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Erzähl mir eine Geschichte – Storytelling in Videospielen.

Warum ist nicht jede Handlung alles ist, was sie sein könnte und welche Stärken das Medium wirklich bietet.

Gute Handlungen in Videospielen sind selten. Darüber sind wir uns wohl alle einig. Sollen positive Beispiele genannt werden, fallen ein Dutzend Mal die gleichen Namen, bevor der Raum verstummt und alle nachdenkliche Gesichter aufsetzen. Dabei liegt dieser Fehler oft gar nicht bei den Geschichten selbst, die zumeist interessante Charaktere und Welten bieten. Der Übeltäter hält sich im Hintergrund auf und zieht die Fäden, mit denen er den Verlauf der Story bestimmt. Das wahre Problem findet sich nämlich meist in der Erzählweise.

Wie und durch welche Mittel eine Geschichte erzählt wird, ist in jedem Medium ein wichtiges Handwerk, das durch die Interaktion in Spielen sogar noch gesteigert wird. Als Spieler können wir Dinge nicht nur optisch oder akustisch wahrnehmen, sondern sie direkt erleben.

Interaktivität ist die stärkste Waffe

Besitzt die Handlung beispielsweise einen fiesen Antagonisten, können wir seine Macht und perverse Natur durch den Charakter am eigenen Leib spüren. Nehmen wir das erste Halo zur besseren Erklärung. In der ersten Hälfte zerlegt ihr ganze Alien-Armeen im Alleingang, ohne dass ihr auch nur den Hauch von Unterlegenheit verspürt. Ihr seht ihre Zahlen und die Größe eines Raumschiffs, trotzdem kämpft ihr ohne Probleme gegen sie und habt bei jeder Situation ein sicheres Gefühl. Der Satz “Das kann ich schaffen!" ist immer präsent.

“Oh shit, oh shit, oh shit!” - Jeder Halo-Spieler.

Dann startet ihr die Mission '343 Guilty Spark' und trefft das erste Mal auf die Flood. Vor dem Kontakt lauft ihr durch einen nebeligen Sumpf gefolgt von einer leeren Station und bekommt dadurch ein beklemmendes Gefühl vermittelt. Irgendetwas stimmt hier nicht und ihr fühl zum ersten Mal Unsicherheit. Schließlich bricht die Flood aus und ihr steht einer ungewohnt großen Zahl an Widersachern gegenüber, deren Aussehen fremd und dadurch beängstigend wirkt. Ihr habt keine andere Chance als den Rückzug anzutreten und flieht. Panik setzt ein, die euch schneller durch die Korridore eilen lässt. Der zuvor unbesiegbare Space Marine bekommt plötzlich Angst und setzt zur Flucht an.

Zuerst lässt man euch das ganze Spiel wie eine unaufhaltsame Maschine gegen die außerirdische Übermacht antreten, nur um nach der Hälfte den Spieß komplett umzudrehen und euch den Schweiß aus den Poren zu treiben. Man demonstriert euch direkt die unheimliche Kraft und gibt euch einen Grund, warum diese unheimliche Lebensform beseitigt werden muss.

Solche Szenen, die euch mehr über die fiesen Aktivitäten eures Gegenspielers erzählen, anstatt sie in Form einer interaktiven Sequenz zu zeigen, finden sich in Spielen viel zu selten. Ansonsten habt ihr keinerlei Motivation, den Fiesling zu hassen oder ihn durch eure Hand sterben sehen zu wollen.

Glatze als Metapher für ein neugeborenes Selbst. Anstatt des Griffs in die Klischee-Kiste hätte man die Wandlung lieber durch eine Gameplay-Veränderung darstellen sollen.

So geschehen in Max Payne 3, das durch seine mit politischem Unterton übergossenen und fast schon überladenen Monologe den Bösewicht aus den Augen verliert, der eigentlich das Ziel für den Neustart und die Erlösung von Max repräsentiert. Innerhalb der letzten drei Missionen serviert man zwei Zwischenbosse ab, von denen ihr noch nie etwas gehört habt, und wirft anschließend den Drahtzieher hinter der ganzen Angelegenheit hinein, ohne ihn genauer zu charakterisieren. Warum soll diese Wurst mich jetzt interessieren? Habe ich wirklich eine persönliche Motivation, ihn zu töten oder will ich nur das Spiel beenden und ihn umbringen, weil er mir im Wege steht?

Informations-Overkill

Ein weiteres Problem betrifft besonders Spiele mit einer unbekannten Welt voller Zivilisationen, Geschichten und Charakteren. Sie wollen euch all die interessanten Dinge zeigen, an denen das Team jahrelang gearbeitet hat, und übergießen den Spieler letztendlich mit einem Fluss an Informationen, in dem viele Leute ertrinken.

Dazu kommt, dass öfters ein Charakter gewählt wird, der sich bereits in dieser Welt auskennt und wirklich keine Fragen stellen muss. Andere Figuren halten sich ihm gegenüber daher nicht mit Hunderten Namen, Anspielungen und vergangenen Ereignissen zurück. Der Spieler weiß darüber leider nichts und findet sich nur zurecht, wenn er die nötige Zeit zur Aufnahme der Informationen investiert.

Schaut euch die ersten fünf Minuten in Skyrim an. Ihr sitzt zusammen mit anderen Gefangenen auf einem Wagen, der zu eurer Hinrichtung fährt. Auf dem Weg reden einige Personen über politische Aktivitäten und Gruppierungen, die ich als Neuling weder kenne, noch irgendwie einordnen kann. Ich habe das Spiel vor einer Minute gestartet und weiß, dass es in einem mittelalterlichen Setting spielt und wahrscheinlich ständig kalt ist. Mehr nicht.

Schaut euch die ersten fünf Minuten in Skyrim an. Ihr sitzt zusammen mit anderen Gefangenen auf einem Wagen, der zu eurer Hinrichtung fährt.

Wer seid ihr? Worum geht's? Warum redet ihr auf dem Weg zu einer Hinrichtung überhaupt über solche Dinge?

Mass Effect begeht den gleichen Fehler und bringt den Spielfluss nach der ersten Mission durch eine zweistündige Lektüre über die Angelegenheiten des Universums ins Stocken. Ich habe drei Anläufe gebraucht, bis ich es zum nächsten Auftrag schaffte, ohne dass ich der Langeweile erlag. Mir ist bewusst, dass manche Leute sich daran nicht stören, jedes offene Buch in der Welt analysieren und wie ein mentaler Staubsauger auch das kleinste Detail genüsslich in gedankliche Aktenordner einsortieren.

Wenn ich aber nur der zentralen Geschichte folgen will, muss mir diese auch deutlicher erzählt werden. Nehmt einen Protagonisten, durch dessen Haut man als Spieler alles erklärt bekommt. Wenn Figuren innerhalb der Welt dem Protagonisten etwas erzählen, erhaltet ihr die gleichen Informationen, ohne dass es sich wie ein Tutorial anfühlt.

Habt ihr euch schon einmal Gedanken darüber gemacht, warum Gordon Freeman nach den Ereignissen in Half-Life nichts über die Geschehnisse erfährt und zu Beginn des zweiten Teils aufwacht? Er besitzt dadurch das gleiche Wissen wie der Spieler. Auch er kann sich nur daran erinnern, was bis zum Abspann passierte und ist neu in City 17. Dadurch macht es Sinn, wenn Barney oder Alyx euch über den Krieg oder andere Sachen aufklären. Und sie tun dies in zeitgemäßen Segmenten, die die Action zwischendurch perfekt brechen.

Den wohl besten Einstieg und die befriedigendste erzählerische Fortführung bis zu einem doch etwas enttäuschenden Schluss bietet Bioshock.

Außerdem erzeugte der direkte Einstieg in die fremde Welt durch eine Zugfahrt große Neugier.

Den wohl besten Einstieg und die befriedigendste erzählerische Fortführung bis zu einem doch etwas enttäuschenden Schluss bietet Bioshock. Die ersten 10 Minuten sind so perfekt, dass ich bei der bloßen Erwähnung wieder zum Gamepad greifen möchte. Nach dem Flugzeugabsturz über dem Meer zwingt euch das Spiel durch das rundherum platzierte Feuer zu einem Leuchtturm, dessen einziger Pfad im Inneren zu einer Tauchkugel führt.

Natürlich steigt ihr ein und da ihr die kleine Kapsel nicht verlassen könnt, schaut ihr euch die kurze Präsentation über die Unterwasserstadt Rapture an, die jedem Besucher gezeigt wird. Ihre Platzierung ist logisch und erklärt dabei in wenigen Worten das Setting, bevor man die Stadt das erste Mal mit eigenen Augen erblickt und kurz darauf betritt.

Lasst eure Welt erzählen

Von dort aus führt der Titel seinen Aufbau weiter fort und nutzt die Vorteile des Mediums, um euch die Welt besser verstehen zu lassen. Natürlich könnte eine wunderbare Schreibweise allein über die brutalen Geschehnisse in Rapture erzählen. Doch Bioshock hält sie euch während der gesamten Spielzeit vor Augen und lässt euch Schritt für Schritt kleine Geheimnisse entdecken.

Nach dem Start setzt man euch durch die Einführung ein utopisches Bild von Rapture in den Kopf, das durch die eindrucksvolle Fassade gestärkt wird. Im Inneren merkt ihr allerdings recht schnell: Etwas stimmt hier nicht. An den Wänden, Treppen und der Einrichtung erkennt ihr immer noch die einstige Erhabenheit des Ortes, nehmt aber gleichzeitig ihren Verfall wahr. Die Audiologs geben euch dann einen noch besseren Einblick in die Welt und ihr könnt ihnen zuhören, während ihr dabei eure Untersuchungen fortsetzt. Ihr stellt euch vor, wie schön es vor einiger Zeit hier gewesen sein muss und erlebt, wie deprimierend der Verfall von Bauten und Menschen auf euch wirkt. Rapture existiert nicht, damit ihr den Kauf einer Grafikkarte rechtfertigen könnt, sondern um eine Geschichte zu erzählen.

Hoffen wir, dass Bioshock Infinite die Exposition ebenso perfekt hinbekommt.

In keinem anderen Medium können wir die Umgebung der Protagonisten selbst erkunden. Warum lässt man uns dann so oft durch kalte Korridore laufen, die vielleicht schön aussehen aber dem Spieler nichts über die Welt verraten, in der er sich gerade befindet? Nicht jeder Titel sollte sich dieser Tatsache so bewusst sein, aber wenn man eine Geschichte als zentrales Element integriert, muss man auch die Möglichkeiten realisieren und dem Spieler nicht alles durch Dialoge näher bringen.

Ungewollter Verlust der Integrität

Wie ihr seht, treten Spiele einige neue Türen für Erzählstrukturen auf, erschaffen auf der anderen Seite aber auch Fallen. So passiert es schnell, dass sich Handlung und Gameplay im Wege stehen. Nicht nur, weil eines der beiden Elemente die klar überhandnimmt und dadurch den Verlierer in den Hintergrund stellt, sondern weil ein Persönlichkeits-Konflikt entstehen kann, selbst wenn beide für sich genommen auf einem hohen Niveau sind.

Ich schaue dabei in deine Richtung, Red Dead Redemption. Wie wagst du es, eine durch und durch interessante Haupthandlung mit starken Motiven zu bieten, mir kurz vor dem Ende zwei unvergessliche Spielstunden zu schenken und dann die komplette Glaubhaftigkeit durch deine dämlichen Missionen zu zerstören?

Ich verstehe, dass ein Open-World-Titel mit vielen Möglichkeiten Spaß bringen soll und Rockstar in seine Titel gerne eine Prise Humor mit verrückten Charakteren einbaut. Dieses Schema geht allerdings zu weit, wenn es mit der Persönlichkeit des Hauptcharakters in Konflikt steht. John Marston ist auf der Suche nach seinen alten Banden-Mitgliedern aus früheren Tagen, um seiner Familie Sicherheit zu gewähren und einen neuen Start zu wagen. Er tötet ohne Reue und toleriert niemandem, der seinem Ziel im Wege steht.

Weniger Idioten und mehr Landon Ricketts bitte.

Daher macht es überhaupt keinen Sinn, wenn er sich von Personen wie Nigel West Dickens und Seth Briars auf der Nase tanzen lässt. Sobald Nigel ihn durch eine dumme Idee erneut in Bredouille gebracht hat, schwört er sich, nie wieder auf ihn zu hören und tut es wenige Minuten später doch. Bei Seth, der offensichtlich den Verstand verloren hat, ist es noch schlimmer. Er hilft diesen Leuten nur, weil er sich ursprüngliche Hilfe oder Informationen verspricht, die für sein Hauptziel nützlich sind. Am Ende kommt man sich als Spieler aber mehr als nur veräppelt vor. Marstons Naivität im Umgang mit den beiden Figuren passt ganz und gar nicht zu seinem Charakter.

Möchte man mit einem Spiel einen bestimmten Ton verfolgen, sollte man diesen auch einhalten und andere Wege finden, den Spieler zu unterhalten. Die letzten beiden Stunden, in denen ihr Zeit mit eurem Sohn verbringt und praktisches Wissen während der Mission an ihn weiter gebt, haben mir trotz banaler Aufgaben durch ihre starke Gewichtung mehr Freude bereitet als alle vorigen Missionen zusammen. Dort wurde das Gameplay eingesetzt, um dem Spieler die Beziehung zwischen Marston und seinem Sohn zu verdeutlichen, was die Wirkung des Endes erst so kraftvoll machte.

Es zeigte, dass wir in einem Open-World-Spiel keine verrückten Figuren brauchen, die uns aus einer sonst realistischen Welt reißen, um Spaß zu haben. Lasst diese Narren in anderen Spielen oder gestaltet sie zumindest so um, damit es einen Sinn ergibt. Denn im Kontext der Handlung, Marstons eigentlichen Motivationen und seiner Persönlichkeit kollidieren solche Momente zu stark und reißen einen aus der Welt, wodurch auch die Glaubhaftigkeit des Protagonisten zu Schaden kommt.

Videospiele besitzen einige der kreativsten und erfrischendsten Welten mit wunderbaren Handlungsansätzen, die dann wegen vieler Fehler in der Erzählweise zerstört werden. Falls man einen großen Wert auf die Handlung legt, sollte sie auch mit der entsprechenden Vorsicht behandelt werden. Und auch wenn viele Entwickler Spiele zu filmischen Erlebnissen machen wollen, sollten sie dennoch im Auge behalten, dass dieses Medium ganz eigene Stärken besitzt, die abseits von Dialogen und Zwischensequenzen existieren.

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Björn Balg Avatar
Björn Balg: Freier Autor und wahrscheinlich der letzte Mensch ohne einen Facebook-Account. Liebt Trash und verbringt zu viel Zeit mit dem Ansehen von Katzenvideos.
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