Evoland - Test
Das spielerische Äquivalent zu “Wer kennt noch XY”-Nostalgie-Meldungen auf Facebook.
Ich liebe das Grundkonzept hinter Evoland. Anstatt nur passiv Informationen über die Entwicklung des Action/Rollenspiel-Genres anhand simpler Texte oder Videos zu erhalten, nehmt ihr aktiv an der virtuellen Geschichtsstunde teil und spürt alle Veränderungen, die in den letzten Jahrzehnten erfolgten. Ihr startet das Spiel in einer verpixelten und von Farben befreiten Welt, die durch das Öffnen von Truhen langsam an Inhalten gewinnt. Größere Farbpaletten, flüssigere Animationen oder verbesserte Bewegungsmöglichkeiten halten den Spielfluss während der ersten halben Stunde auf hohem Tempo. Überall erkennt ihr kleinere Anspielungen auf Genre-Klassiker, freut euch über den Wechsel bekannter Grafik-Stile im passenden Retro-Look und löst kleinere Denkaufgaben.
Starker Aufstieg ...
Wegen der ständigen Dauerentwicklung eurer Umgebung und Erweckung nostalgischer Gefühle, stört ihr euch recht wenig an dem simplen Gameplay. Ihr schlachtet ein paar Kreaturen mit eurem Schwert, folgt dem linearen Pfad und landet schnell auf der Oberwelt. Hier wechselt das Geschehen von Zelda zu Final Fantasy, natürlich nicht ohne rapide aufeinander folgende Zufallskämpfe, deren Design sich ebenfalls an Squares frühen Abenteuern orientiert. Diese Art Gefecht beschränkt sich jedoch exklusiv auf die Oberwelt. Innerhalb der Orte kämpft ihr weiterhin wie in Zelda: A Link to the Past gegen kleinere Kreaturen, löst nebenher ein paar Rätsel und stockt euer Waffenarsenal mit Bomben sowie einem Bogen auf.
Und genau hier begeht Evoland einen fatalen Fehler, der das restliche Erlebnis für mich in eine dröge Erfahrung verwandelte. Denn anscheinend vergaß man, dass sich neben der Optik besonders das Gameplay stetig weiterentwickelte und sich in verschiedene Richtungen ausdehnte. Neue Upgrades aus Truhen liegen immer weiter auseinander, während der Ablauf stagniert und spielerisch auf untersten Niveau bleibt. Ich finde es ja auch ganz lustig, wenn sich der 2D-Look auf einmal in 3D verwandelt und später vorberechnete Hintergründe in einer der Städte benutzt. Darin liegt aber nicht die Essenz der Spiele, sondern lediglich eine nostalgische Verbindung, die dadurch geweckt wird.
Neue Upgrades aus Truhen liegen immer weiter auseinander, während der Ablauf stagniert und spielerisch auf untersten Niveau bleibt.
Gleiches gilt für die Anspielungen, die sich im letzten Drittel nur noch auf Final Fantasy Fantasy VII konzentrieren. "Woah, ein Charakter heißt Sid und bedient ein Luftschiff. Hey, der Obermotz nennt sich Zephyros. Klingt ja fast so wie Sephiroth. Oh mein Gott, den kenne ich! Das Spiel spricht meine Kindheit an." Fehlt nur noch der Like-Button neben dem Namen. Keine dieser Referenzen ist auf irgendeine Weise clever oder wagt es gar, seine Vorlage zu parodieren. Vollkommen ideenlos befinden sie sich im Abenteuer verstreut, damit selbst der Dümmste es noch kapiert und sich Hände klatschend vor dem Bildschirm freut.
Die Übernahme dämlicher Aufträge ergibt für mich ebenso wenig Sinn. An einer Stelle schicken euch mehrere Charaktere zwischen verschiedenen Punkten eines Ortes hin und her, um am Ende ohne Gegenleistung den für die Handlung benötigten Gegenstand preiszugeben. Soll es mir zeigen, wie spaßbefreit diese Sorte Mission in diesem Genre sind? Dann fehlt der intelligent eingeführte Hinweis auf ihre Sinnlosigkeit. Oder will man damit das Quest-Niveau früherer Titel erklären? Dann wiederum bleibt die spätere Entwicklung zu besser ausgearbeiteten Aufträgen aus. So erzielt es aktuell nur einen Effekt: Es geht mir auf die Nerven.
... schmerzhafter Sturz
Ein besonders schlimmer Fall von Zeitverschwendung findet sich in den Zufallskämpfen wieder, die man von sämtlichem nennenswerten Inhalt befreite. Zunächst besitzt euer Held nur einen stupiden Angriff, gefolgt von der Möglichkeit, Tränke zu schlucken. "Ok.", dachte ich mir leichtsinnig. "Sie wollen mir wie zuvor die simplen Anfänge des Kampfsystems zeigen und sich später steigern. Mal sehen, was noch folgt."
Die Antwort: Nichts! Oh, es gesellt sich kurz darauf eine junge Dame in eure Partie, die aber neben ihrer Heil-Fertigkeit nur einen lausigen Zauber erlernt. Somit hämmert ihr mit dem Wunsch nach Abwechslung bei jedem Kampf auf die Leertaste und verwendet gelegentlich einen Heilzauber. Da die Aufstufung beider Figuren vollkommen irrelevant ist, sind die Kämpfe auf der Oberwelt nichts weiter als verlorene Zeit. Wo bleiben denn hier die Neuerungen, die selbst in den 90ern bei jedem Final Fantasy erfolgten? Warum schenkt man dem Spieler nicht nach einem Levelaufstieg neue Spielelemente? Oder wollte man damit einfach nur ausdrücken, wie nervig Zufallskämpfe wirklich sein können? Wenn dem so ist, dann herzlichen Glückwunsch!
Dabei steigen dennoch zwischenzeitlich kleinere Geniestreiche aus dem zähen Nostalgiebrei auf. In der Wüste gegen Ende trefft ihr beispielsweise auf mutierte Schildkröten, Pilze und fleischfressende Pflanzen. Zudem bemerkt ihr grüne Rohre, die im Sand langsam in ihre Einzelteile zerfallen. Subtil und clever. Sogar die spielerische Seite brilliert an wenigen Punkten, wenn auch nur sehr kurz. So wechselt ihr in einem Gebiet an versteckten Kristallen die Zeit, wobei die Grafik mit altert und sich direkt auf die Rätsel auswirkt. Größere Steine könnt ihr nur in der 3D-Variante überqueren, da sie in der strikten von-oben-Ansicht in der Vergangenheit den Weg versperren. Die kleine Einlage dauert kaum zehn Minuten und verschwindet danach für immer. Lieber schickt man euch erneut in einen Zelda-Dungeon mit linearem Aufbau ohne kreative Einflüsse oder Änderungen.
Evoland spielt ganz eindeutig mit eurer Nostalgie, die folglich auch der einzige Grund ist, wenn man doch am Ball bleibt. Denn abgesehen von der ersten halben Stunde, in der wirklich rapide Entwicklungen in sämtlichen Bereichen erfolgen, verwandelt sich der Titel in den nächsten zwei bis drei Stunden in eine Mixtur aus stupiden Kämpfen und anspruchslosen Rätseln mit gelegentlichen Grafik-Updates. Das zu Beginn versprochene Konzept einer spielerischen Geschichtsstunde zerfällt schnell und bleibt bis auf wenige Ausnahmen an Zelda: A Link to the Past und Final Fantasy VII hängen. Westliche Einflüsse reduzieren sich auf eine kurze Diablo-Sequenz. Andere Vorreiter wie The Elder Scrolls oder Ultima, die das Genre zu ihrer Zeit in neue Richtungen führten, bleiben außen vor. Doch selbst innerhalb der erwähnten Serien zeigt sich keine spielerische Ausweitung. Als hätten sich JRPGs abgesehen von ihrer Optik nie verändert.
Bitte lasst euch von nostalgischen Gefühlen und der charmanten Optik nicht einlullen. Evoland verliert zu früh das Ziel aus den Augen und ruht sich danach auf seinem zugegeben fantastischen Konzept aus. Ein paar billige Anspielungen wirft man euch wie Süßigkeiten vor die Füße, um euch stillzuhalten, während zu viele langweilige Elemente die wirklich guten Ideen unter sich begraben.