Everquest Next und der unglaubliche Hype - Kommentar
Weniger Gammastrahlen, mehr Fakten bitte!
Kaum hatte Sony Online Entertainment 'Everquest Next' und 'Landmark' vorgestellt, da stampfte es wieder, das aufgeblähte Erwartungsmonster mit seiner ellenlangen Liste geplanter Features. Die MMO-Community bekommt dieses Biest häufiger zu Gesicht, wenn neue Titel die Bühne betreten. Manchmal schwingt es Lichtschwerter, manchmal ist es mit den Illuminati im Bunde, oft verspricht es unendlichen Spaß dank dynamischer Events, Sandboxen und frischem Content am laufenden Band.
Natürlich soll auch diesmal alles anders werden. Besser sowieso. World of Warcraft wird vom Thron gestoßen, das Genre revolutioniert, neue Maßstäbe werden gesetzt, und Jadda Jadda Jadda. Den wütenden PR-Hulk füttern nicht nur die Entwickler, sondern auch wir Journalisten und die enthusiastische Community. Ich kann es niemandem verdenken.
Wir lechzen alle nach dem einen Spiel, das uns endlich rundum zufriedenstellt und der unübersichtlichen Vielfalt eine klare Referenz entgegensetzt. Oder wenigstens einen deutlichen Fortschritt bringt, wo uns seit Jahren nur das übliche Schema-F in mickrigen Variationen vorgesetzt wird. Ob also diesmal nach der ganzen Aufregung vom lärmenden Hype-Hulk mehr bleibt, als ein schmächtiges Männlein in zerfetzter Hose, das von dem ganzen Tamtam zuvor nichts wissen will? Wäre zu wünschen.
Wir machen uns die Welt widdewidde wie sie uns gefällt!
Eine Sandbox voller Voxel soll es richten, in der theoretisch alle Inhalte zerstörbar sind, sofern die Entwickler keinen Riegel vorgeschoben haben - das werden und müssen sie. SOEs Franchise Director Dave Georgeson hat den Kollegen bei Massively erklärt, dass die große Stadt Qeynos im Nu zum Parkplatz planiert würde, wenn man den Leuten völlig freie Hand ließe. Da gebe ich ihm Recht. Was ist aber mit dem Gebiet drum herum? Oder anders ausgedrückt: Wenn genügend Pyromanen in Norrath unterwegs sind (und Computerspieler sprengen generell gerne Sachen in die Luft, hab ich mir sagen lassen), verkommt die Fantasywelt dann vielleicht irgendwann zur Wüstenei mit einer Handvoll unzerstörbarer Inseln darin?
Keine Panik, beruhigen die Entwickler: zerbröselte Brücken, gesprengte Höhlen oder eingerissene Häuser sollen nach einer Weile wieder respawnen. Ich trainiere trotzdem prophylaktisch den exzessiven Gebrauch des /stuck-Kommandos, für den Fall, dass mein Avatar alle zwei Minuten in einem Explosionskrater festhängt.
Ob meine Immersion das aushält, wenn um mich herum jederzeit alles in Schutt und Asche gelegt werden kann und vermutlich wird?
Durch Minecraft habe ich eine form- und zerstörbare Welt prinzipiell zu schätzen gelernt. Sich kilometerweit ins Erdreich zu buddeln oder bis in die Wolken zu bauen macht eine Weile Spaß. Doch bei Mojang sind die Werkzeuge und das Physikmodell simpel aufgebaut und man will mir keine Fantasy-Umgebung vorgaukeln. Ob meine Immersion das aushält, wenn um mich herum jederzeit alles in Schutt und Asche gelegt werden kann und vermutlich wird?
Ich verstehe natürlich, dass SOE ein Stück vom großen Minecraft-Kuchen will. Die kreative Leidenschaft, mit der Mojangs Community unglaubliche Projekte verwirklicht und völlig umsonst Tausende Arbeitsstunden opfert - da werden vermutlich jedem Studioboss die Hände feucht. Die logische Konsequenz daraus taufte SOE "EverQest Next Landmark". In diesem "Vor-MMO" soll es noch einen Kontinent nach dem Vorbild von Norrath geben, in den restlichen Ländereien wird den Spielern hingegen völlig freie Hand gelassen - Piraten-, Sci-Fi- oder Western-Szenarien? In einem EverQuest? Warum nicht?
Aus Materialien, die ihr in der Umgebung sammelt, dürft ihr auf eurem eigenen Stück Land beliebig Gebäude, Einrichtungsgegenstände und Landschaftsobjekte von Grund auf zusammenbasteln, bemalen und über Blaupausen sogar in EverQuest Next übernehmen - sofern sie von den Entwicklern abgenickt wurden und zu Norrath passen. Wer nicht gerne alleine werkelt, kann sich im Team an Projekte wagen. Über regelmäßige Wettbewerbe und konkrete Aufgabenstellungen an die Community hoffen die Entwickler, reichlich Content für 'Next' in 2014 abzuschöpfen.
So mutig und löblich ich die theoretischen Features rund um die modifizierte Forgelight-Engine (bekannt aus PlanetSide 2) und die Voxel-Welt finde, so skeptisch bleibe ich hinsichtlich der überschwänglichen Erwartungen, die manche mit diesen Ideen verbinden. Die erforderlichen Einschränkungen seitens der Entwickler dürften weiter gehen, als es vielen Sandbox-Fans da draußen lieb sein wird.
Spätestens wenn mir ein anderer Spieler den Eingang des mühevoll freigelegten Dungeons vor der Nase zusprengt, zeigt eine zerstörbare Spielumgebung ihr hässliches Gesicht.
Spätestens wenn mir ein anderer Spieler den Eingang des mühevoll freigelegten (prozedural vom System erzeugten) Dungeons vor der Nase zusprengt oder ein titanisches Monster in Richtung der Siedlung lockt, in der ich gerade Quests erledige, zeigt eine zerstörbare Spielumgebung ihr hässliches Gesicht. Ganz zu schweigen von der Ankündigung, dass herumfliegende Teile auch Spieler verletzen können - werden im PvP also lebende Abrissbirnen mit Sinn für angewandte Statik die Oberhand behalten?
Alles schwammig, aber bestimmt ganz ganz toll!
Gespannt bin ich auf die angekündigten 40 Klassen und Berufe. Hier klingen die Versprechungen weit weniger exotisch. Acht Starterklassen werden bei der Charaktererstellung angeboten. Im Verlauf des Spieles erhaltet ihr dann Zugriff auf alle Klassen und dürft frei kombinieren - was auch die Starterklassen einschließt. Erlernt werden die neuen Fähigkeiten zum Beispiel durch Schriftrollen oder Unterricht bei einem Meister. Unterschieden wird zwischen Klassen, die jeder erlernen kann und solchen, die eine bestimmte Voraussetzung mitbringen. Im Gespräch ist zum Beispiel eure Gesinnung. Ein Bösewicht kommt bei manchen NPCs weniger gut an und muss sich auf eine Abfuhr oder Schlimmeres gefasst machen.
Auf die Befürchtung mancher Spieler, dass ohne "die Heilige Dreifaltigkeit" aus Krieger, DPS-Klasse und Heiler organisierte Raids zu chaotischen Veranstaltungen verkommen, antwortete Producer Terry Michaels via Twitter, dass Kämpfe in EverQuest Next anders als alles seien, was man bislang gesehen habe. Schon hüpft er wieder, der Hype.
In den bislang gezeigten Videos sehe ich jedenfalls ähnliche Markierungen am Boden, wie sie in Carbines 'Wildstar' oder Cryptics 'Neverwinter' vor gegnerischen Attacken warnen. Gegenüber Massively präzisierte Michaels, dass man sich über bestimmte Builds in Richtung der üblichen Rollen wie zum Beispiel Tanks orientieren können soll, diese aber nicht unbedingt benötigen würde, um erfolgreich zu sein. Klingt arg schwammig. Hoffentlich hat sich SOE die Konkurrenz genau angesehen und von deren Problemen mit ähnlich freien Systemen gelernt.
Interessant dürfte werden, inwieweit die Entwickler ihre Versprechungen hinsichtlich der situativen KI von NPCs halten können. Wenn Orcs ein Dorf überfallen und ich mich auf die Seite der plündernden Grünhäute schlagen kann, ohne automatisch von ihnen angegriffen zu werden, wäre das natürlich spannend. Welche Algorithmen auch immer im Hintergrund werkeln - Motivationen wie Gier, Moral, Wut, Angst oder ähnliches in einer KI abzubilden hätte enormes Potenzial, verglichen mit dem MMO-Standard, dass mich ein Wolf sofort angreift, weil ich in seinen Aggro-Radius geraten bin.
Doch auch hier gilt: Mit schönen Ankündigungen allein ist die Schlacht noch nicht gewonnen. Ob Everquest Next innerhalb der Beta-Phasen (Anmeldung auf der offiziellen Seite) vom unglaublichen Hulk zum schwächlichen Bruce Banner zusammenschrumpft oder nächstes Jahr die MMO-Welt tatsächlich völlig auf den Kopf stellt, bleibt zunächst einmal ungewiss. Auch wenn die geplanten Features vielversprechend klingen und ich den Entwicklern die Mammutaufgabe durchaus zutraue, bleibe ich skeptisch. Zu oft haben in den letzten Jahren gehypte Spiele im Nachhinein enttäuscht, als dass ich mich hier ins allgemeine Jubelboot hocken möchte. Ich lasse mich aber gerne überzeugen - durch Taten.