Skip to main content

Everspace ist Wing Commander. In Rogue.

Der Tod ist nur der Anfang.

Korrigiert mich, wenn ich falsch liege, aber Everspace dürfte der erfolgreichste deutsche Gaming-Kickstarter sein. Vor einem Jahr fuhren die Hamburger von Rockfish über 400.000 Euro ein, um ihre Vision von einem "Roguelite" im Weltraum zu verwirklichen. Und jetzt steht auf Steam auch schon eine mehr als nur ordentlich spielbare Early-Access-Version bereit, wenn man der Entwicklung auf den Zahn fühlen möchte. Weltraum in topaktueller, farbenfroher Unreal-Engine-4-Optik, Freelancer-artige Kontrollen und prinzipiell endlose Wiederspielbarkeit - Grund genug für mich, genau das übers Wochenende zu tun.

Wollte man ein paar Referenzen geben, man wäre gut beraten, Everspace als Mischung aus Wing Commander und Rogue Legacy zu bezeichnen. Wer "FTL als Actionspiel" auspackt, hat ebenfalls recht, gleicht doch die Struktur Everspace dem taktischen Weltraum-Selbstmordkommando von vor vier Jahren nicht zu knapp. Es ist ein Spiel, das in "Runs" stattfindet, also einzelnen Durchläufen durch eine prozedural generierte, immer unterschiedliche Serie von Weltraum-Sektoren um das andere Ende zu erreichen. An jedem Sprungpunkt wählt ihr aus einem Diagramm, zu welchem Stück gottverlassenem All es als nächstes gehen soll. Und wenn ihr sterbt - bingo! -, dann geht's von vorne los.

An Raumstationen findet man so einiges. Das Geschwindigkeitsgefühl ist besonders zwischen (den ziemlich gefährlichen) Hindernissen nicht zu verachten (1:00).Auf YouTube ansehen

Ein Run kann dabei immer anders verlaufen, denn je nachdem, wie fleißig ihr in eurem Schiff die Asteroidengürtel nach Raumstationen absucht, verschiedenste Ressourcen von Kristalle über Gase bis hin zu chemische Verbindungen schürft oder wie viel Glück ihr beim Finden neuer Waffen und Werkzeuge habt, desto weiter kommt ihr. Unterwegs geratet ihr mit Outlaws mit losem Abzugsfinger aneinander, den böswilligen Okkar-Aliens oder - aber nur wenn ihr wollt - mit der allgegenwärtigen G&B Mining Megacorp, die überall ihre die Asteroidenfelder auf Wertstoffe rodenden Schiffe hat. Ihre Frachter und Förderanlagen könnt ihr angreifen, oder links liegen lassen, je nachdem, ob das in eurer aktuellen Lage nach einer guten Idee aussieht oder nicht.

Was für euch drin ist? Nun, wiederum: neue Bauteile für euer Raumschiff, die ihr entweder in Rohstoffe zerlegt oder direkt ausrüstet, um euren Jäger zu verbessern. Weitere Verbrauchsgüter wie Scanner-Drohnen, die Wertvolles direkt auf dem HUD markieren, oder Raketen unterschiedlicher Art - seien es nur Panzerknacker, Schildzerstörer oder dergleichen. Und ja, Rohstoffe sind natürlich auch immer gern gesehen, denn sammelt ihr genügend Komponenten, könnt ihr stückweise eure Schiffsmodule - Laser, Projektilkanone, Schilde, Boost, etc. - mit anderen Schwerpunkten versehen.

Die Kämpfe sehen toll aus und es macht Spaß mit Schub in alle Richtungen die Bewegungen des Feindes zu kontern. Ein Radar wäre aber nett, um etwas mehr Übersicht zu schaffen (1:36).Auf YouTube ansehen

Gerade zu Beginn ist die wichtigste Ressource aber Credits, denn hier kommen die Parallelen zum exzellenten Roguelite-Hüpfer Rogue Legacy ins Spiel: Geld ist (neben den wertvollen Blueprints für das Crafting neuer Komponenten), das Einzige, was ihr aus einem Versuch mitnehmt, nachdem ihr sterbt. Gesammelte Credits können dann - oder besser "müssen" - im Hangar in den umfassenden Tech-Tree gesteckt werden, sonst verfallen sie. Hier gibt es das Übliche, was nicht bedeutet, dass es nicht schon jetzt einen ordentlichen Suchteffekt erzeugt, sich hier auszutoben. Ihr steigert ihr eure Schilde in drei Kategorien von Stärke bis zum Aufladetempo, steigert die Menge an ausrüstbaren Waffen oder die Effizienz der heilenden Nanobots. Es ist diese Sorte Semi-Persistenz, die dafür sorgt, dass sich kein Run wie vergebene Liebesmüh anfühlt. Ein bisschen was erreicht man immer und hat dadurch im nächsten Anlauf ein bisschen bessere Chancen.

Schwer zu sagen, wie lange das zyklische Erkunden, Kämpfen, Sterben am Ende dann tatsächlich fesselt, gerade die Rohstoffbeschaffung muss sich als tragendes Element erst noch beweisen. Doch der erste Eindruck nach knapp fünf Stunden ist ein guter. Das Spiel macht vor allem die Bewegung im Raum wirklich gut. Es mag aussehen wie ein Wing Commander mit seinem alten, den Gesetzen der Aerodynamik nachempfundenen Flugmodell, ist aber deutlich schneller, biestiger, wendiger. Tatsächlich wird hier die komplette Freiheit über alle Achsen hinweg. Nicht nur Gas gibt man, man fliegt auch rückwärts, gibt Schub seitwärts und nach oben. Elite Dangerous und Star Citizen haben ja endlich salonfähig gemacht, dass sich Raumschiffe in Videospielen endlich auch so bewegen, als befänden sie sich im All und Everspace spielt geht da gerne mit.

Die Planeten bilden nur den Hintergrund. Landen - oder näher heranzufliegen - ist nicht vorgesehen. Sieht trotzdem spitze aus.

Es ist schon eine Wonne, wie hier das gesamte Cockpit wackelt, die Sicht verschwimmt und man sich zwischen Raketen mit wunderbar fluffigen Kondensstreifen und hübsch grob texturierten Asteroiden hindurchschlängelt. Optisch sieht das Spiel einfach unmittelbar nach Spaß aus. Wie es den Kitsch-Weltraum hochhält, das hat schon Rebel Galaxy zu etwas Besonderem gemacht und es verfehlt auch hier seine Wirkung nicht. Nett ist auch, dass sich die Geschichte erst nach und nach mehr oder weniger aus dem Lore-Palaver des Piloten mit seiner KI zusammensetzt. Es ist sparsam genutzt, aber bisher hat sich noch nichts wiederholt, was allein strukturell schon interessant ist.

Bis zum Release im ersten Quartal 2017 hat Rockfish noch einiges zu tun, auch wenn das Spiel jetzt schon Freude macht. Mehr individuelle Ereignisse während der Erkundung, die deutlicher aus dem Rest des Spielablaufs herausstechen, dürften wohl in Arbeit sein, die Cockpit-Anzeigen sind noch schierer Platzhalter, ein Radar vermisse ich aktuell noch und lediglich die exzellente Maus-und-Tastatur-Steuerung lässt sich frei belegen, die am Controller hingegen nicht. Es ist zudem ein bisschen befremdlich, dass ausgerechnet die Handhabung per Joypads doch ziemlich überladen und nicht gerade intuitiv daherkommt. Ich bin mir selbst noch nicht im Klaren, wie ich sie umbelegen würde, aber linker Trigger zum Gasgeben, Rauf/Runter Strafen per linkem Stick rauf beziehungsweise runter, das wollte nicht in Fleisch und Blut übergehen. Aber wie gesagt: Maus und Keyboard darf frei belegt werden und steuert sich fantastisch. Eben wie seinerzeit Freelancer.

a

Everspace macht in jedem Fall Mut: Was die Hamburger hier vorgelegt haben, fühlt sich fertiger an als die allermeisten anderen Early-Access-Produktionen, hat seinen Hook unmittelbar gefunden und eine gewinnende Technik auf seiner Seite. Es tut ihm gut, dass es nicht die Konkurrenz zu den großen Sims sucht, sondern der unkomplizierte, unverdünnte Raumer sein will, der für gewöhnlich Han Solos und Starbucks hervorbringt. Herzlichen Glückwunsch, Welt! Sieht ganz danach aus, als wären diese 400.000 Euro eine gute Investition gewesen.


Entwickler/Publisher: Rockfish Games - Erscheint für: Xbox One, PC - Geplante Veröffentlichung: Early Access erhältlich (27,99), fertig im 1. Quartal 2017 - Angespielt auf Plattform: PC

Schon gelesen?

Alexander Bohn-Elias Avatar
Alexander Bohn-Elias: Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.
In diesem artikel

Everspace

PS4, Xbox One, PC, Mac, Nintendo Switch

Verwandte Themen