 2D-Zelda-Style Puzzler mit ein paar cleveren Ideen und ausgezeichnetem Kampf-Flow. Wenn ich Eastward mal wirklich spiele, dann mochte ich es nicht nur, teilweise liebte ich es. Und vielleicht war mein Ärger deshalb so groß, wenn das Spiel nach ein wenig vom Guten sagte, dass es jetzt reicht und ich mal wieder eine halbe Stunde zum passiven Zuhören verdammt bin.
Das ist nicht mal das Schlimmste. Das Schlimmste ist, dass die eigentliche, sogar ganz nette Story hinter dem zu kurz kommt, was ich mal Belanglosigkeiten nenne. Ich befinde mich in einem postapokalyptischen Szenario, in dem nach drei Stunden gerade das passierte, was da passierte und jetzt soll ich mich intensiv dafür interessieren, wie der nächste Halt in Fuck-Up-Land seine U-Bahn baut oder ich einen Kochwettbewerb gewinne? Kein Thema, mache ich, ist ja fürs große Ganze und so, aber redet doch nicht so endlos darüber. 30, 40, 50, 100 und mehr Sprechblasen, Animationen ohne Ende, die diese begleiten, meist ohne viel beizutragen. Dieses Spiel hat einfach keinen Respekt vor der Lebenszeit des Spielers.
Eastward ist ein wunderschönes Spiel, das sogar ein wirklich gutes Spiel ist, wenn ich denn mal „spielen“ darf. Zu oft verkommt es zu einer Art etwas interaktiverer Visual Novel. Sicher, es ist immer noch weit besser als die Anime-Zeichenkurs-Erstwerke mit mäßigem Schreibtalent, die die Stores dieser Welt unsicher machen, aber die würde ich auch nicht „Spiel“ nennen. Ich spiele, weil ich „spielen“ möchte. Eastward kommt diesem Wunsch einfach nicht oft und konsequent genug entgegen. Es respektiert das wenige, was ich an Zeit dafür habe, in keiner Weise. Ich fand das selten so schade wie in diesem prachtvollen Pixel-Hingucker mit seinen gelungenen Spielmechaniken.