Echo: Was du nicht willst, dass man dir tu…
Stealth-Askese vor 2001-artiger High-Sci-fi-Kulisse von einem Ex-IO-Team
Da war bestimmt ein bisschen Kalkül dabei, mich in das Kopenhagener Studio von Ultra-Ultra einzuladen. Nicht, dass das Spiel nicht für sich selbst gesprochen hätte, aber es hat einfach etwas ur-sympathisches, hinter die Kulissen eines dermaßen... sagen wir "kompakten" Entwicklers zu schauen: Ein heimeliger Altbau in der Innenstadt, ein Drei-Zimmer-Apartment mit hohen Stuckdecken und Platz für acht Schreibtische ist alles, was diese Bande ehemaliger IO-Interactive-Mitarbeiter (u.a. "Hitman") braucht, um ihre Vision von einem innovativen Stealth-Spiel umzusetzen. Diese spezielle Sorte verschworener Gemütlichkeit ist es wohl, die die Dänen landläufig "Hygge" nennen.
In elf Jahren in diesem Business habe ich noch nichts Vergleichbares gesehen, und ich könnte Ähnliches wohl auch über das Spiel sagen. Echo startet als entrückte High-Concept Science-Fiction in sein Cold Open, wenn das Raumschiff von Protagonistin En quaderförmig und wie aus einem Block Mondgestein gehauen dem mysteriösen "Weißen Planeten" entgegentreibt. Als En aus dem Kälteschlaf erwacht dann die Gewissheit, dass sich die Figur auf einer aussichtslos scheinenden Mission befindet: Schwer verletzt und von der mehrere Menschenleben langen Reise noch reichlich fröstelnd findet sie in der bockigen Schiffs-KI einen nur widerwilligen Helfer, der sie wohl aus der nächsten Luftschleuse pusten würde, wenn er könnte - und wenn ihre Mission nicht die Wiederbelebung eines gemeinsamen Freundes wäre.
Für die Eröffnung fällt mir außer "sackstark" kein anderes Attribut ein. Allerdings auf eine leise, unaufgeregte Art, die für gewöhnlich toll geschriebene und geschauspielerte "Walking Simulator" ankündigt. Ens prägnanter Look, androgyn mit gegelter 20er-Jahre Welle, die kontrastreich ausgeleuchteten Raumschiffkorridore und die vertraute Stimme einer bekannten Schauspielerin (die demnächst noch enthüllt wird), die tatsächlich alles in diese Performance legt, imponieren Fans konzeptionell hochgreifender Space-Geschichten vom Fleck weg. Das Pacing nimmt zunächst ebenfalls 2001-artige Züge an, wenn es sich alle Zeit der Welt nimmt, Ens Abstieg zu einem geheimnisvollen Palast auf dem Weißen Planeten zu schildern.
In dem etwas bruchstückhaften Anspiel-Abschnitt wurde nicht direkt klar, ob es diesen Ort überhaupt tatsächlich gibt, ob es sich um eine ätherische Zwischenwelt oder ein virtuelles Konstrukt einer längst vergangenen Zivilisation handelt, denn er verändert sein Aussehen in Reaktion auf Ens Ankunft. Oder besser in Reaktion auf die Ankunft des mysteriösen Würfels, der sich in ihrem Besitz befindet. Periodisch scheint der Palast eine Art Reset vorzunehmen, bei dem Ens Raumanzug in eine Art Schutzposition verfällt. Ein paar Zyklen später entstehen nach und nach krude, dann immer echter wirkende Kopien von En, die ihr nach dem Leben trachten. Das Spiel beginnt an dieser Stelle, seine zentralen Mechanismen zu erklären.
Die Anzug-Energie zum Beispiel, die benötigt wird, um Sprünge in eine tiefere Etage abzudämpfen, und sich als mit der Zeit durch Sammelbares immer länger werdende Energieanzeige entpuppt. Auch Schüsse aus Ens Pistole werden dadurch mit Saft versorgt und während das Spiel jede der möglichen Aktionen haarklein durchexerziert - und die Echos genannten Kopien der Protagonistin hier und da ebenfalls neue Dinge zu lernen scheinen, schaute ich ehrlich gesagt das erste Mal auf die Uhr. Alles, was ich tat, kannte ich schon zur Genüge aus anderen Stealth-Spielen und das langgezogene Nachexerzieren dieser Abläufe schien mir übertrieben. Und dann fiel der Groschen. Während der Resets, die der Palast zwischen zwei der alle paar Minuten wechselnden Zyklen vornimmt, lernen die zurückgesetzten Echos alle Aktionen, die En - beziehungsweise der Spieler - im Zyklus davor vollführte.
Während ich also versuchte, ein handelsübliches Stealth-Spiel mit schleichen, über Hindernisse hüpfen, Türenöffnen und ein bisschen Schießerei zu spielen, merkte ich überhaupt nicht, dass ich es eigentlich mit einem gigantischen Puzzle zu tun hatte. Während ich mir mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln meinen Weg zu Schaltern, wichtigen Objekten oder einfach nur in den nächsten Raum bahnte, machte ich mir das Leben nur unnötig schwer. Beispiel gefällig: Ich ducke mich um eine Marmorbrüstung herum, um dem Blick des Echos auf der anderen Seite zu entgehen und als es sich umdreht, sprinte ich zur nächsten Deckung. Hier springe ich über ein Geländer, hebe eine weiße Marmorkugel auf, die ich zur Ablenkung werfe, um ein anderes Echo von seinem Posten zu locken. Ein Raum später öffne ich eine Tür, stehe unvermittelt vor einem anderen Echo, das zum Angriff ansetzt, ziehe meine Pistole und schieße. Reset. Als das Licht wieder angeht, ist das Spiel plötzlich ein Albtraum.
Echos schleichen auf ihren automatisierten Routen auf einmal ebenfalls hinter halbhoher Deckung, mehrfach erschrecke ich mich deshalb, weil ich von unvermittelt auftauchenden Patrouillen überrascht werde. Außerdem ist nun kein Ort mehr sicher, weil Türen und Geländer keine Hindernisse mehr für sie sind. Als mich ein Echo entdeckt, sehe ich mich mit einem halben Dutzend Gegnern konfrontiert, die sprinten können, auf mich schießen (zwei Treffer = tot) und von überall kommen können. Ich sehe mich in die Ecke getrieben, und bekomme schließlich von einem Echo von hinten den Schädel mit einer der weißen Marmorkugeln eingeschlagen - hätte ich sie während des letzten Zyklus' liegen lassen, hätte ich mich aus der Umklammerung noch einmal befreien können.
Die Idee ist toll, die Umsetzung beachtlich, wenn man bedenkt, dass hier nur acht Leute am Werk waren. Auch wenn man sieht, dass hier Texturen und Assets teilweise automatisiert wiederverwendet wurden. Vor diesem unwirklichen Szenario ist das aber das Gegenteil von einem Problem. Dieser Palast hat nichts Menschliches, er ist in höchstem Maße artifiziell und wie gesagt, vielleicht nicht einmal wirklich materieller Natur. Endlose Gänge immer gleicher güldener Kandelaber, Karaffen und Stühle, die noch nie jemand auch nur angetastet hat, sind in dieser Copy-and-Paste-Form nicht nur ein eindrückliches Bild, sondern auch auf Realität enthobener Ebene wunderbar albtraumhaft.
Was mir ein Stück weit Sorgen bereitet, ist allerdings der Umstand, dass man sich selbst in seinen Möglichkeiten beschneidet, um vorwärts zu kommen. Macht das über lange Strecken Spaß? Echos Creative Director Morten Emborg sieht das Leveldesign in der Pflicht, damit diese Sorte interaktiver Enthaltsamkeit nicht in einer langweiligen einer Verkneifneurose ausartet. Nie die komplette Repertoire-Askese zu verlangen, hier und da und an den richtigen Stellen ausreichend Gelegenheit zu geben, jeden Skill auch einzusetzen - das ist es, woran den Designern gelegen ist. Auch wenn ich noch nicht weiß, wie gut die Rechnung mit den Avatar-Kopien und ihrer Nachahmerei letzten Endes aufgehen wird, ich respektiere Echo sehr dafür, dass es meine Denke für die zwei Stunden des Anspieltermins nachhaltig prägte. Noch nie habe ich so sehr darüber gegrübelt, ob ich mir so eine alltägliche Aktion wie Springen oder Türenöffnen in dieser Runde noch leisten konnte oder ob sich das noch rächen würde.
In Sachen Thematik und Szenario hat mich Echo auf jeden Fall komplett in der Hand, ich will der Natur dieses Palastes auf den Grund gehen, hinter Ens Motivation blicken und mich suhlen in einer der ambitionierteren Science-Fiction-Welten, denn das ist - wie ein guter Weltraum-Schmöker bei einem Glas Wein und gerade genug Licht - meine persönliche Form von "Hygge".
Entwickler/Publisher: Ultra Ultra - Erscheint für: PC, PS4 - Geplante Veröffentlichung: 19. September - Angespielt auf Plattform: PC