Eternal Sonata
Mit Klassik zum Klassiker?
Sind Videospiele Kunst? Würde man mir jedes Mal einen ausgeben, wenn ich das höre, wäre ich wohl schon längst Zimmergenosse von Mrs. Spears. Da die Meinungen zu dieser Frage jedoch weit auseinander gehen, kann man sie nicht oft genug stellen. Besonders europäische und amerikanische Entwickler betonen immer wieder, dass es sich um eine eigenständige Kunstform handelt – ähnlich wie Buch und Film. Die Japaner, die Koryphäen in Sachen Videospiele, vertreten die Position, dass es sich bei Mario und Co. lediglich um Produkte handle. Um Unterhaltungs-(soft)ware im eigentlichen Sinne.
Umso eigenartiger scheint dabei, dass gerade die Spiele aus dem Land der aufgehenden Sonne immer wieder die kunstvolle Gestaltung virtueller Welten in den Vordergrund stellen. Keiner verbindet innovative Elemente so perfektionistisch und harmonisch, dass der Betrachter die Einstiegsfrage bereits auf den ersten Blick bejahen will. Bestes Beispiel: Shadow of the Colossus, das durch die wahrhaft atemberaubende Umsetzung eines hauchdünnen Storyfadens glänzte. Doch wie bereits John Carmack feststellte: „Eine Geschichte in einem Spiel ist wie die in einem Pornofilm, sie wird erwartet, ist aber nicht wichtig.“ Bisher hätte ich diesen Satz so nicht unterschreiben wollen, doch Namco Bandai’s neuster Streich Eternal Sonata hat mich der Gedankenwelt des Programmier-Veteran etwas näher gebracht.
Nicht die epochale Geschichte steht im Vordergrund. Nicht rasante Action dominiert das Spielgeschehen. Es ist die Fantasywelt, die einzigartig aussieht und klingt. Klingt? Genau, denn der Protagonist des Abenteuers steuert gleichzeitig auch große Teile des Soundtracks hinzu. Es ist niemand geringeres als Chopin, Frederic Chopin – Komponist und seit knapp 160 Jahren unter der Erde. Womit wir auch schon bei der Story des Spiels sind:
In den Abendstunden des 17. Oktober 1849, kurz vor dem Tod des Pianisten, wird dieser von Fieberträumen geplagt: Träumen von einer anderen Welt. Ausgestattet mit magischen Kräften, landen hier all jene Menschen, deren letztes Stündlein geschlagen hat. Der Haken an der Sache ist nur, dass wohl niemand allzu gerne engen Kontakt zu Zeitgenossen mit hoch ansteckenden Krankheiten pflegt. Somit sind diese armen Kreaturen auch in Eternal Sonata nicht immer gern gesehen.
Da sich die Masse an eher jugendlichen Spielern jedoch kaum allein mit einem 39-jährigen, polnischen Komponisten identifizieren könnte, steht dem guten Frederic gleich ein Team aus drei weiteren Charakteren zur Seite - jeder mit seinen individuellen Kampfstilen. Dabei hat man natürlich ganz tief in die Trickkiste der Wortspiele gegriffen und den Dreien Namen aus dem Fundus der Musik verpasst. So habt Ihr beispielsweise mit Allegretto einen Schwert schwingenden Nahkämpfer, während der junge Beat mit seiner Holzwumme aus der Distanz angreift und das Mädchen Polka über mächtige Heilzauber verfügt. Im Laufe des Abenteuers gesellen sich noch weitere Helden zu Eurer Truppe, so dass Ihr die Wahl aus bis zu zehn verschiedenen Charakteren haben werdet – jeder mit seiner ganz eigenen Hintergrundgeschichte und individuellen Stärken im Gemetzel.
Gemeinsam brecht Ihr auf, um mittels Euren magischen Fähigkeiten anderen Menschen zu helfen; zu einer Reise durch eines der wohl einzigartigsten Reiche der Videospielgeschichte.
Anders als zum Beispiel Final Fantasy, das keinen Hehl daraus macht, eine mächtige 3D-Engine im Rücken zu wissen, greift Entwickler Tri-Crescendo auf allerhand Weichzeichner und ein absolut vorbildliches Cell-Shading zurück. Im Gegensatz zur Konkurrenz wurden hier Figuren und Gegenstände nicht einfach grob mit dem virtuellen Filzstift umrissen, sondern besonderen Wert aufs Detail gelegt. Fast schon hat man das Gefühl, kein Videospiel, sondern tatsächlich eine hochkarätige Fernsehserie vor der Nase zu haben. Selbst hier ist das Spiel allerdings einen Schritt voraus, da die Animationen der einzelnen Charaktere und die kleinen Details, wie die fast unmerklich wehenden Kleider, das Ganze überaus lebendig wirken lassen. Skeptikern, die bei dem Wort „Anime“ sofort an Standbilder mit bewegten Mündern denken, kann somit vorweg schon einmal der Wind aus den Segeln genommen.
Durch all diese Details wird die Welt tatsächlich dem Attribut „traumhaft“ gerecht und gleicht einem farbenfrohen Ölgemälde – mit dem kleinen Unterschied, dass sich auf den Meisterwerken eines Caspar David Friedrich keine einzelne Gräser oder hunderte bunter Blumen im Wind wiegen, während Schmetterlinge zwischen dem Pollenstaub ehrwürdiger Baumriesen herumschwirren. Dazu die Klänge des Komponisten selbst, die im Abenteuer eine besondere Gewichtung einnehmen. Der Gedanke, die Entwickler hätten versucht, meine Einstiegsfrage zu bejahen, drängt sich förmlich auf. Sie schaffen es einfach, dass man in diese Welt eintauchen, sie erkunden und erleben will.
Benommen vor lauter Schönheit hüpft Ihr also fröhlich über Stock und Stein. Es geht vorbei an plätschernden Bächen und einem Meer aus Sonnenstrahlen, die durch die Kronen der Bäume fallen. Nanu? Was ist das da? Eine hüpfende Zwiebel? Das seht Ihr Euch mal genauer an… -Blende. Und schon geht die Schlacht gegen das lustige Lauchgemüse los. Anders als in vielen JRPGs üblich, basiert das gesamte Kampfgeschehen nicht alleinig auf zufälligen Begegnungen. Vielmehr lauern überall Gegner, die statisch über die Welt verstreut sind. Kommt Ihr diesen zu nahe, wird der Kampfmodus gestartet.
Die Kämpfe gestalten sich zwar einerseits rundenbasiert, allerdings hat man ihnen auch einige Echtzeitelemente verpasst. Eure Helden sowie die Gegner starten in aller Regel in gewissem Abstand zueinander. Wen nach vorne schicken? Allegretto - sein Riesenschwert sollte ihn doch zu einem guten Nahkämpfer machen. Den Distanzschützen Beat lässt man hinten stehen und Polka, die über mächtige Heilzauber verfügt, kann ruhig ein paar Schritte hinterher dackeln. Jeder Eurer Helden besitzt dabei jedoch nur eine gewisse Zeit, um sich in Position zu bringen, und davon hängt Euer Schicksal nicht viel weniger ab, als von Eurem individuellen Level.
Der Knackpunkt an der Positionierung ist nämlich der nicht zu unterschätzende taktische Vorteil, den das Terrain selbst noch bietet. Hüllt sich die Stellung Eures Schergen in gleißenden Sonnenschein, ergibt sich daraus eine vollkommenen andere Vorgehensweise, als wenn nur triste Schatten über seine Gesichtszüge wandern. Licht und Dunkelheit spielen während Scharmützel eine tragende Rolle, denn jeder einzelne Charakter besitzt sowohl eine Licht- als auch eine Schattenattacke, welche folglich auch nur an diesen Stellen verwendet werden kann. Habt Ihr Euch also in Position gebracht, folgt der Angriff begleitet von einer Reihe quietschbunter Effekte, die beinahe schon Arcade-Character besitzen.
Nach gewonnenen Kämpfen folgt das obligatorische Einheimsen von Erfahrungspunkten und – falls genügend Punkte auf Eurem Konto gut geschrieben wurden – der Levelaufstieg. Allerdings beschränkt sich dieser nicht nur auf einzelne Charaktere. Auch die Gruppe als Ganzes kann an verschiedenen Punkten der Geschichte neue Stufen erreichen, wodurch die Kämpfer Kombinationen und Spezialattacken erhalten, welche wiederum die Kampfkraft des Teams erhöhen. Wie schon erwähnt, gliedert sich die Musik als wichtige Komponente in das Abenteuer und die Kämpfe ein. Bislang hält sich Capcom diesbezüglich allerdings mit Informationen zurück.
Ich selbst bin mir noch nicht ganz schlüssig darüber, was ich nun so recht von Eternal Sonata halten soll. Einerseits punktet das Spiel ganz klar in Sachen Präsentation, andererseits reicht mir das nicht, einen zentralen Plot zu ersetzen; die gnadenlos vorangetriebene direkte Handlung. Bisher wirkt alles noch ein wenig seicht, nett, ohne viel Dramatik. Möglicherweise liegt es aber auch daran, dass auf dem bisher einsehbaren Material hauptsächlich mit der Grafikpracht der Landschaft geprotzt wurde. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass Namco mit Eternal Sonata den schönsten Bildschirmschoner aller Zeiten auf den Markt wirft, jedoch lässt mich nicht zuletzt das kreative Kampfsystem hoffen.
In Japan erscheint Eternal Sonata unter dem Namen Trusty Bell exklusiv für die Xbox 360 am 17. Juni 2007; ein Europa-Release steht bisher noch nicht fest.