Eile mit Weile: Die Speedrun-Szene
Zeitkontrolle
Ich bin geschockt, beeindruckt und zugleich gedemütigt. Fast 40 Stunden intensive Zeitinvestition, verbunden mit einer Kombination aus Schmerz und Leid, habe ich benötigt, um vor einigen Monaten im Überraschungshit Demon's Souls endlich den letzten Boss zu erledigen. Ein Strom von Stolz und Erleichterung durchzog im finalen Moment meinen Körper, während sich jedes Haar auf meinen Armen leicht aufstellte und ich mir zuflüsterte: „Du hast es geschafft. Du bist der Größte!"
Natürlich stehe ich mit dieser Leistung lange nicht alleine da, doch kann jeder, der Demon's Souls durchgespielt hat, meine Euphorie sicherlich nachempfinden. Und dann sehe ich den Lauf von alternalw, der dieses Monstrum in einer unglaublichen Zeit von 54 Minuten und 54 Sekunden beendet, damit meinen persönlichen Erfolg komplett zerstört und das Spiel durch sein Können auslacht. Und dennoch, oder gerade deswegen, klebten meine Augäpfel fast eine Stunde gebannt am Bildschirm, weil ich einfach nicht glauben konnte, was dieser Mensch geschafft hat.
Und genau hier liegt die besondere Faszination von Speedruns. Durch sie zeigen außergewöhnliche Tastenkünstler, was man wirklich aus einem Spiel rausholen kann und demonstrieren völlig neue Wege oder Möglichkeiten, das Ziel zu erreichen. Einer von ihnen ist Robert Brandl, der sich mit seinen Rekorden in Resident Evil 4 international einen Namen gemacht hat. Wie fast alle Speedrunner stieß auch er über die Weiten des Internets auf dieses Phänomen: „Ich wollte einfach dazugehören. Also hab ich mir ein Spiel gepackt und meinen ersten Rekord aufgestellt."
Mittlerweile hat er es mit seinem Speedrun in der Resident Evil 4 Wii Edition in das Guinness-Buch geschafft und hält zudem weiterhin den Weltrekord in der Assignment-Ada-Zusatzmission. Doch bis es einmal zu solch einem Erfolg kommt, müssen Spieler eine außerordentliche Zeit des intensiven Trainings investieren, in der sie jedes Detail genau beachten und so versuchen, die beste Strategie zu entwickeln.
„Man braucht am Anfang eine gewisse Routine und die absolute Kontrolle über das Spiel. Außerdem ist ein sehr genauer Überblick über Möglichkeiten, die dir das Spiel bietet, absolut erforderlich. Das fängt bei kleinen Sachen wie beispielsweise den Nachladezeiten einer Waffe an und reicht bis hin zu Level Skips."
Mit diesen Level Skips meint er eines der wichtigstens Elemente beim Speedrunning. Das sogennanten Sequenz-Breaking. Dabei nutzt der Spieler gewisse Techniken oder Glitches, um nicht nur einzelne Räume, sondern gleich ganze Areale zu überspringen.
So lassen sich zu Beginn von Metroid Prime nach der Landung durch einen ziemlich komplizierten Sprung die Jump Boots erreichen. Dadurch könnt ihr einige Abschnitte auf dem Weg zum Ziel auslaussen. Der gekonnte Einsatz der Morphball-Bomben sorgt ebenfalls für einige beeindruckende Abkürzungen. Viele dieser Kniffe finden erst Jahre nach der ursprünglichen Veröffentlichung ihren Weg ins Netz. So wurden viele der Glitches in Ocarina of Time erst Jahre später gefunden, die immer wieder neue Routen und somit eine bessere Zeit ermöglichen.
Viele dieser Tricks sind schwieriger auszuführen, als es auf den ersten Blick wirkt, und erfordern perfektes Timing. Dafür erhöhen sie auf der anderen Seite die beim Zuschauer ausgelöste Bewunderung. Ein gutes Beispiel hierfür ist der kurze Speedrun von Super Mario 64, für den man nur 16 Sterne benötigt, um zum finalen Kampf mit Bowser zu gelangen. Durch den gekonnten Einsatz des Rückwärtssprungs lässt sich die „unendliche" Treppe im letzten Abschnitt überwinden, ohne die sonst erforderlichen 70 Sterne einzusammeln. Was in dem Video ganz locker aussieht, stellt sich in Wahrheit als wesentlich schwieriger heraus.
Da solch extreme Vorbereitungen für die eigentlichen Versuche mehrere Monate in Anspruch nehmen, überlegt man sich genau, auf welchen Titel die Wahl fällt. An oberster Stelle steht trotz harter Arbeit der Spaß im Vordergrund. „Da ich eine lange Zeit mit diesem Spiel verbringen werde, muss es mir logischerweise richtig gut gefallen.", erklärt Robert und fügt hinzu, dass sich nicht jedes Spiel für einen Speedrun eignet. "Spiele, die auf einem On-Rails-System basieren, wie Ikaruga oder House of the Dead, sind total untauglich."
Doch wo fand die Szene eigentlich ihren Ursprung? Ein genauer Zeitpunkt lässt sich schwer feststellen, doch die erste Community startete 1993 mit dem Release von id Softwares Doom. Neben zahlreichen Modi konnten Spieler ihre Runs aufzeichnen und abspeichern. Ein Jahr später nutzte Christina Norman dieses Feature und startete mit der LMP Hall of Fame die erste Website für solche Doom-Vidoes.
Noch im selben Jahr kreierte Frank Stajano DOOM Honorific Titles und damit eine Art Erfolgssystem. Für bestimmte Leistungen im Spiel erhielten die Benutzer verschiedene Auszeichnungen. Neben den Speedruns entstanden außerdem weitere Modi. Wer zum Beispiel nur mit den Händen sowie der Pistole die einzelnen Level absolvierte, trug sich in die Leaderboards für den Tyson-Modus ein. Um die Videos zu verifizieren, führten die Runner spezielle Bewegungen zum Start aus.
Den größten Erfolg erzielte Ende 1994 jedoch Simon Widlake, als er die Seite COMPET-N ins Leben rief, die sich fast ausschließlich auf die schnellsten Zeiten konzentrierte und den Kampf um die Ranglistenposition stärkte. COMPET-N verdient sich somit die Bezeichnung der ersten richtigen Speedrun-Seite.