Erstkontakt: Wing Commander 2
Da ist ein Loch in meinem Herzen...
Wing Commander 2 ist vermutlich meine größte Bildungslücke in Sachen Spiele. Nicht, weil es besonders legendär war, Teil eins und drei waren jeder für sich deutlich wegweisender, sondern aus ganz persönlichen Gründen. Das erste Wing Commander ist das Spiel, wegen dem ich heute hier sitze und diesen Job mache. Es muss etwa 1991 gewesen sein, als mir ein Freund sagte, "komm wir gehen rüber ins Zimmer meines Bruders. Ich muss dir was zeigen." Dort, am 486er des wohl coolsten Oberstufenschülers, den ich kannte, schossen fantastische Raumflieger in nie gesehener Grafik über den Bildschirm. Ein Krieg der Sterne zum Mitspielen.
Von dem Moment an war klar, dass weder mein eigener Atari VCS 2600 noch die Spielbesuche bei hardwareseitig besser ausgestatteten Kumpels es in Zukunft noch bringen würden. Ich musste aufrüsten. Aber wie macht man das als - gelinde gesagt - budgetär gehandicapter Dreizehnjähriger einer sowieso nicht gerade wohlbetuchten Familie? Nun, wenn man Glück hat, ist man evangelisch und die Konfirmation ist nicht mehr allzu lange hin. Frommere Naturen als ich mögen mir meinen Materialismus verzeihen. Aber für mich war das religiöse Coming of age tatsächlich vor allem der Moment, in dem mein Traum, selbst Wing Commander zu werden, in Erfüllung gehen konnte.
Der Tag der Wahrheit
Und siehe: Die Verwandtschaft kam zahlreich und großzügig. 1.400 Mark und ein paar Zerquetschte versteckten sich unterm Strich in diversen Briefumschlägen und hinter den Falzen von Schokoladentafeln. Noch nie hatte ich so viel Geld gesehen. Klar, dass das keine zwei Tage später schnell weg musste. Geduld war schon damals nicht meine Stärke, weshalb ich beim einzigen Computergeschäft meiner Kleinstadt ausgerechnet einen Amiga 1200 samt 1084s-Monitor und eben Wing Commander erstand. Gut fand das niemand, vor allem nicht die Teile der Verwandtschaft, die das neutechnologische Gewese mitbekamen, weil sie wegen der langen Anreise noch einige Tage nach der Konfirmation bei uns verbrachten. Aber Computer, so wusste eine weise Tante, sind ja auch zum Lernen gut.
Langer Rede kurzer Sinn: Wing Commander veränderte in den folgenden Wochen und Monaten nachhaltig, wie ich über Computerspiele und ihren Platz in meinem Leben dachte. Umso tragischer war es, dass ich in meinem kindlichen Eifer auf die falsche Plattform gesetzt hatte. Der Amiga war auf dem absteigenden Ast und der Spielenachschub ebbte ab. Wing Commander 2 sollte mir bis heute verwehrt bleiben, denn es erschien noch im Jahr meiner Konfirmation nur noch auf MS-DOS.
Teil drei, erstmals mit Mark Hamill als Colonel Christopher Blair, spielte und liebte ich Weihnachten 1997 auf der PSone beinahe ebenso abgöttisch wie seinerzeit den ersten. Alles, was danach kam, entging mir ebenfalls nicht - Prophecy zuletzt auf meinem ersten eigenen PC -, aber ganz die Liebe von damals wurde es nicht mehr. Die Frage ist: Kommt sie jetzt bei meinem Erstkontakt mit Teil zwei wieder hoch? Immerhin ist das hier das Spiel, das zwischen zwei meiner Lieblinge erschien und ein wichtiges Bindeglied dieses für mich so prägenden Universums.
Schon mit dem Intro flammt sie kurz, aber hell wieder auf. Ein bildschirmfüllender, blauer Planet. Davor ein pixeliger Dirigent vor der Silhouette seines Orchtesters, das wild durcheinander seine Instrumente stimmt. Er tippt mit dem Taktstock an den Notenständer, alle geben einen Augenblick Ruhe, bevor die für die Zeit typischen Midiklänge das "OriginFX Sounds and Graphics System" anpreisen. Ich bin mit einem Schlag zwanzig Jahre jünger. Überhaupt: Musikalisch und vor allem optisch gefällt Wing Commander 2 noch immer ausgezeichnet. Ich kann mich zwar erinnern, damals anhand der Magazinberichte - noch auf Papier, das möge sich mal einer vorstellen! - über die grafische Steigerung zum ersten Teil geradezu fassungslos gewesen zu sein. Jetzt, mit dem tatsächlichen Spiel unter der Nase, kommt mir die Aufmachung fast identisch vor, vielleicht etwas bunter.
Auch wenn das visuelle Gefälle gefühlt flacher ausfällt als erwartet, hat sich das Spiel rein vom Look her trotzdem ausgezeichnet gehalten, besser jedenfalls als polygonbasierte 3D-Spiele deutlich jüngeren Erscheinungsdatums. Diese sehen heute mit undefinierten Texturen und klobigen Modellen Jahre später meist deutlich derber und charakterschwächer aus. Die Art-Direction von Wing Commander 2 ist hingegen sehr eigen, stilsicher und dabei immer noch hübsch. Die Schiffsdesigns sind ganz vortrefflich gelungen und regen die Fantasie an, die wundervoll handgepixelten Charakterporträts versprühen noch immer den Glamour des damals wohl aufwendigsten Spiels aller Zeiten. Für nicht wenige dürfte es auch das erste Mal gewesen sein, dass sie den Computer sprechen hörten. Als einer der frühesten Titeln mit digitalisierten Stimmen ist sogar einigen der Sprechern die Aufregung anzuhören, Teil dieser spannenden, neuen Entwicklung zu sein. Ja, diesem Spiel nehme ich nach wenigen Minuten ab, dass ich damals Feuer und Flamme dafür gewesen wäre.
"Ja, diesem Spiel nehme ich nach wenigen Minuten ab, dass ich damals Feuer und Flamme dafür gewesen wäre."
Noch bevor ich also das erste Mal im WC2-Cockpit sitze, ahne ich fast, dass mir lange Nächte bevorstehen. Die Ernüchterung folgt allerdings schnell, als ich das erste Mal den Stick in die Hand nehme. Es bricht mir fast das Herz, aber ein "Golden Oldie", der heute noch den gleichen Spaß macht wie damals, ist Wing Commander 2 nicht. Damals war es mir und Tausenden weiteren Fans noch nicht klar, aber diese Art von Technik war nie wirklich dazu geeignet, ein Spiel im vollkommen dreidimensionalen Raum zu befeuern. Die Engine kippt, dreht und zoomt zweidimensionale, pixelige Schiffe nämlich so, dass die Illusion der Bewegung erzeugt werden soll, was vollkommen ungeachtet der Rechenpower des benutzten PCs niemals zu einem flüssigen, stimmigen Gesamtbild führt.
Wir wussten es nicht besser.
Wie mein Hirn es hinbekommen hat, mir vorzugaukeln, das hier wäre damals spitzenmäßig spielbar gewesen, entzieht sich meiner Vorstellungskraft. Die Schiffsprites zuckeln unschön über den Screen, Bewegungsrichtung und Tempo sind oft nur schwer zu lesen und wenn man nah rankommt, weiß man selten, wo bei einem der Raumer vorne oder hinten ist. Standbilder vermitteln nicht ansatzweise , wie schwierig und teilweise frustrierend das heute zu spielen ist. Man steuert keinen Jäger, sondern dreht eine Bildschirmansicht so lange, bis man etwas kupferfarbenes unter dem Fadenkreuz hat. Dann drückt man ab.
Fast jede Raumschlacht endet so im Chaos, weil man Gefechtssituationen einfach nicht in einem Maße erfassen kann, das es einem ermöglicht, sich eine Taktik zurechtzulegen. Und wenn man doch mal meint, einen Plan zu haben, verweigern die angefunkten Flügelmänner mal wieder einen der wenigen möglichen Befehle. Überhaupt ist die KI nicht gerade geeignet, um sich mit ihr wirklich spannende Schlachten zu liefern. Die stetig den eigenen Jet umkreisenden Feindflieger suchen im Kamikazestil ständig den direktesten Weg zum Spieler. Missionstypen gibt es von Patrouillen über Eskorten bis hin zur Großkampfschiffzerstörung zwar einige. Doch auch hier hat wohl damals häufig die Fantasie die Lücken gefüllt, die heute dazu führen, dass sich fast jeder Einsatz gleich anfühlt: Flieg' von Nav-Punkt zu Nav-Punkt und erledige dort alle Kilrathi.
"Zwischen den Missionen hat mich als alten Fan der Reihe gleichermaßen gewundert und ernüchtert, dass das Spiel in einigen Bereichen etwas eingedampft wurde."
Abseits der technisch bedingten Probleme hat mich als alten Fan der Reihe gleichermaßen gewundert und ernüchtert, dass das Spiel in einigen Bereichen etwas eingedampft wurde. So gibt es zum Beispiel keine Bestenliste mehr, auf der man sich mit den übrigen Kollegen aus der Fliegerstaffel messen könnte. Missionszahl und Abschüsse des Spielcharakters werden stattdessen im Speichermenü angezeigt, was doch mehr als nur etwas "meh" anmutet. Orden oder Beförderungen für herausragende Leistungen sind folglich ebenfalls passé. Das passt zwar gut zur Handlung passt, nimmt dem Spieler jedoch die Chance, sich in bestimmten Einsätzen besonders auszuzeichnen. Auch wichen die frei wählbaren Gespräche mit anderen Crewmitgliedern Zwischensequenzen, die man sich entweder anschaute oder zugunsten eines direkten Missionsstarts übersprang. Klar: In Wing Commander 1 gab es auf dem Schiff auch nicht viel mehr zu tun, als die Abschussliste einzusehen, dann in der Schiffsbar zunächst den einen, dann den anderen Charakter anzusprechen. Vielleicht wagte man noch eine Runde im Simulator, bevor man sich durch die Schlafkammern auf den Weg zur Einsatzbesprechung machte. Aber so entstand ein bisschen mehr das Gefühl, sich durch ein Schiff zu bewegen, Teil der Crew zu sein. In Teil zwei gibt es stattdessen einen besseren Speicherbildschirm mit je einer Schaltfläche für Missionsstart und Story.
Bin ich also enttäuscht oder gar traurig, diesen blinden Fleck aus meiner persönlichen Spielehistorie getilgt zu haben? Nein, es ist schließlich kein Geheimnis, dass heute vieles, was damals von Magazinen mit Gold überhäuft wurde, schon lange unschöne Patina angesetzt hat. Insofern bin ich eher überrascht darüber, wie es sein konnte, dass ich mir damals, auf dem Rücken dieser Technik, vorkam wie eine coolere, tödlichere Version von Luke Skywalker. Wing Commander 2 sitzt wie so viele Titel seiner Ära ein bisschen unbequem auf der schmalen, scharfen Kante zwischen 2D-Tradition und 3D-Pionierarbeit, die dafür sorgt, dass sie heute schwer zu spielen sind. Ich hatte zwar gehofft, ohne Weiteres und mit ungebremster Freude wieder einzusteigen, es aber nicht erwartet. Tatsächlich sterbe ich elend viele Tode, die ich mir nicht erklären kann, und hänge aktuell in einer Mission fest, von der ich keinen Schimmer habe, wie ich sie jemals schaffen soll.
Trotzdem bringe ich es nicht übers Herz, den Joystick an den Nagel zu hängen. Es gilt immerhin, die Tiger's Claw zu rächen und Maverick zu rehabilitieren, den man für ihre Zerstörung verantwortlich machte. Beiden habe ich einiges zu verdanken, so viel ist klar. Wie könnte ich sie hängenlassen?