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Das Adventure Encodya - Richtig gut. Aber eben nicht wie Blade Runner und auch nicht wie Monkey Island

Zwischen Herz und Holzhammer.

Anfang Januar durfte ich euch eine Reihe von Point-and-Click- und Rätsel-Adventures vorstellen, die 2021 auf euch warten und schon da war klar: Punk's not dead! In diesem Fall: Steampunk, Dieselpunk und vor allem eine große Portion Cyberpunk, weil das aktuell wohl einfach sein muss. Einer der Titel auf dieser Liste hat nicht lange auf sich warten lassen, denn das Cyberpunk-Adventure Encodya vom Indie-Studio Chaosmonger buhlt bereits seit Ende Januar um die Zuneigung von Genre-Freunden.

Das Sci-Fi-Abenteuer erzählt mit klassischen Point-and-Click-Mechaniken die Geschichte des kleinen Mädchens Tina, die mit ihrem Roboter S.A.M. im unbarmherzigen Neo-Berlin auf der Straße lebt. Sci-Fi im Deutschland der Zukunft? Ganz richtig, denn bei Publisher Assemble Entertainment, unter anderem bekannt für die letzten beiden Teile der schräg-schlüpfrigen Adventure-Reihe Leisure Suit Larry, handelt es sich um eine deutsche Firma. Das Entwicklerstudio Chaosmonger dagegen stammt ursprünglich aus Italien und ist jetzt in Estland ansässig - eine bunte Mischung also.

Ich hatte als Point-And-Click-Närrin schon einmal das Vergnügen, mir das Adventure ein wenig anzusehen und ein paar Stündchen hineinzuzocken - und will euch meine ersten Eindrücke von Tina S.A.M. und Co. nicht vorenthalten.

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Der obligatorische Vergleich...

Womit muss sich jedes Point and Click, das was auf sich hält, immer vergleichen? Na klar, mit Monkey Island. "Die Niedlichkeit und Kreativität von Studio Ghibli in einem Blade-Runner-ähnlichen Setting, mit dem Humor und Spielstil von Monkey Island..." sagt zumindest das Entwicklerstudio.

Doch wie beinahe jedes Mal hinkt der Monkey-Island-Vergleich. Auch bei Encodya wird er dem Spiel weder gerecht, noch ist er sonderlich klug gewählt. Ich verstehe tatsächlich auch nicht so ganz, warum sich Marketing-Teams immer wieder wie die Geier auf Guybrush und Co. stürzen: Es gibt auch noch zwei, drei andere Point and Clicks. Einen Vergleich mit bitter-süßen Adventures à la Daedalic hätte ich naheliegender gefunden.

Ghibli, Blade-Runner und Monkey Island... puh, eigentlich hinken diese drei Vergleiche alle ein wenig. Encodya ist deshalb auf gar keinen Fall ein schlechtes Spiel, das mal vorweg, aber man hätte sicherlich bessere Parallelen finden können, die man hier name-dropping-mäßig in den Raum wirft.

Für Monkey Island ist das Spiel deutlich zu melancholisch, zu knuffig, zu kitschig beinahe. Häufig lachen musste ich in den ersten Spielstunden tatsächlich nicht und das nicht, weil der Humor schlecht gewesen wäre: Es gab einfach nicht so viele Witzchen. Das Szenario ist bittersüß, manchmal herzig, aber lustig... irgendwie nicht.

Blade Runner... okay, meinetwegen, in der Adventure-Geschichte kommt ebenfalls eine unbarmherzige Zukunftsstadt vor. Meinetwegen, okay. Andere Vergleiche hätten es auch getan. Beneath a Steel Sky wäre doch auch mal nett gewesen.

Und Ghibli? Die versuchte Mischung aus Herz und Ernst hat auf alle Fälle Ähnlichkeiten mit den berühmten Animes, aber extrem abgedreht und schöpferisch genial kommt Encodya in den ersten Stunden nicht daher. Das Setting ist hübsch, detailverliebt, ästhetisch, aber... ihr versteht sicher ohnehin schon, was ich meine: Es ist nicht Ghibli, nicht Monkey Island und Blade Runner... naja, vielleicht ein wenig und mit gutem Willen.

Die Cyberpunk-Kulisse ist wunderbar detailverliebt

...das Herz...

Nach sehr vielen Punkten, was Encodya nicht ist, vielleicht aber mal zu dem, was es ist. Klar, Cyberpunk ist gerade überall. Die Welt von Encodya kommt auf den ersten Blick trotzdem nicht wie ein billiger Trittbrettfahrer auf dem Hype-Zug daher. Das spacige Point-and-Click wirkt zu detailliert, zu durchdacht, zu stimmig, um als liebloser Abklatsch abgetan zu werden. Und auch die Prämisse verspricht jede Menge Herz und "Awwww"-Potenzial: Ein kleines Straßenmädchen ohne Eltern und ihr treuer Roboter, der sie beschützt. Schniiiief. Klingt als müsste man die Taschentücher bereithalten (und wirklich gar nicht nach Monkey-Island-Humor oder?)

Der leicht melancholische, nachdenkliche Soundtrack und die tollen Kulissen tragen auch wunderbar zur lebhaften Spielatmosphäre bei. Immer wieder fliegen Taxis vorbei (japp, sie fliegen!), Roboter laufen durchs Bild oder dekorative Passanten kreuzen den Weg - Details über Details.

Nur bei Tina selbst habe ich mich schon gefragt, ob sich das Studio bei ihr wirklich dachte "japp, die sieht süß, vertrauenserweckend und überhaupt nicht gruselig aus." Ausgerechnet die Hauptfigur mit den großen, eisblauen Glupschaugen bewegt sich für mich optisch schon ziemlich tief im Uncanny Valley. Sie ist auf den ersten Blick ungefähr so "putzig" wie eine unheimliche Puppe, bei der man nachts manchmal doch etwas Angst hat, sie könnte Amok laufen. An diesen gruseligen Ersteindruck gewöhnt man sich aber doch schnell.

Tatsächlich schafft Tina nämlich etwas, was Kinder in Adventure-Spielen selten bei mir schaffen: Ich mag sie. Die kleinen Racker werden im Point and Click nämlich oft so gestelzt und altklug dargestellt, als hätten die Autoren noch nie zuvor ein echtes Kind gesehen (*hust* Sherlock Holmes *hust*). Tina hingegen handelt und spricht wirklich authentisch, wie ein Kind eben.

S.A.M. und die kleine Tina. Ähhhm... süß, oder?

...und der Holzhammer

Aber da ist leider doch noch ein kleines Manko, das mich an Chaosmongers liebevollem Adventure-Projekt bisher stört und das ist der gute alte Zaunpfahl, mit dem hier nicht nur gewunken, sondern munter um sich geschlagen wird. In seiner Kritik, politischen Botschaft, Moralvorstellung kommt mir das Cyberpunk-Abenteuer nämlich bisher nicht gerade subtil vor. Ein kleiner Hauch weniger deutlich und ich hätte es auch verstanden - und mehr das Gefühl gehabt, dass ich selbst denken und mir eine Meinung bilden darf.

In den ersten Minuten erfahren wir gleich, dass der Präsident, der rein zufällig etwas Ähnlichkeit zu einem gewissen orangenen Politiker hat, den wir kennen, total fies ist und den außer 75 Millionen Amerikaner sonst keiner mag. Wir erfahren, dass der Cyberspace böse ist, weil davon jeder abhängig wird und Tina kann immer auf den ersten Blick schon sagen, ob jemand nett und gemein ist. Ich will ihnen zurufen: Lasst mich das doch selbst entscheiden, verdammt! Ein Hauch weniger plakativ wäre schön gewesen.

Sonst macht Encodya nicht nur in Sachen Setting, sondern auch beim Schwierigkeitsgrad einiges richtig. Die Rätsel-Lösungen kamen mir bisher nicht mit dem Holzhammer eingeprügelt vor. Encodya hat am Anfang nicht tausend Schauplätze und Items gleichzeitig, dass man sich total erschlagen fühlt, schenkt einem die Lösungen auch nicht. Ich hing tatsächlich mitten im Livestream eine Stunde lang im Spiel fest, nur weil ich einfach einen einzelnen Gegenstand nicht finden konnte (...der noch dazu ziemlich offensichtlich war) - hach, das ist der Stoff, aus dem Point and Clicks eben gemacht sind. Für klassisch-masochistisches Knobelfutter ist also durchaus gesorgt.

Nach meinem ersten Eindruck machen Tina und ihr Roboter zumindest schon einmal Lust auf mehr. Auf mehr Rätsel, süße Figuren, auf mehr von der tollen Cyberpunk-Kulisse, aber auch auf etwas mehr Tiefgang, der eben nicht nur an der Oberfläche kratzt und sich dann als nachdenklich ausgibt. Herz und Hirn sind mir lieber als Herz und Holzhammer. Ich bin gespannt, wie es mit den beiden ungleichen Freunden weitergeht.

Seid ihr ebenfalls neugierig? Encodya gibt es aktuell etwas vergünstigt für 19,99 Euro auf Steam

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Judith Carl Avatar
Judith Carl ist Volontärin für News und Social Media bei Eurogamer.de. Judith hat Medienwissenschaften studiert. Sie streamt begeistert am liebsten Rollenspiele und Adventure Games auf Twitch. Ihre weiteren Leidenschaften sind LARP, Pen and Paper, und Trash-Filme.
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