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Elden Ring beweist, dass Open World kein Schimpfwort sein muss

Gute Weiten, schlechte Weiten.

Open World war ein Reizwort, lange bevor “Roguelike” zum Wegklick-Trigger für viele Spieler wurde. Man darf davon ausgehen, dass Ubisoft großen Anteil daran hatte, wenn einige bei diesem Genre irgendwann abwinkten. Mit riesigen Karten, die sich selbst entdeckten und durchsystematisierte Punkte von Interesse und Action-Hotspots wie Skittles über streng in verschiedene Biome unterteilte Gegenden ausschüttete. Irgendwann konnte man die Landschaften vor Collectibles und Nebenaktivitäten kaum mehr erkennen.

Es waren Welten in permanenter Angst, die Spielenden würden das Ticket in die Realität zurück lösen, sobald man ihnen mal eine Sekunde lang kein Progressionsangebot unterbreitete. Overkill war das (und zwar nicht nur bei Ubisoft, das sollte man in aller Klarheit sagen), beliebig und gründlich vorgekaut - ohne den Mut oder Willen, Panoramen und Weite mal für sich sprechen zu lassen.

’Wo geht’s als nächstes hin?’, statt ‘Geh mal dort als nächstes hin!’

“Seht ihr den Berg da, den könnt ihr erklimmen!”, hat Todd Howard vor dem Release von Skyrim mal gesagt. Und obwohl der Ausspruch schnell zum Meme wurde, steckt doch ein reizvoller Gedanke dahinter: Nämlich der, dass die Welt hinterm Horizont weitergeht – und du keine Ahnung hast, was dich da erwartet. Die offenen Welten der Nuller und mittleren 2010er Jahre verspielten diesen Reiz, indem sie mit ihren Symbolen und Legenden von vorneherein recht genau den Definitionsraum dessen absteckten, was man dort finden würde.

Wer entdeckt hier wen?

Ich war in einem Spiel selten so wenig daran interessiert, mich in die Ferne treiben zu lassen, wie um Assassin’s Creed 3 herum. Im Icon-Konfetti sah ich irgendwann nur noch Gameplay-Gelegenheiten und Punkte auf der Checkliste. Diese Spiele hatten meinen Kopf trainiert, das Weltendesign – rollende Hügel, weite Steppen, einladende Seen – als Beiwerk herauszufiltern, als wären sie eine Irritation, nicht der Grund, weshalb man hier ist. Ging es nicht auch und vor allem darum beim Eskapismus? Um das Entschwinden an fremde, unwahrscheinliche Orte? Selten blieb von einer Spielwelt bei mir so wenig hängen, wie in der Zeit, in der sich die Entwickler in Sachen Größe und Weite ihrer Open Worlds gegenseitig zu übertreffen versuchten.

Spiele wie Elden Ring, und man muss fairerweise auch Zelda: Breath of the Wild und auch Capcoms unterschätztes Dragon’s Dogma nennen, brechen mit diesem Design-… nun ja… Dogma. Sie verzichten auf allzu klare Deklaration ihrer Umgebungen und fordern deshalb ein ganz anderes Eintauchen des Spielers in ihre Reiche. Auch sie überziehen ihre Lande engmaschig mit einem Teppich aus Gameplay- und Progressionsgelegenheiten, verzichten aber darauf, ihn den Spielenden sichtbar zu machen. Sie fordern Initiative, anstatt sie uns zu nehmen. Selten waren zwei Arten Spiel so nah beieinander in ihrer Struktur, in ihrem Effekt aber weiter voneinander entfernt.

Fällt irgendwo einfach vom Himmel: Agheel. Kein Karten-Icon notwendig. Eine gute Open World entdeckt euch genauso wie ihr sie.

Eine Open World nach Standard-Strickmuster ist wie ein mieser Beifahrer. Sie ist ein “Backseat-Gamer”, auch wenn man alleine spielen möchte. Als säße sie neben euch auf der Couch, liegt sie euch quengelnd in den Ohren. "Schau' mal hier, guck' mal da!" – mit einer zeigenden Hand in eurem Blickfeld, die ab und an Richtung Controller zu schnellen scheint. Insistierend, dass ihr euren Blick mal hier, mal dorthin wendet und Dinge ausprobiert, die alles sind, nur kein Leerlauf oder keine stille Kontemplation. Es ist erdrückend und – obschon geräuschlos – absolut ohrenbetäubend.

Spiele ich Elden Ring, Breath of the Wild oder eben Dragon’s Dogma, höre ich im Normalfall nur das Rauschen des Windes in den Gräsern und Bäumen oder wie er schroffen Klippen sausend ihren Schliff verpasst. Ansonsten: Stille. Ich weiß das sehr zu schätzen.

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