Everybody's Golf - Test
Weckt den Tigger in dir!
Ich hoffe, ihr nehmt es mir nicht übel, wenn ich behaupte, dass sich die Anzahl der Golfclub-Mitglieder unter den Eurogamer-Lesern in engen Grenzen bewegt. Und das ist okay so. Der Sport war schon immer eine Nische, die sich als solche auch gefällt. Die Schnittmenge zwischen Golfern beziehungsweise denjenigen, die den Sport enger verfolgen, als die Eheprobleme seines einstigen Posterboys, auf der einen Seite und Videospielern auf der anderen, ist folglich nicht gerade groß. Eigentlich ist sie gerade groß genug, um haargenau eine jährlich iterierte Spielereihe weltweit gerade mal knapp über die sechsstelligen Verkaufszahlen-Regionen zu befördern. Im Vergleich mit anderen Reihen zu populäreren Disziplinen professioneller Körperertüchtigung ist das nicht eben übertrieben viel.
Wie groß kann da die potenzielle Zielgruppe eines Spiels über die gleiche Materie sein, das sich nicht mit namhaften Lizenzsportlern, fotorealistischer Grafik und totaler Authentizität schmückt? Überraschend groß. Wie das sein kann? Nun, ein Hinweis findet sich im Namen. Everybody's Golf schmilzt seit 15 Jahren im charmant-videospieligen Anime-Aufzug Herzen und bekommt es dabei sogar hin, Leute für sich zu begeistern, denen zwar die Idee von Golf gefällt, die der Unnahbarkeit und des spröden Drumherums aber nie etwas abgewinnen konnten: John Doe, die Eheleute Mustermann und deren Nachbarn Hinz und Kunz aus dem ersten und dem dritten Obergeschoss.
Zugegebenerweise müsste man für diese Beispielnamen wohl japanische Entsprechungen finden, schließlich ist die Reihe im Land der aufgehenden Sonne mit Abstand am erfolgreichsten und lässt EAs Tiger dort in Sachen Verkaufszahlen regelmäßig hinter sich. Ganz im Gegensatz zu dem weltberühmten Konkurrenten besinnt sich Everybody's Golf auch auf der Vita nicht auf maximale Authentizität, sondern verfolgt den Ansatz, sich dem abgebildeten Sport durch Abstraktion anzunähern. Es fängt den Geist des Spiels ein, anstatt ein Foto von ihm zu machen. Eine clevere Herangehensweise, denn auch auf Seiten virtueller Sportspiele gibt es eine Art Uncanny Valley. Und das erinnert mit jedem Schritt in Richtung Realität daran, wie weit wir noch davon entfernt sind - zweifellos einer der Gründe, warum es jährliche Sportspielupdates überhaupt gibt.
Everybody's Golf umschifft dieses Problem auch im Hosentaschenformat auf Sonys ehemaligem "Next Gen Portable" gekonnt. Im Auftrag des japanischen Hardware-Riesen hat Clap Hanz auf diese Weise einen überaus sympathischen Launch-Titel abgeliefert, der, obwohl das Gros seiner Einzelteile auf dem mittlerweile fünf Jahre alten "World Tour" auf der PS3 basiert, keine messbare Halbwertszeit zu haben scheint. Schnörkellos, leicht zugänglich und dennoch mit einer Spieltiefe gesegnet, die auch nach tagelangem Dauerkonsum nicht müde wird, euch das Gefühl zu vermitteln, noch so viel lernen zu können, will dieses Golf in erster Linie "Spiel" sein.
Das beginnt bei der lebendigen Optik, die sich von der des PS3-Vorläufers so gut wie gar nicht unterscheidet - im Guten wohlgemerkt - und setzt sich in den sechs verschiedenen Schlagvarianten fort, die stets auf einem Drei-Klick-System basieren. Und es endet bei den Tonnen an farbenfrohen Unlockables und leistungssteigernden Ausrüstungsgegenständen noch lange nicht. Der flotte Ablauf mit schmalen Ladezeiten und CPU-Konkurrenten, die meist lediglich als Namen in der Punkte-Tabelle nach einem Loch auftreten, sichern zudem die außerordentliche Handheld-Tauglichkeit von Everybody's Golf. Es ist problemlos möglich, im Bus ein paar Löcher seines aktuellen Karriere-Turniers zu spielen oder seine kindliche Spielfigur im Wartezimmer beim Zahnarzt in frisch erstandene Kleider und Gadgets zu hüllen. Über den Tag hinweg feilt man so zwischendurch immer mal wieder an seinem Handicap und wundert sich, wie schwer es ist, die Gedanken von diesem in seiner Niedlichkeit geradezu tückischen Spiel auf die eigentlich relevanteren Aufgaben des Tages zu lenken. Zum Beispiel Texte für eine Videospielseite zu schreiben.
Doch auch ohne die stimmige Ausrichtung des Titels würde er allein auf dem Platz schon viel Freude verbreiten. Die unterschiedlichen Wetterbedingungen über den hübsch anzusehenden und abwechslungsreichen Fairways verleihen der Spielwelt eine gewisse Anfassbarkeit, die durch einige nette Spielereien mit den neuen Vita-Features noch verstärkt wird. Mit der Fingerkuppe lasst ihr Bäume rascheln und weht herumliegendes Laub oder das triumphale Sieges-Lametta als feine Brise über den Rasen. Wer mag, kann die Bewegungssensoren des Gerätes auch dazu einsetzen, die Kamera in Ego-Sicht über den gedanklichen Rasen zu schwenken. Durch das Neigen der Vita schaut ihr so etwa auf Tee und Golfkeule herab, um mit einem Schwenk nach links der abgeschlagenen Kugel zu folgen. Dies sind zwar nur ein optische Effekte, trotzdem ertappt man sich immer wieder dabei, gerade letztere Funktion als eine Art Guckkasten in die virtuellen Landschaften zu nutzen. Doch auch das eine oder andere praxisbezogenere Vita-Feature gibt es, etwa die Option, das Rückseiten-Touchpad zur Vermessung des vor euch liegenden Terrains zu nutzen.
Wie bereits angerissen, liegt der Reiz von Everybody's Golf vor allem darin, wie zugänglich es seine Komplexität verpackt. Natürlich muss auch hier alles, was im Golf zum Tragen kommt, mit der gebotenen Aufmerksamkeit berücksichtigt werden. Dabei erliegt das Spiel nie der Versuchung, dem Gast zu vermitteln, der Sport übersteige seinen Horizont. Windrichtung - hier neben dem traditionell-übersichtlichen Pfeil in einem der schönsten Züge des Spiels dadurch erkenntlich gemacht, dass eure Spielfigur auf Knopfdruck eine Handvoll hinfort segelnder Blätter fallen lässt -, Bodenbeschaffenheit, Drall des Balles und der perfekte Kontakt beim Abschlag sind allesamt so wichtig, wie man es erwartet.
Gute Approaches und exakte Schläge werden zudem mit Punkten belohnt, die nach der Runde in In-Game-Währung für den ausladenden Spiel-Store getauscht werden. Auf diese Weise wird nicht nur dazu motiviert, jedes einzelne Loch so elegant und effizient wie möglich zu spielen, sie dienen auch als Pattlöser, wenn zwei Golfer einen Kurs mit demselben Handicap beenden. Darüber hinaus sorgt zudem eine Art Erfahrungspunkte-System dafür, dass die Loyalität zu eurer Lieblingsfigur sich später auch in verbesserten Werten niederschlägt. Lernwillige Spieler behalten also trotz des breitenwirksamen Charmes des süßen bis durchgeknallten Rudels von Anime-Golfern immer die Oberhand.
"Lernwillige Spieler behalten also trotz des breitenwirksamen Charmes des süßen bis durchgeknallten Rudels von Anime-Golfern immer die Oberhand."
Und wie charmant es ist. Freudig bunte Lettern quittieren wunderbar arcadig perfekte Tee Offs oder besonnenes Putting. Neben den schönen Animationen ebenso der Figuren wie der reichhaltigen Tierwelt - Bären, die mit Eichhörnchen auf dem Grün Ringelreihen tanzen, sind kein Anlass zur Besorgnis -, lässt einem vor allem die Vertonung warm ums Herz werden. Wenn ein viel versprechender Putt auf sein Ziel zu kullert, hört man die Anspannung der brünetten Halbwüchsigen förmlich raus, wenn sie in einem lang gezogenen "Yeeeeeeeees!" dem Birdie entgegenfiebert. Wenn das Gör einen Double Bogey mit einem optimistisch geschmetterten "It's alright" kommentiert, es ein aufgebrachter Zuschauer aus dem Off aber anders sieht und "FORGET IT!!" gnarzt, kann man sich ein dummes Grinsen nicht verkneifen. Es sind diese Momente, in denen man merkt, wie gern man dieses Spiel hat.
Die Online-Optionen, die leider erst mit dem Start der Vita zur Verfügung stehen, werden die die Downtimes, die Beruf oder private Verpflichtungen vor eurer Quality Time mit diesem Spiel gesetzt haben, nicht gerade erträglicher machen. Gerade in Gesellschaft ist diese Reihe ein echter Dauerbrenner. Schade, dass Clap Hanz dieser neuesten Ausgabe ausgerechnet einen Hot-Seat-Modus versagt hat, bei dem mehrere Konkurrenten eine Vita hin und herreichen. Lokale Mehrspieler-Partien finden demnach nur im Ad-Hoc-Modus statt. Gut gefällt mir vor allem die Idee der täglich wechselnden World-Invitational-Turniere. Hier versucht ihr einmal pro Tag an dem dargebotenen Kurs und lasst eure Leistung mit der anderer Spieler vergleichen.
Auch wenn sich Everybody's Golf also nicht unbedingt neu anfühlt, bietet dieses Spiel ein so umfassendes Paket unkomplizierten und doch motivierenden Golf-Spaßes, dass es nicht schwer fällt, eine uneingeschränkte Kaufempfehlung auszusprechen. Das Spiel ist vielleicht weniger das absolute Vita-Showcase, was vor allem daran liegt, dass es sich lieber auf lange entdeckte Stärken konzentriert anstatt händeringend neue zu suchen. Ungeachtet dessen liefern Clap Hanz und Sony mit dem gewohnten Ansatz jedoch eine Unterwegs-Ausgabe, die plattformübergreifend keinerlei Vergleiche scheuen muss.
Womit wir wieder beim Titel dieses Standardwerks in Sachen Zugänglichkeit und Spieltiefe wären: Der verspricht nicht weniger als ,Golf für Jedermann' - ich schlage vor, ihr nehmt ihn beim Wort.