Kolumne: Wie ein Baum im Regenwald
Wolfgang Bosbach (CDU), "hart aber fair"
Wer gestern Abend Frank Plasberg und „hart aber fair“ einschaltete, konnte tatsächlich eine von allen Beteiligten erfreulich fair geführte und offenkundig um Antworten bemühte Debatte verfolgen. Die Diskussion war meilenweit entfernt von den hilflos-traurigen Fingerzeigen, die es zu ähnlichen Tragödien vor Winnenden/Wendlingen gab und machte deutlich, dass es an der Zeit ist für eine differenziertere Auseinandersetzung. Eine ganz bestimmte Äußerung machte dann aber doch stutzig.
Sie kam vom stellvertretenden CDU-Fraktionschef Wolfgang Bosbach. Als er vom Eins Live Computerspielexperten Tom Westerholt gefragt wurde, ob er denn schon selbst einmal „ein solches“ Computerspiel gespielt hätte, begann der Jurist zu entgegnen – und man verzeihe mir, wenn ich den exakten Wortlaut nicht treffe: „Ja, muss ich denn ein Baum im Regenwald sein, um mich gegen das Waldsterben einzusetzen?“
Ich habe eine Weile überlegen müssen, was mich an der Aussage so störte. Und es war nicht, dass die letzte Gelegenheit, bei der ein Baum etwas Brauchbares zum Thema Waldsterben zu sagen hatte, schon so weit zurück lag. Es liegt auch nicht so sehr daran, dass der Vergleich deutlich windschief ist: Man muss auch kein verunglückter Motorradfahrer sein, um sich gegen Unfalltode wegen überhöhter Geschwindigkeit einzusetzen.
Natürlich nicht. Wenn man aber jemandem erzählen will, wie sich Motorradfahren anfühlt, dann kommt man mit Vermutungen nicht weiter. Und doch versucht Bosbach das gleich im nächsten Satz (erneut nicht im Wortlaut, aber nach bestem Wissen und Gewissen sinngemäß): „Es ist doch ein Unterschied, ob ich passiv einen Film konsumiere oder in einem Spiel selbst den Abzug ziehe“.
Es ist nicht verwunderlich, wieso er so denkt. Es scheint logisch, dass zwischen aktivem Ausüben und dem passiven Konsum von virtueller Gewalt ein gewaltiger Unterschied besteht, der Videospiele wirklich schlecht dastehen lässt. Aber es ist auch nur eine Vermutung, die wiederum offenlegt, warum Westerholts Frage so wichtig war. Denn die Betrachtung „von Außen“ lässt einen ganz entscheidenden Punkt unter den Tisch fallen, nämlich, dass zwischen Spiel und Film noch weit mehr Unterschiede bestehen.
Ein Spiel ist trotz aller oberflächlicher Ähnlichkeit zum (und Stilmittel-Leihgaben vom) Film eine Software. Ein Programm, das „bedient“ wird und das wie alle Spiele eine Ansammlung mehr oder weniger komplexer Regelwerke ist, die vom Spieler befolgt werden müssen. Sobald sich der Spieler innerhalb eines Regelwerkes durch ein Spiel bewegt, findet eine Abstraktion statt, die zunächst einmal eine nicht zu unterschätzende Wand zwischen Hirn und Medium erzeugt.
Wie abstrakt diese Abläufe sind, kann man als Zuschauer/Außenstehender nicht erfassen. Man sieht zwar, dass diese Dinge passieren und fühlt sich prompt an vergleichbare „Gewaltfilme“ erinnert. Und doch ist alles, was passiert, nur die errechnete Übersetzung eines Tastaturkommandos des Spielers. Niemand „zieht den Abzug“, es wird lediglich auf der Maus linksgeklickt - dieses Beispiel lässt sich für jede Aktion im Spiel fortführen. Das sind Nuancen, die ich in öffentlichen Diskussionen immer wieder vermisse.
Den Ausmaß dieser Abstraktion kann man schließlich in Sekundenschnelle erfahren, wenn man einem nicht bis wenig spielenden Bekannten (oder eben den Herrn Bosbach) an den „Drücker“ lässt. Da wird schon die bloße Fortbewegung zu einer großen Herausforderung. Egal wie immersiv das Spielerlebnis und wie fotorealistisch die Grafik: Allein dadurch wird es ein Stück weit verhindert, dass der Spieler seine Handlung als mehr als nur das Resultat seiner Eingaben begreift.
Die Frage, warum man sich als Spieler immer mit großer Vorfreude in die Videospielvarianten lebensgefährlicher Extremsituationen begibt und warum so viele Spiele mit harten Gewaltinhalten produziert werden, ist tatsächlich eine berechtigte. Doch sie lässt sich auch auf jedes andere Medium ummünzen. Wenn das Videospiel endlich aus seinem Konsumgut-Image ausbrechen und als „echtes“ Medium begriffen werden will, muss es kritisch mit sich selbst umgehen und Antworten auf diese Fragen finden. Am besten, bevor andere sie finden.
Gleiches gilt aber auch für hochrangige Politiker, die einem auf Fragen, wie die von Tom Westerholt, irgendwann hoffentlich nicht mehr mit Bäumen und Regenwald kommen.