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Etrian Odyssey

Wie damals...

Seit ein paar Stunden bin ich ganz tief in meinen Kindheitserinnerungen versunken. Dungeon Master und Eye of the Beholder, um genau zu sein. Zwei Rollenspiele der späten 80er und frühen 90er, die beide mit riesigen Dungeons, tonnenweise Items und keinerlei Automapping beim schrittweisen Gehen und Drehen in 90-Grad-Schritten aufwarten. Stundenlanges Zeichnen der Karten auf Karopapier. Oldschool und seit 15 Jahren praktisch ausgestorben.

Und so ist es ein echter Blast from the Past, als Etrian Odyssey mir auf dem DS plötzlich erklärte, dass es mit einem riesigen, schrittweise zu begehendem Dungeon aufwartet und wie ich diesen auf diesmal virtuellem Karopapier kartographiere. Auf dem unteren Screen habt Ihr Karofelder, mit dem Stylus zeichnet Ihr sehr komfortabel Wände, Wege, Fallen und alles, was Ihr sonst noch so findet, ein. Wie früher. Eine Träne wohliger Erinnerungsfreude kullert meine Nerd-Wange herunter.

Es ist sicher ein fordernder Ansatz im Zeitalter perfekten Automappings. Und einer, für den sicher nicht jeder Rollenspiel-Fan Verständnis aufbringen wird. Mir persönlich bereitet es große Freude, eine Karte selber zu malen. Mich gelegentlich darüber zu ärgern, dass ich zu faul war, eine Falle einzuzeichnen. Oder schnell und zügig dank meiner Kartenkünste wieder zu bestimmten Stellen fand. Es ist ehrliche Handarbeit. Und wer ganz hart drauf ist, lässt das sogar weg und legt sich wie damals einen Karoblock auf den Tisch.

Tief im Dungeon findet Ihr Algenwälder…

Solltet Ihr jetzt schon von dieser Mühe abgeschreckt sein, ist dies wohl ganz gut so. Etrian Odyssey ist ein sehr langsames, ruhiges Spiel. Und ein hammerhartes noch dazu. Eure fünfköpfige Party setzt sich zu Beginn aus einer Gruppe von absoluten Newcomern zusammen, die schon mit den Schmetterlingen und Maulwürfen des ersten Waldes ihre liebe Mühe haben. Ein paar Kämpfe absolvieren und schon geht es wieder zurück in die erste – und einzige – Stadt.

Wieder raus, ein paar neue Maulwürfe dauerhaft unter die Erde bringen, schwer verletzt nach drei Ihrer bestialischen Krallenattacken erneut zurück – am Anfang sind Eure Streiter wirkliche Sissys. Und es geht immer so weiter für die nächste Stunde. Bis die ersten Levelaufstiege geschafft sind und Ihr nicht jeden Maulwurfshügel mit einer Mischung aus Todesangst und Respekt beäugt. Zeit, sich mit dem komplexen Skillsystem anzufreunden.

Jeden in eurer Fünfertruppe habt Ihr zu Beginn bereits in eine Richtung geschubst, als Ihr aus acht möglichen Klassen auswähltet und sie zu Kriegern, Magiern, Bogenschützen oder Druiden machtet. Jetzt gilt es, die spezifischen Fähigkeiten jeder einzelnen Klasse zu erweitern. Alle Künste bauen dabei aufeinander auf, so dass Ihr zu Beginn erst einmal die Basics wie „Schwertkampf – einfach“ steigert oder Euch die simpelsten Heilzauber aneignet.

…während es weiter oben sehr viel vertrauter aussieht.

Anschließend verzweigt sich das Ganze und es kommen immer mächtigere Fertigkeiten dieser Richtung hinzu, die auf dem Erlernten aufbauen. Schnell geht das aber nicht, in Etrian Odyssey müsst Ihr Engelsgeduld mitbringen. Auch im Laden der Stadt findet Ihr zunächst nur das Nötigste zum Überleben. Erst, wenn Ihr immer neue Monsterüberreste aus dem Dungeon zurück bringt, fertigen die Händler daraus den guten Stoff.

Und den werdet Ihr brauchen, wenn Ihr nach den ersten Runden anfangt, beim Dorfältesten Quests einzuholen, Euch in der Kneipe nach ein wenig Arbeit umguckt oder einfach nur mal so ein bisschen weiter vorstoßen wollt als beim letzten Mal. Ein paar neue Flecken der Karte malen, ein paar Monster verdreschen, ein paar frische Items einholen, ein paar Rundenkämpfe mehr bestreiten, ein paar Erfahrungspunkte einsacken.

Und wie in der guten alten AD&D Anfangszeit, als es reichte, den Dungeon zu plündern und den Charakter hochzuleveln, sollte Euch das hier immer noch genügen. Eine epische Geschichte mit emotionaler Tiefe bekommt Ihr nicht angeboten. Das hier ist ein Pen&Touchscreen-RPG urigster Machart. Da ist die Höhle, zieht aus tapfere Recken und plündert, was das Zeug hält!

Vertraut keiner Karte, die Ihr nicht selbst gezeichnet habt.

Dass Ihr dabei meist sehr schnell zurück müsst, dürfte der größte und eigentlich auch einzige echte Wermutstropfen sein. Habt Ihr eine Gruppe von Monstern im Griff, bietet die nächste gleich einen deutlichen Sprung und schon wieder treibt es Euch nach wenigen Kämpfen zurück. Die Tatsache, dass der Wiederbelebungszauber hart und nur mit viel Erfahrung zu erlernen ist, macht es genauso wenig besser wie die nicht gerade großzügige Verteilung der Portale, die Euch schnell zur Stadt zurück bringen. Cholerische Naturen sollten hier Vorsicht walten lassen und schon mal einen kleinen Stressball neben den DS legen.

Aber alte Härte scheint ja grad ein neu entdecktes Konzept zu sein. Überraschte mich vor kurzem das Rogue-Game Mystery Dungeon, legt jetzt Etrian Odyssey nach und bringt eine ebenso vergessene Kunst brillant umgesetzt auf den kleinen Doppelscreen. Es ist nichts für den modernen RPG-Lover, der große Geschichten und epische Settings möchte. Aber Dungeonmaster werden hier auf Wochen damit beschäftigt sein, das Labyrinth zu kartographieren, ihre Schützlinge zu leveln und irgendwann dann doch das Licht am Ende des Dungeons sehen. Nur, um sich dann mit einem Gefühl tiefer innerer Befriedigung zurückzulehnen. Wie früher. Als wir Rollenspiele statt Mädchen hatten.

Etrian Odyssey ist ab sofort und nur für den Nintendo DS zu haben.

8 / 10

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