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Endless Space 2 - Ganz nah an der Community

Komplexe Zahlen auf Wunsch, eigene Fraktion aus Leidenschaft: Zu Besuch bei Amplitude

Inmitten von imposanten Altbaugebäuden im Pariser Osten, haben die Amplitude Studios ihre Büros in einer unscheinbaren Bausünde aus den 1980er Jahren bezogen. Auf drei Etagen arbeiten hier die Strategie-Spezialisten an der Fortsetzung des rundenbasierten Sci-Fi-Spiels Endless Space, das, gut fünf Jahre nach dem Release des ersten Teils und einem danach folgenden Ausflug ins Fantasy-Genre mit Endless Legend, Globalstrategie-Fans erneut für den Aufbau eines interstellaren Reichs begeistern soll.

Zumindest der Blick von drinnen passt. Auf dem Balkon der Amplitude Studios.

Begrüßt werde ich bei meinem Studiobesuch von Mathieu Girard, dem leitenden Manager und einem der Mitbegründer des Studios, mit den Worten: "Lass uns erst mal etwas Essen." Eine gute Idee, die Arbeitsplätze sind eh verwaist, weil sich die komplette Belegschaft an dem sonnigen Maitag auf der Dachterrasse befindet, um gemeinsam ihre Mahlzeit einzunehmen.

Knapp 60 Mitarbeiter sind bei dem ehemaligen Indie-Studio, das Mitte 2016 von SEGA vollständig übernommen wurde, beschäftigt und es herrscht eine erstaunlich entspannte, geradezu familiäre, Atmosphäre. Flache Hierarchien und ein freundlicher Umgangston sind die Eckpfeiler des Management-Stils von Amplitude. Die Chefs sitzen gemeinsam mit den Angestellten in Großraumbüros und sind jederzeit ansprechbar, es gibt keine Crunchtime, welche die Mitarbeiter in den letzten Wochen vor Erscheinen eines neuen Spiels an den Rand der Erschöpfung treiben. "Seit 2011 haben uns nur eine Handvoll Mitarbeiter verlassen. Und das aus persönlichen Gründen, niemals wegen dem Arbeitsumfeld.", erklärt mir Girard mit sichtlichem Stolz.

Endless Großraumbüro.

Während er mir - nach dem Essen natürlich - die einzelnen Abteilungen vorstellt und ich 3D-Künstlern über die Schulter schaue, die letzte Hand an der grafischen Ausgestaltung von Raumschiffen und Helden der im Spiel vorhandenen Alien-Fraktionen anlegen, das hauseigene Tonstudio und den professionellen Aufnahmeraum für Twitch-Streams besuche, kommt Girard ins Schwärmen. Er erzählt von seiner Zeit bei Ubisoft, in der er seit 1999 als Produzent an Ruse und Spielen der Ghost-Recon-Serie gearbeitet hat. Und wie er seine Idee von einem 4X-Strategiespiel mit Science-Fiction-Hintergrund nicht mehr aus dem Kopf bekam. Er konnte einige Gleichgesinnte aus der Branche überzeugen und so haben sich 2011 sechs Taktik-Tüftler zusammengefunden und die Amplitude Studios gegründet. Fünf von ihnen sind immer noch dabei, den sechsten Gründer habe man bei Seite geschafft, sagt Girard ohne mit der Wimper zu zucken. Wahrscheinlich nur ein Scherz.

Nichts, womit ihr euch gleich zum Start befassen solltet, selbst wenn ihr sie mit entworfen habt: Die Unfallen.

Der Erfolg von Endless Space war für die frische Indie-Truppe eine dicke Überraschung. Ein Strategie-Spiel auf dem PC, einer Plattform die vor sechs Jahren schwer von Raubkopierern gebeutelt wurde und mehr auf Konsolenports als Eigenentwicklungen setzte, wurde keine schillernde Zukunft vorausgesagt und die Anschubfinanzierung lief nahezu komplett über die Ersparnisse der Gründer und Anleihen bei Freunden und Familie. Geplant wurde mit einem Absatz von etwa 60.000 Einheiten, bis jetzt sind es dann doch 1,2 Millionen geworden. Ein durchschlagender Erfolg, der vor allem der Community-Arbeit und dem direkten Ansprechen der Fans zu verdanken ist.

Endless Space konnte von Interessierten, lange bevor es Steam mit Early Access gab, schon in der Alpha-Version gespielt werden und das Feedback floss in die weitere Entwicklung ein. Eine eigene Plattform mit dem Namen Games2gether, dient dabei als zentrale Anlaufstelle für den Gedankenaustausch. Jeder Kommentar wurde ernst genommen und beantwortet, jede Idee von den Entwicklern diskutiert. Das sorgte für eine solide Basis an Spielern, immer mehr digitalen Verkäufen und das wachsende Interesse von großen Publishern an dem kleinen Start-up.

Insiderwissen.

Zugeschlagen hat 2016 dann SEGA, die Amplitude komplett übernommen und damit, neben Creative Assembly und Relic Entertainment, ein weiteres Standbein im Strategiespiel-Sektor bekommen haben. Girard ist glücklich über den neuen Großen Bruder, der zwar auf Profitabilität pocht, aber sich nicht in die kreativen Prozesse einmischt. Man könne sich jetzt mit den Kollegen von CA und Relic bei Bedarf austauschen und einen SEGA Basketball-Spielautomaten, an dem die Mitarbeiter zur Entspannung ein paar Körbe werfen können, habe man jetzt auch.

Sie sind jetzt halt SEGA. Es gibt Schlimmeres, vor allem, wenn dann gleich erst mal ein Sonic-Basketball-Automat im Studio aufpoppt.

Seit September letzten Jahres befindet sich Endless Space 2 im Early Access auf Steam und in der Zeit wurde wieder fleißig mit den Fans über Verbesserungen und Neuerungen diskutiert. Deutlich größer wird der Nachfolger werden und mit den Lumeris, Vodyani, Riftborn und Unfallen vier brandneue Fraktionen bieten. Bei den Unfallen, eine Art Baum-Aliens, handelt es sich übrigens um eine reine Fankreation, dem Gewinner eines Community-Wettbewerbs, der von den Entwicklern als spielbare Fraktion umgesetzt wurde.

"Es ist ein massives Spiel", erklärt mir Romain de Waubert de Genlis, der Creative Director (und auch einer der Mitbegründer) von Amplitude. "Wir haben nicht nur die Optik komplett überarbeitet, neue Animationen der Helden und aufwändige Film-Sequenzen für die Fraktionen eingebaut, sondern auch an einer ganzen Reihe spielmechanischer Stellschrauben gedreht."

Endless Bier.

Es gibt 15 sogenannte "Minor Factions", mit denen interagiert werden kann, neue Siegbedingungen (Vorherrschaft, Eroberung, Wissenschaft, Wunder, Wirtschaft), ein stark erweitertes Modding, bei dem Fans von der Grafik bis zur KI alles nach Wunsch anpassen und ihr Wissen in Steam-Workshops teilen können, erweiterte Fähigkeiten-Bäume der Helden, die als General oder Statthalter eingesetzt werden und ihr eigenes, sehr mächtiges, Raumschiff besitzen. Diplomatie- und Politik-Aspekte, in dem die Regierungsform des wachsenden Volkes gewählt und auch alle zwanzig Runden wieder geändert werden kann, wenn man feststellt, dass sich die galaktische Bevölkerung in einer Diktatur doch nicht so wohl fühlt.

Mathieu Girard (Studio Manager, Production Director) und Romain de Waubert de Genlis (Creative Director)

Das Truppen-Management geht deutlich mehr in die Tiefe, in den Raumschlachten wird zu Beginn eines Konflikts die Strategie festgelegt und dann gespannt der automatische Ablauf des Schlagabtauschs verfolgt, es gibt kooperative und kompetitive Multiplayer-Quests und die Meta-Story von Endless Space 2 kommt erst nach einem ausgiebigen Endgame, bei dem es einige harte Entscheidungen zu treffen gilt, zu einem Abschluss. Statistik-Fans drücken jetzt einfach die Leertaste und können sich zu jedem Planeten, System oder Volk massig Kennzahlen anschauen.

Übrigens ein dringender Wunsch aus der Community, möglichst einfach an komplexes Zahlenmaterial zu gelangen. Die Liste ist lang und die meisten Features wurden bereits während der Early-Access-Phase implementiert und konnten ausgiebig ausprobiert werden. Die konsequente Community-Nähe zahlt sich wieder aus für die Entwickler und Endless Space 2 wird wohl den Erfolg der Franzosen nahtlos fortsetzen.

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