Endless Legend - Test
Es will euch mit generischem Namen und Unzugänglichkeit auf Abstand halten - Lasst das nicht zu!
Manche Spiele wollen einfach nicht ansprechen. Mein Name ist Endless Legend, was so generisch aber gleichzeitig nicht griffig genug ist, um hängenzubleiben. Mein Cover ist belanglos, meine Screenshots klein und auch sonst tue ich einfach mal so, als wäre ich nichts Besonderes. Und sollte das nicht reichen: Ich mache mich einfach mal so intuitiv wie Photoshop, das sollte auch noch den letzten unbedarft Interessierten abschrecken.
Warum sich Endless Legend, das antut, ist mir völlig unklar. Das hier ist ein echter Geheimtipp, gerade für fortgeschrittene Genre-Einsteiger. Angesichts der inhärenten Komplexität eines guten 4X-Spiels - und das ist das hier! - hängt aber vieles davon ab, wie man in das Spiel hineingeführt wird. Eine Möglichkeit wäre eine Tutorial-Kampagne, die einem nach und nach die Mechaniken vorführt, durch Wiederholung funktioniert, wo es nötig ist, erklärt, wo es gebraucht wird, einem das Spiel in unterhaltsamen Stunden näherbringt und so ein wenig den Schock der Wucht all der Optionen herausnimmt. Oder man schmeißt den Spieler einfach in ein monströses Hauptmenü und guckt mal, wie es wird. Ist auch eine Variante, gebe ich zu.
Ja, es gibt ein Tutorial, aber das ist ein schlechter Witz. Es erklärt noch nicht einmal sinnvoll die Stärken, die Endless Legend zu bieten hat. Zum Beispiel, dass die Fraktionen nicht nur unterschiedliche Grafiksets mit ein paar Unterschieden in den Einheiten darstellen, sondern dass sie grundverschiedene Spielstile bedeuten. Meine Favoriten beispielsweise sind die Händler, die Roving-Clans, welche keinen Krieg starten können. Ihr Städte können wandern - es sind letztlich elaborierte Wagenburgen -, sie haben Zugang zu allem und jedem, Boni ohne Ende aber trotz all dieser Vorteile können sie eines nicht: Krieg erklären. Es liegt einfach nicht in ihrer Natur, es widerspricht ihrem Lebensstil. Das wäre zum Beispiel eine Information, die man einem neuen Spieler leichter näherbringen könnte als in einer sehr knapp gehaltenen Pop-up-Box in einem zwar aufgeräumt wirkenden, aber letztendlich extrem vollgepackten und mächtigen Optionsmenü zum Start einer Runde mit bis zu 600 langen Spielzügen.
Dieses Pop-up-Fenster ist dann auch der Unterschied zu einigen der komplett verschlossenen Paradox-Monster, aber ja, Endless Legend reicht euch die Schlüssel zu einem wahren Königreich an 4X-Freuden nicht, ohne dabei zickig zu sein. Es lohnt sich jedoch, sie hier reinzufressen. Bleiben wir kurz beim Offensichtlichen: Das Spiel sieht traumhaft aus. Die Karte selbst hat mehr Charakter als manch ganzes Spiel. Zoomt ihr weit genug heraus, verwandelt sie sich in eine Art Pergamentansicht. Kein ganz neuer Effekt, aber es sieht gut aus. Die Figuren selbst sind hübsch animiert, die Städte der Fraktionen haben alle Charme, es macht Spaß, Endless Lebend anzuschauen. In dem Genre ist das nicht alltäglich.
Der Hauptgrund meiner Begeisterung ist aber die nach ein paar (Dutzend) Runden einkehrende, einfach runde Spielbarkeit. All die Menüs und Screens mögen am Anfang einfach nur kryptisch sein, nach und nach merkt man, dass sich jemand was dabei dachte, oder zumindest merkt man sich wenigstens, wo sich was befindet. Es ist dabei auch nicht so wichtig, dass das Spiel einen über die Ausgangslage ein wenig im Dunkeln lässt, solange man sich nicht gegen den angedachten Spielstil der gewählten Fraktion wehrt, sondern versucht, damit klarzukommen.
Dann setzt die Routine ein. Standort für die erste - und bei einer der Fraktionen auch einzige - Stadt wählen, ein wenig erkunden, die ersten Ruinen plündern und dann auf ein paar Dörfer stoßen. Ob ihr sie überfallt und plündert - sofern ihr die Truppen dafür habt - oder lieber für sie eine kleine Quest erfüllt, damit sie loyal werden, bleibt euch überlassen. Letzteres zahlt sich hier aber wirklich aus, da ihr dann nicht das Dorf neu aufbauen müsst, bevor ihr es nutzen könnt. Neue Siedler, neue Truppen, der etwas langweilige und im späteren Verlauf fast chaotische Tech-Tree wird erforscht, die Routine ist bekannt. Daran ändern die Helden wenig, deren Aufstieg ebenfalls wenig aufregende Spezialfertigkeiten bereithält.
Nach wieder einmal etwa 50 Runden fragte ich mich dann schon wirklich, wo denn die Computer-KI bleibt. Immerhin hatte ich für diese Runde einen höheren Schwierigkeitsgrad ausgewählt, um zügig ein wenig Action zu sehen, selbst wenn ich verlieren sollte. Aber diese Sorge war erst einmal unnötig. Es griff keiner so richtig an. Ich zog nicht zu übertrieben aggressiv durch das Land, baute mein Imperium auf und keinen schien es so richtig zu stören. Bis ich dann diese Übermacht ausnutzte und hart durchgriff. Der folgende Krieg dauerte ein Weilchen, die Verluste waren höher als gedacht, aber ich nehme an, dass es nie passiert wäre, hätte ich nicht die Initiative ergriffen. Gerade im Vergleich zu Civilization ist die KI sehr passiv, ohne daraus anderweitigen Gewinn zu ziehen. Wenn sie dann aber gezwungen ist loszulegen, dann schlägt sie sich mehr als nur anständig. Vor allem auf dem Schlachtfeld.
Der Kampf wird ebenfalls rundenweise ausgetragen, indem ein Teil der Karte als angegrenztes Gebiet genutzt wird, alle Geländefaktoren miteinbezogen. Hügel, Wälder, Klippe und mehr spielen bei der Bewegung und Boni eine riesige Rolle und sofern ihr nicht gerade mit dem Vorteil erdrückender Übermacht anrückt, kann euch auch ein schwächerer, aber gut positionierter Gegner schmerzliche Verluste beibringen. Es könnte insgesamt ein paar mehr Einheiten für jede Fraktion geben, es dreht sich in der Essenz um vier wichtige in jeder Rasse, aber zumindest scheint auf diese Weise eine gute Balance gewahrt. Ich hatte nie den Eindruck, dass ein Gegner aufgrund seiner Truppenart einen unfairen Vorteil hatte.
Geht es nach dem Kampf an die Diplomatie, merkt man deutlich, dass die Routinen noch nicht da sind, wo der große Konkurrent seine Rädchen drehen lässt. Die Reaktionen sind klar berechenbar, wenn ihr die Fraktion berücksichtigt, und schon nach ein paar Runden werdet ihr ganz gut abschätzen können, was geht und was nicht.
Und so geht es dann über die Karte, eine nach der anderen, denn eine „richtige" Kampagne werdet ihr nicht finden. Eine solche schreibt sich allerdings bei einer langen Runde mit 600 Zügen selbst, und das auf einer ebenfalls so definierbaren großen Karte. Zudem gibt es den Fortschritt der Entwicklung der gewählten Fraktion, und das auch in erstaunlich gut geschriebenem Text auf Englisch und reichlich holperig auf Deutsch verpackt. Kleine Geschichten am Rande gibt es eh durch die Zufalls-Quests, und das ist schließlich, was die Historie eines lebendigen Fantasy-Reiches ausmacht. Da Endless Legend ja leider eine bissige KI angeht, könnt ihr entweder privat mit Freunden oder im offenen Online-Spiel in den Multiplayer-Modus starten, aber nehmt euch Zeit und sucht euch Leute mit Spieldisziplin. Das kann sich ziehen, selbst auf einer kleinen Karte mit schnellen Zügen reicht nicht immer ein Abend, um sie zu Ende zu bringen.
Eine kurze Anmerkung noch: Ich habe den indirekten Vorgänger Endless Space nicht gespielt. Endless Legend allerdings spielt im gleichen Universum und einige der Rassen haben auch Bezüge und Technologien, die in Richtung Science-Fiction driften. Das passiert jedoch alles dezent und Leuten wie mir, die den Vorgänger nicht kennen, würde es gar nicht auffallen. Vorkenntnisse sind also nicht nötig, werden aber wohl ein klein wenig belohnt.
Endless Legend spielt definitiv in der Oberliga des intelligenten PC-Gamings. Sein Umfang kann es mit all seinen direkten Konkurrenten aufnehmen, es sieht besser aus als fast alle anderen 4X-Titel und unbenutzbar für die erste Stunde waren die damals alle. Schade, dass sich Endless Legend nicht aufraffte, seinen Einstieg etwas freundlicher zu gestalten und die Menüs ein wenig mehr durchzutrimmen. Gerade mit seiner, nun, ich nenne sie mal „spielerfreundlichen KI" - um sie nicht faul zu nennen - könnte es ein gutes Spiel sein, um in das ja sonst auch nicht so zugängliche 4X-Genre zu finden, und das ohne die Komplexität zu opfern. Hätte, könnte, sollte, am Ende habt ihr hier das derzeit schönste Spiel seiner Art, das euch eine brillante Auswahl an Fraktionen und damit Spielstilen bietet und Spaß für viele, viele, viele Abende. Ein bisschen mehr Biss für die KI, ein besser ausgestaltetes Endgame, einen etwas mehr fokussierten Tech-Tree und Firaxis muss sich beim nächsten Endless Irgendwas warm anziehen.