Crysis
Zum Weinen schön
Wie aus dem Nichts feierte die deutsche Spieleschmiede Crytek vor rund zwei Jahren mit FarCry einen Riesenerfolg. So mir nichts dir nichts flogen die Gebrüder Yerli zur E3 und überraschten Fachwelt und Fans mit ihrem Erstling. Der Ego-Shooter Crysis soll die Erfolgsgeschichte des Unternehmens weiter schreiben. Von dem Insel-Rezept verabschieden sich die drei Brüder allerdings nicht. Warum auch? Mercedes verkauft ja auch nicht plötzlich Joghurt statt Autos.
Die Vorgeschichte kommt recht schräg daher und wirkt wie in einem Sci-Fi-Roman: Im Jahr 2019 stürzt ein Asteroid auf einer unbewohnten Insel im Pazifik ab. Die Amis und Nordkoreaner wittern ein Geschäft und düsen gen Eiland. Während die Koreaner die Landmasse zum Sperrbezirk erklären, schleust die US Delta Force unbemerkt einen Mann ein - Jake Dunn. Der Konflikt zwischen den beiden Nationen entbrennt, bis eine dritte Fraktion für allerlei Aufruhr sorgt. Der vermeintliche Asteroid entpuppt sich als riesiges Raumschiff voller Aliens. Und die sind nicht gerade auf einem Urlaubstrip, sondern wollen die Welt in eine eisige Einöde verwandeln.
Spiel oder Realität?
Na gut, wir haben schon einfallsreichere Stories gehört, aber wer spielt einen Shooter schon wegen der Hintergrundgeschichte? Überzeugen muss vor allem das Gameplay und grafische Umsetzung. Nach den Eindrücken der zurückliegenden Games Convention, kann Crysis in beiden Kategorien dicke Pluspunkte verbuchen. Was zuerst ins Auge sticht, sind die rasiermesserscharfen Details. Ist das wirklich noch ein Spiel? Kaum zu glauben, stimmt aber trotzdem: Wohin man auch blickt, schreit einem überall das Wort "Fotorealismus" entgegen.
Der Urwald hat auch in Dr. Grzimeks Tierreportagen nicht realer ausgesehen. Verantwortlich für diesen visuellen Superlativ ist die CryEngine 2, eine Weiterentwicklung der Game Engine von FarCry. Während wir mit unserer Spielfigur Jake durch den dichten Dschungel schleichen, verbiegen sich die Blätter der Pflanzen und schwingen wieder an ihren Ausgangspunkt zurück. Physikalisch korrekt natürlich. Doch wie verhält sich die dichte Vegetation unter Beschuss? Man könnte sagen, "recht fetzig". Sinnlose Zerstörung, die den Wald buchstäblich zu Kleinholz verarbeitet, hat noch nie mehr Spaß gemacht. Grundsätzlich ist es aber besser, sich nicht als Rambo zu verdingen. Das satte Grün gewährt Euch Schutz vor den Blicken der Feinde - und das in DirectX 10-Pracht.
Wandelnde Waffenfabrik & Dopinglabor
Das Lieblingswort der Yerlis im Bezug auf das Crysis-Gameplay heißt "adaptieren". Ihr sollt euch während des Spielens ständig den verschiedenen Spiel-Situationen anpassen können. Beispielsweise durch den Nano-Anzug. Er schützt vor extremen Temperaturveränderungen und dient zudem gewissermaßen als wandelndes Drogenlabor. Je nach Sachlage passt Ihr somit Mr. Dunns körperliche Attribute an - mal flitzt der Delta-Force-Mann schneller durch den Dschungel, mal richten seine Waffen mehr Schaden an. Alternativ lässt sich ein verstärkter Heilungsprozess und ein Schleichmodus aktivieren. Das gewünschte Setup ruft Ihr per Hotkey ab und seid so in der Lage, blitzschnell zu reagieren. Unbesiegbar? Unsterblich? Der Doping-Anzug hat zwar einiges auf dem Kasten, ganz so godlike wie es zunächst klingen mag, seid Ihr dann allerdings doch nicht. Um nicht allein auf weiter Flur zu stehen, greifen Euch eine Reihe von Special Force-Kameraden unter die Arme. Jeder ist ein Spezialist auf seinem Gebiet und verfügt über wichtige Zusatz-Funktionen. Beißt einer der eigenständig agierenden Team-Mitglieder ins Gras, müsst Ihr ohne seine hilfreichen Fähigkeiten auskommen. Die Mission erschwert sich durch den Verlust natürlich erheblich.
Was wäre ein Action-Titel ohne eine Vielzahl an durchschlagenden Kalibern? Die realistisch aussehenden Schießprügel (Maschinengewehre, Scharfschützengewehre, Pistolen etc. ) lassen sich mit diversen Gerätschaften ausrüsten. Beispielsweise Granatwerfer, Zielfernrohr, Laserpointer und Schalldämpfer. Zudem gibt es verschiedene Munitionstypen, die Ihr entsprechend den Gegnern wählt. Die Modifikation nehmt Ihr ohne Zeitverzögerung mitten im Kampf vor.
Mehrspieler-Machtkampf
Neben der Einzelspielerkampagne in drei Akten ist auch ein umfangreicher Mehrspielermodus eingeplant. Die Games Convention hat uns Gelegenheit gegeben, den brandneuen Spielmodus "Powerstruggle" anzutesten. Dabei treten zwei Teams - Amis und Koreaner - auf einer Insel gegeneinander an. Während die Koreaner bequem aus einer Baracke auf dem Festland starten dürfen, muss das amerikanische Team von einem aufgetauchten U-Boot in den Krieg ziehen. Uns bleiben auf der US-Seite nur zwei Möglichkeiten: Entweder schwimmen wir ans Land oder verwenden eines der motorisierten Boote. Auch wenn die vorgeführte Map von diesem Malus abgesehen ausgeglichen designt scheint, ist das möglicherweise ein nicht unerheblicher Standortnachteil.
Beide Teams haben zunächst die Eroberung der zentral gelegenen Waffenfabrik als Ziel. Nur wer die im dichten Dschungel versteckte Station kontrolliert, kann die feindliche Basis zerstören und damit die Partie gewinnen. Fürs Abknallen gegnerischer Soldaten sammeln wir Prestige Punkte, die in bessere individuelle Bewaffnung oder den Bau von schweren Panzern und zerstörerischen Vernichtungswaffen investiert werden. Bei bis zu 32 Spielern auf einer Map (je nach Größe der Karte) erinnert das Spielgefühl schon ziemlich stark an die heißen Gefechte aus Battlefield 2.
Ich blicke der Veröffentlichung von Crysis mit Angst entgegen. Eine derart tolle Kulisse, feinste Grafikeffekte, ultrarealistische Echtzeit-Physik - das kann nur eins bedeuten: Ich brauche einen neuen Rechner! Da das Spiel aber nach Weihnachten (Anfang 2007) erscheinen soll, bleibt genug Zeit meinen Wunschzettel entsprechend zu gestalten. Sollte sich der erstklassige Eindruck bestätigen, wartet auf alle actionorientierten PC-Spieler ein Erlebnis der ganz besonderen Art. Vielleicht sogar das ultimative Shooter-Erlebnis überhaupt. Wir dürfen gespannt sein.