Elder Scrolls Online: Näher an einer Morrowind-Fortsetzung waren wir nie
"Wir hatten riesige Angst, es zu versauen."
Weil ich wusste, dass ich die kürzlich angekündigte Morrowind-Erweiterung für The Elder Scrolls Online sehen würde, oder was auch immer sich Bethesda/Zenimax für die erste Vorstellung in London zurechtgelegt hatten, wollte ich vorher noch mal zurück ins Hauptspiel finden. Dunkelelfin, Level 20, geparkt auf dem Weg von und nach wer weiß wo, nahe einer Ortschaft, die sich als "Affenruh" herausstellt. Über ein Jahr ist das her.
Fragt nicht, wieso gerade hier, aber es ist aufregend, das plötzliche Aufnehmen liegengelassener Fäden in diesen scheinbar endlosen Spielen, online oder offline. Mit großem zeitlichem Abstand zwischen den Spielsitzungen wird das sicher witzig, vor allem in einem MMO. "Die Fährte der Seuche" heißt die eine Quest und sie fordert von mir, mit Kommandant Renli in der Obsidianschlucht zu sprechen. "Jene, die sie verschlingt" heißt eine andere. "Sprecht mit Registrar Riivel", "Tötet Kultisten, um den Käfigschlüssel zu erhalten", "Erobert das Drakenschein-Holzfällerlager". All diese Quest-Einblendungen auf der Xbox mit den Digitasten durchzuschalten ist ziemlich überwältigend und auf eine schräge Art unterhaltsam. Ich habe keine Ahnung mehr, wo irgendwas davon stattfinden soll oder wie die Dinge überhaupt ins Rollen gerieten.
Kurz: Zu wenig Zeit für zu viele Spiele, besonders wenn sie einer fortwährenden Entwicklung unterliegen. Wie Elder Scrolls Online in dem Fall (ab hier "ESO" abgekürzt) und seine Wandlung vom milde aufgenommenen PC-Release im April 2014 hin zum Multiplattformspiel mit inzwischen verlässlichen Spielerzahlen. "Ich will nicht lügen - es fühlte sich an wie ein Tritt in die Eier", erzählt mir Creative-Director Rich Lambert in London über den PC-Launch vor fast drei Jahren. "Es war entmutigend, dass etwas, an dem wir so lange arbeiteten, nicht im ersten Anlauf den erhofften Volltreffer landete."
"Worauf ich allerdings stolz bin, das ist der Umschwung. Die Spieler, die wir inzwischen haben, ermöglichten die Dinge, die wir jetzt tun können. Es ist eine komplette Kehrtwende, jetzt an diesem Punkt."
Der Free-to-play-Umbau mitsamt des Konsolen-Releases vor eineinhalb Jahren, fünf DLCs mit neuen Gebieten und nicht zuletzt die Aufweichung jeglicher Levelgrenzen mit dem One-Tamriel-Update dürften wichtige Stationen gewesen sein. Seitdem sind alle Quest-Namen in gelb geschrieben. Früher war das anders, nämlich in den Farbcodes je nach Stufe und der damit verbundenen Schwierigkeit für den Charakter. One Tamriel hebelt das aus und passt die Inhalte entsprechend an, dass jeder praktisch mit jedem losziehen kann. Beim Wiedereinstieg letztens landete ich jedenfalls bei so einem Auftrag, dessen Namen ich nicht mehr nachvollziehen kann, weil sie nach dem Lösen aus dem Tagebuch fliegen. Es ging um korrumpierte Schüler in einer Akademie mit einer Höhle am Ende.
Vor allem ging es aber um Landschaften und Krokodile wie auf den Bildern hier. Einfach Beine in die Hand und Meter machen, runter nach Süden, zumindest glaube ich das, weil es immer sumpfiger wurde. Dieses Ausgesetztsein ohne Orientierung hat was. Ich könnte mir vorstellen, an dem Punkt eine Zäsur zu machen, Gewesenes zu vergessen - als wäre das nicht ohnehin schon geschehen - und ein neues Kapitel für Joannah zu beginnen. Joannah ist mein Charakter, ziemlich flott aussehende Bogenschützin und auch sonst prima, wie die Biografie, die ich mir nie für sie ausdachte, nicht belegen kann.
Wenn das kein Grund ist, dann vielleicht die am 6. Juni erscheinende Morrowind-Erweiterung mit der bestens bekannten Insel Vvardenfell, auf der sich Joannah als Dunkelelfin wohler fühlen dürfte als all die "Fremdländer", von denen im Originalspiel (2002, PC, Xbox) immer die Rede war. Mit 40 Prozent mehr Landmasse als im Orsinium-DLC soll es das größte Stück nachträglich hinzugefügten Contents sein, das ESO bislang gesehen hat.
Pure Nostalgie ist es, die nicht nur bestehende ESO-, sondern vor allem neue Spieler dorthin locken möchte. Bethesda wurde jedenfalls nicht müde anzuführen, dass komplette Neulinge ohne ESO-Vorbildung hiermit einen angemessenen Einstieg erleben sollen. Wer rein will, kann das zur Not als extra für die Morrowind-Erweiterung erstellter Charakter tun. Vielleicht mit nicht mehr als warmen Erinnerungen an diesen Koloss von Spiel und aus Netch-Leder gefertigten Stiefeln, aber auf bekanntem Terrain.
"Wir hatten riesige Angst, inhaltlich etwas davon anzufassen und es zu versauen", lacht Rich Lambert. "Ich meine, das ist eine unglaubliche Verantwortung. Morrowind ist das Spiel, das Bethesda bekannt machte. Wir nehmen das extrem ernst und glücklicherweise haben wir sie [Bethesda] als eine Art Rückkopplung für alles, was wir machen wollen. Das läuft etwa so: 'Hey, ist das inhaltlich möglich? Würde dies oder jenes funktionieren, was sagt ihr dazu? Die Geschichte, die wir erzählen, ist das OK für euch?'. Und sie sind einfach großartig."
"Also ja, anfangs waren wir extrem verängstigt, aber inzwischen bin ich sehr zufrieden damit."
Rund 700 Jahre vor den Geschehnissen in The Elder Scrolls 3 seid ihr hier in Vvardenfell unterwegs, noch während sich die Stadt Vivec im Bau befindet, die vielen Inselkonstruktionen mit den fast pyramidischen Bauten darauf. Bevor die Typen in den zu Wasser gelassenen Gondeln ein paar Draken für eine Überfahrt wollten und bevor man sich mit einem Lappen von Tagebuch bei der Suche nach Leuten wie Rolasa Oren, Aurane Frernis oder Trebonius Artorius verlief.
Leider gab es in London keine Möglichkeit, den Ranzen zu schnüren und selbst zu spielen. Immerhin, als sich die Kamera in einem Video über die detaillierten Nachbauten von Seyda Neen und Balmora erhebt, über rostbraune Schluchten und karge Felswände, da weiß man wieder, wo dieses Kapitel einst anfing. Die Technik heute ist natürlich deutlich weiter, variantenreicher mit Farmen auf sattem Grasland, Vulkanen, knochigen Türmen und durchs Mauerwerk wachsenden Pilzen, die fast aussehen wie Trompeten oder zumindest wie Trompetenblumen. Flora und Fauna von Guar-Lasttieren bis Schlickschreitern sind ebenso wiedererkennbar wie die Abgrenzung "niederer" Tierrassen Khajiit und Argonier. Rassistische Anfeindungen, wie sie in Morrowind an der Tagesordnung waren, finden sich wieder, allerdings nicht auf spielentscheidender Ebene und weniger dem eigenen Charakter gegenüber. "Wir wollen nicht, dass jemand von Inhalten ausgeschlossen wird oder seine Entscheidung später bereut", heißt es.
Teile Vvardenfells sind grüner und besser erhalten als im lebensfeindlichen Klima des Originalspiels, weil der Vulkan in der Inselmitte noch nicht so aktiv ist. Der Geisterwall ist zu dieser Zeit kein Thema und Dagoth Ur schläft friedlich im Inneren des Roten Bergs. "Man kann dort ein wenig herumwandern und es gibt einen öffentlichen Dungeon an der Spitze des Berges, von dem man all die Lava fließen sieht", sagt Lambert. "Aber das ist der einzige Ort, den wir nicht anfassen wollten, weil die Erweiterung 700 Jahre vorher spielt und viele Dinge einfach noch nicht da waren."
Die Geschichte greift in Anlehnung ans Original auf, was schon dort zum Teil thematisiert wurde: rivalisierende Dunmer-Fürstenhäuser und die Kultur der Dunkelelfen. Davon, wie die Häuser Dres, Redoran und Telvanni funktionieren, nach welcher Agenda sie Politik machen und wie sie die Attentäter der Morag Tong benutzen, sich gegenseitig zu töten. "Ihr Standpunkt ist aber verständlich", sagt Lambert, "sie sind altruistische Killer und tun es für das Wohl von Morrowind. Das sind wirklich spannende Geschichten, cooler Content".
Es geht auch um den im Sterben liegenden Halbgott Vivec, sein Zustand visualisiert anhand eines Meteors über der nach ihm benannten Stadt, wie er immer weiter absackt. Eine der Morag Tong entstammende Dunkelelfin namens Nayru Virian, im ESO-Hauptspiel ein wichtiger Charakter, dient quasi als Guide in und durch das neue Gebiet. 30 Stunden Story-Inhalte sollen während dieser Reisen zusammenkommen.
Morrowind ist auch der Startschuss für die erste neue Klasse in ESO, den Wächter, sehr naturverbunden, fast wie ein Druide. Er kann Bären beschwören, einen heilenden Baumkreis aus dem Boden stampfen und sogar Klippenläufer auf Gegner hetzen (im Original eine der am schlimmsten nervenden Gegnerarten, die ich je in einem Spiel erlebte).
Als Ergänzung zum großflächigen PvP in den Menschenmengen Cyrodiils finden kleinere Schlachtfelder den Weg in die Erweiterung. Es sollen intime Arenen mit ebensolchen Matches von maximal 15 Minuten werden, jeweils in der Größenordnung Vier-gegen-vier-gegen-vier und in den drei anfänglich verfügbaren Modi Capture-the-Flag, Domination und Team-Deathmatch. "Sehr gut zum schnellen Rein- und Rausspringen", meint Lambert. Das System geht mit drei Maps an den Start - von denen jede sämtliche Modi unterstützt -, darunter eine Dwemer- und eine Daedra-Ruine. Mehr sollen folgen.
Und selbst für Leute wie mich, denen am Wettbewerb und MMO-Aspekt weniger gelegen ist als am reinen Erleben einer Welt, könnte Morrowind spannend werden. Ich könnte mir vorstellen, wie man das Cooldown-basierte Kampfsystem hinnimmt, weil es nun mal so funktioniert, und auf dem Weg von Balmora nach Caldera mit Halt an Hügelgräbern alte Geschichten wiederaufleben lässt. Quasi eine Art halb-MMO-gebürstetes Remake, das nie erschien. Es könnte auch ein schöner Ausflug für Leute werden, die ihre Freunde hier hindurch begleiten und sagen: "Guck, da steckte früher der Ring für den Elf drin und dort hinten stürzte der Wahnsinnige vom Himmel".
Zenimax nutzt dieselbe Höhenkarte wie im Original, um so weit wie möglich daran heranzurücken. Lambert erinnert sich an einen Punkt vor etwa einem Jahr: "Wir hatten den ersten Entwurf des Leveldesigns fertig. Wirklich nur einen Entwurf mit Platzhalter-Assets, grauen Fliesen und all dem. Wir gingen nach Seyda Neen [wo das Originalspiel startet] und dachten: Wow, es sieht wirklich aus wie die Vorlage. Das war einer unserer schönsten Momente."
Hoffen wir, dass die vielen Spieler im Juni ihren ganz eigenen Moment der Heimkehr in dieses fremdartige, kühle und faszinierende Land erleben können.