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Eigentlich wisst ihr längst, was Media Molecules Dreams ist ...

... ihr wisst es nur noch nicht.

Sich die Präsentation eines neuen Media Molecule Spiels anzuschauen, ist immer ein Erlebnis. "Ursympathische Leute machen Spiele mit großem Herzen" wäre wohl die treffendste Beschreibung eines jeden Pakets, das die Briten über die Jahre schnürten. Aber der erste Eindruck ihrer Werke trügt meistens oder erzählt nur die halbe Wahrheit. Es half nicht, dass die ersten Bewegtbilder aus Dreams so gar keine Verben konkretisierte, die umschrieben, was man in dem neuen Spiel machte. War es überhaupt ein Spiel?

Mittlerweile - nachdem ich Dreams auf seiner Anspielpremiere in Deutschland auf der EGX Berlin ausprobieren konnte - ist allerdings klar, was es ist: Little Big Planet. Nur ohne Sackboy, mit dem verträumten Überbau einer neuen Geschichte und Tools zur Selbstverwirklichung, die zugleich mächtiger und einladender sind als je zuvor. Viel davon hat damit zu tun, dass der Dual Shock 4 mit seinen Gyro-Sensoren endlich einen zuverlässigen Mausersatz bietet und die PlayStation-Move Controller sich bestens dazu eignen, In-Game-Gegenstände wie ein Bildhauer zu bearbeiten. Wichtig ist ebenfalls, zu betonen, dass Media Molecule über die Jahre viel in Sachen Interface-Design gelernt hat.

Und dann ist da - natürlich - wieder Zutat X, der kuschlig-schräge Touch, den dieses Studio so perfektioniert hat und der so gar nicht zum vielleicht mächtigsten Editor im Reich der Videospiele passen will. Selbstverständlich liegt es voll und ganz bei euch, wie real oder verträumt eure Schöpfungen aussehen sollen. Im Rahmen der Präsentation bestach aber, wie gut die ausgefranste, oft ungreifbare Optik vieler Erlebnisse das Traumthema aufgriff, das dem Titel durch den erzählerischen Kontext gewissermaßen mit in die Wiege gelegt wurde.

Neben dem "Create"- und "Share"-Anteil spielt ihr nämlich auch die Geschichte eines Mannes nach, der seine Liebe verlor und nun auf der Suche nach ihr ist. Auf der übergeordneten Ebene spielt ihr deshalb eine Art schummriges Noir-Abenteuer mit dem Protagonisten als steuerbare Figur, hin und wieder ereilen ihn aber Träume, in denen ihr in eine andere Rolle schlüpft, etwa in die eines kleinen Roboters, der sich im Rahmen eines Puzzle-Platformers durch ziemlich cool designte Jump-and-Run-Puzzles schlägt, springt und knobelt.

Die Steuerung saß auf den Punkt, fühlte sich direkter und weniger lose an als in Little Big Planet und ich hätte gerne noch die anders gelagerten Abschnitte gesehen - gerade den des Hauptcharakters -, aber diese Demo sah in Sachen Handlung nicht mehr vor. Allerdings soll sich eine weitere Traumkreation wieder komplett anders spielen, als die Roboter-Passagen und die Neonlicht-verhangene Primärebene. Während man in der Story voranschreitet, soll man munter zwischen den verschiedenen Träumen und der Realität des tragischen Helden wechseln. Das Design war bis hierhin jedenfalls schon mal tiptop und alles andere als beliebig. Ich freue mich auf eine herzige und vielleicht sogar ein bisschen melancholische Reise. Hoffentlich kann ich sie auch genießen, so sehr wie mich die clever platzierten Sammelgegenstände für den Kreativpart immer vom Weg fortlockten.

Wozu der Editor in der Lage ist, das zeigte eine Reihe Demos besser als mein noch etwas hilfloses Herumspielen mit den umfassenden Tools (dazu trotzdem später mehr): Der Uridium-Klon Ferovium war in erster Linie herzerwärmend, weil ich lange nicht an diesen Amiga-Klassiker dachte, aber auch als Spieler-Schöpfung an sich schon beeindruckend. Ein flüssig hin und her scrollender Shooter, in dem es in einem kleinen Jäger gegen die Geschütztürme eines Großkampfschiffes geht. Gut gemacht und sicherlich ziemlich aufwendig in der Umsetzung.

Aber erst bei der nächsten Demo, Moon Raider, klappte mir richtig die Kinnlade herunter: Eine arcadige Space-Sim, in der man seinem Jäger über die Schwingen schaut oder sogar in die Cockpit-Perspektive wechselt, während man sich in Dogfights zwischen Asteroiden hindurchduckt. Wirklich nette Grafik und von Hand erstellte, hilfreiche HUD-Elemente inklusive.

Abgefahren wurde es dann, als es zu einem durchaus grusligen Textadventure mit David-Lynch-artiger Traumlogik überging, das nicht nur erzählerisch die eine oder andere Überraschung parat hatte. Comic Sands im nächsten Durchgang war dann ein netter Mix aus Jump-and-Run und Kurzfilm, als man einer lebendigen Kiste mit einem herzig animierten Gesicht erst ihre Beine schenkt und sie schließlich in die Freiheit der dritten Dimension entlässt. Auch hier zeigt sich schon, dass in diesem Editor tatsächlich Platformer mit ordentlicher Handhabung möglich sind.

Hammer Time war ein launiges Duellspiel, bei dem sich zwei knopfäugige Hämmer auf verschiedene Weisen gegenseitig vermöbeln müssen. Ein bisschen Wario Ware blitzte hier durch, denn die Aufgabenstellungen variierten stark zwischen den einzelnen Runden. Mal bestand der Boden aus Puzzleteilen und jeder Schlag ließ einige davon wegbrechen (sehr schöne Physik übrigens!), mal mussten Gegenstände in der Farbe des Gegners zerstört werden oder in einem anderen Modus eine Kugel ins Tor des jeweils anderen Spielers befördert werden. Lustiger, chaotischer Spaß.

Im Editor selbst kann man dann ohne Abschluss im Ingenieurswesen oder Programmierausbildung ziemlich nachvollziehen, wie sich derartige Schöpfungen selbst erstellen lassen. Natürlich sind es immer noch viele, viele Funktionen, die einen in einer halbstündigen Demo komplett überrollen. Wenn man sich aber erst einmal einen Überblick verschafft hatte, war jede für sich sehr intuitiv zu bedienen. Ziehen, Klonen, Skalieren und Bearbeiten von Objekten ist ebenso einfach, wie das Erstellen eigener Effekte. Einer meiner Nebenspieler malte auf Aufforderung unseres "Fahrers", Abbie Heppe von Media Molecule, etwas gelangweilt und einfallslos einen krummen Kringel in die Landschaft, den Abbie in einen wunderbaren Lichteffekt verwandelte.

Aus zwei unterschiedlich großen Kugeln und einem Kegel wurde mit wenigen Handgriffen, einem passenden Anstrich und veränderten Physikeigenschaften ein hübscher Heliumballon. Eine Plattform wurde flugs zu einem beweglichen Lift, nachdem wir einen Button "Bewegung aufnehmen" daneben platzierten und dann mit dem Controller seine gewünschte Bahn ein Puppenspieler vormachten. Klar, dass wir dieses Event auch von einer speziellen Kameraeinstellung einfangen ließen. Das waren drei, vier Handgriffe, die einen recht komplexen Ablauf ins Rollen brachten. Wunderbar einfach und befreiend. Und von den Audio-Tools samt umfassendem Synthesizer und Aufzeichnungsmöglichkeiten für die eigene Stimme oder andere Sounds (die man selbstverständlich nach eigenem Gutdünken bearbeiten und verfremden kann), will ich gar nicht erst anfangen. Kompletter Irrsinn, was hier möglich ist.

Gut möglich also, dass Dreams mein Incredible-Machines-artiges, planloses Herumfuhrwerken aus LittleBigPlanet vielleicht doch noch in zielgerichtete kreative Bahnen lenkt. Die Art, wie Media Molecule euch seine neuen und vertrauten Werkzeuge zurechtlegt, ist einfach wunderbar Willkommen heißend, geradezu herausfordernd. Und wenn es doch nicht klappt, mit der schöpferischen Seite, bin ich schon jetzt immens gespannt darauf, welche erfinderischen Kräfte Dreams in der Community freizusetzen in der Lage ist. Ich habe Gott-weiß-wie-viele-Stunden damit zugebracht, mich auf Minispielsafari durch das Best-of der Sackboy-Gemeinde zu zappen und habe keine Minute bereut.

Insofern: Klar, ein Funke Magie geht immer verloren, wenn sich der diffuse Schleier eines Traumes lichtet und Vertrautes und Gewissheiten an die Stelle von gespannten Spekulationen und aufgeregtem Rätselraten treten. Ich kann trotzdem nicht sagen, dass ich traurig wäre, eine genaue Vorstellung davon gewonnen zu haben, was Dreams ist. Ein nimmermüder Generator immer neuer Träume ist in der heutigen Zeit genau, was der Arzt verordnet hat.


Entwickler/Publisher: Media Molecule - Erscheint für: PS4 - Geplante Veröffentlichung: 2019

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