Evolution ist sicher auch etwas, an das der Böse in Far Cry 5 nicht glaubt.
Aber es ist genau das, was mit diesem Teil einen Sprung machen könnte.
Far Cry läuft schon ein Weilchen, angefangen bei seinen Wurzeln als technisches Meisterwerk seiner Zeit und verdammt guter Shooter, über extreme wie manchmal fehlgeleitete Innovationsambitionen im zweiten bis zum Reboot im dritten Teil. Der stellte dann die Formel auf, nach der das Spiel seitdem funktioniert, relativ egal, ob in der glorreichen Amiga-Intro-Cyber-Saurier-Super-Future von Blood Dragon oder der linguistisch ambitionierten Steinzeit in Primal. Es wird Zeit für eine weitere Evolution - auch wenn die Revolution nicht unbedingt in Sicht scheint. Aber das halte ich für okay, denn selbst in den schwächsten Phasen eines etwas lieblosen Teil 4 hatte ich immer noch mehr als genug soliden Shooter-Spaß.
Was also kann nun der fünfte Teil tun, um das Muster der Türme aufzubrechen? Nun, weitestgehend die Stärken ausnutzen und Ballast abwerfen. Und die Türme einreißen.
Das Böse kommt von einem zu realen Ort
"Reality" ist hier vielleicht gerade "stranger than fiction", aber nah dran allemal. Far Cry 5 könnte zumindest ein hübscher Zerrspiegel werden. Wer von außen auf die USA blickt, kann manchmal zu dem Schluss kommen, dass dort alle verrückt, drogenabhängig und schwer bewaffnet sind. Das Problem ist, dass dieser Eindruck je nach Teil des Landes zwar mit dem berühmten zu breiten Pinsel gemalt wurde, aber eben nicht ganz falsch ist. Die Empfänglichkeit für eine Erlöserfigur wie diesen Bösewicht ist enorm hoch. Man muss sich nur die diversen Fernsehprediger angucken, die dazu übergingen, sich nicht mal mehr die Mühe zu machen, ihre Jesus-Lear-Jets zu verstecken, und trotzdem von Zigtausenden mit allem "unterstützt" werden, was diese überweisen können. Auch wenn es noch unter dem Mantel christlichen Glaubens passiert, ist es schon näher an Scientology und Co. als an allem anderen. Konkretere Beispiele mit dramatischem Ausgang im kleineren Rahmen sind Waco oder Jonestown, Kulte, die beide in einer Menge Kugeln und Kool-Aid endeten.
Ein anderes Thema sind Drogen. Medikamente genauso sehr wie harte Drogen, in denen Teile der USA mehr schwimmen als je zuvor. Waren es in den 70ern und 80ern mehr die Großstädte, die im Fokus des "War on Drugs" standen, sind es heute verstärkt die verarmten ländlichen Gegenden, in denen sich die Bevölkerung zudröhnt, um ihrer Lebenssituation zu entkommen - und teilweise nicht mal grundlos. Der "Amerikanische Traum" hat sich zu einer radikalen Version von Sozialdarwinismus gewandelt und die aktuelle Regierung wurde zwar gewählt, um das zu ändern, aber das erste Jahr sagt mir irgendwie, dass das wohl ein Fehler gewesen sein könnte.
Waffen in Verbindung mit paranoiden Milizionären schließlich sind keine Mangelware. Es gibt um die 300 Gruppen, bewaffnet mit allem, was die Messen hergeben, und das ist vielleicht mit Ausnahme eines Flugzeugträgers so ziemlich alles, was es gibt. Separatismus spielt dabei oft eine Rolle, denn viel Liebe für die zentrale Regierung in Washington gibt es nicht und allein in den Bergen und Feldern ist es eh am schönsten. Rassismus und Sexismus, verbunden mit Nazi-Liebe für einen starken Führer, kommen oft genug dazu. Es ist das komplette Paket von allem, was einen so an der Menschheit zweifeln lässt. Hier gibt es in der Realität mehr als genug Stoff, der für einen normalen Menschen so absurd scheint, dass eine Parodie kaum möglich sein sollte.
Far Cry 5 hat damit unglaublich viel sehr realen Sprengstoff, mit dem es spielen kann, nur die Frage wird sein, wie gut es ihn handhabt. Teil 3 und 4 waren Parodien, aber es blieb etwas unklar, worauf. Überzeichnete Warlords, Möchtegernherrscher, komplett durchgedreht auf einer Insel oder in einem abgelegenen Tal, das war Videospielmaterial. Sicher, es gibt Ecken der Welt, wo das Elend dieser Umstände tödlich real ist, aber die Zeichnung dessen war nicht das Ziel dieser Spiele. Vielleicht gut so, denn dortige Probleme bewegen sich (noch?) auf einem anderen Level als in diesen Gebieten der USA, die Teil 5 abbilden kann. Der Zerrspiegel, den dieser dagegen in der Hand hält, hat viel Potenzial, die Absurdität der Realität auf eine Art zu zeigen, die unterhaltsam, aber eben auch zutiefst beunruhigend sein kann. Weil man weiß, dass es alles nicht weit weg von einem Todeskult mit anwaltlicher Unterstützung und freundlicher Fassade ist. Es muss halt nur der nächste Jim Jones kommen, um es wahr werden zu lassen, und mal gucken, wie weit es heute im Zeitalter alternativer Fakten geht.
Das ist eine Menge zu tragen für einen Shooter, aber wenn man diese Büchse der Pandora öffnet, sich edgy gibt, dann ist es hoffentlich mehr als nur ein weiterer Irrer auf einer Insel, sondern eine Erinnerung daran, dass auch das "Greatest Country" manchmal "fucked up" ist. Ob das klappt, wir werden sehen.
Und, was hast Du so erlebt?
Die Entwickler haben auch bei vorigen Teilen oft davon gesprochen, aber immer eher vage und es schien weitestgehend ein zufälliger Teil der Konzeption ihrer Spielmechaniken zu sein: die Sandbox. Diesmal jedoch gaben sie dieser Zufallsempfängnis einen Namen - "anekdotische Erzählweise" - und es ist ein Wunschkind. In älteren Far Crys gab es immer wieder Momente, in denen mal ein Tier in eine Basis wanderte, während ihr sie ausgekundschaftet habt, und euch dort ungeplant einen Teil der Arbeit abnahm. Sandbox halt, die Welt spielt mit.
Wenn dieser Aspekt wirklich endlich auf Entwicklerseite nicht nur identifiziert, sondern akzeptiert und gehegt und gepflegt wurde, dann gibt es hier sehr viel Potenzial. Es soll so sein, dass zwei Spieler auf dem Weg von A nach B eine komplett unterschiedliche Reise erleben können. Nicht müssen, in der Realität kommt es oft genug vor, dass zwei Reisen sehr identisch verlaufen. Aber wenn Ubisoft einen Weg gefunden haben sollte, mehr als ein paar wandernde Tiere oder Redneck-Convoys auf eine sinnvolle Art zu integrieren und daraus bedeutungsvolle Spielelemente zu ziehen, über die ihr stolpert oder auch nicht, die aber eben nicht nach nur wenigen Stunden austausch- und vorhersehbar wirken, dann wäre das ein großer Sprung. Einer, der sich leider nicht in kurzen Sessions zeigen und beweisen kann, sondern erst ab Stunde zehn und darüber. Man wird sehen.
Sei mein Freund und hilf mir!
Bisher teilte Far Cry NPCs in zwei klare Kategorien auf: zum einen die, die ihr praktisch garantiert findet und deren definierte Missionen ihr abarbeitet, sei es als Teil der Hauptquest oder als optionale Nebenmissionen. Und dann gab es die eine oder andere Gruppe von namenlosen Rebellen, denen ihr mal hier und da ausgeholfen habt, die ihr als Kanonenfutter rufen konntet und die euch die meiste Zeit nicht egaler sein könnte.
Nummer fünf scheint das Ganze jetzt ein wenig neu zu mischen, indem man sich die in optionalen Quests erarbeitete Unterstützung - zum Beispiel eines im Zoo mit Cheeseburgern überfütterten Bären - erst verdienen muss, wobei diese aber auf Wunsch auch mal etwas persönlicher und mit eigenem Charme aushelfen. Man ruft halt lieber jemanden zur Hilfe, von dem man wenigstens den Namen kennt - der Bär heißt wenig einfallsreich Cheeseburger und ist natürlich Teil der nicht immer ganz ernsten Seite, die ein Far Cry ebenfalls hat. Ob sich das dann in sinnvoller Hilfe im Spiel niederschlägt und es gewinnbringend den Sandbox-Appeal unterstützen kann, muss sich zeigen.
Nieder mit den Türmen!
Die Selbstironie kommt mit ein paar Jahren Verspätung, aber besser als nie: Es gibt in Far Cry 5 einen Turm. Auf den klettert ihr ziemlich früh drauf. Oben angekommen fragt euch jemand, was ihr da treibt, und sagt, dass ihr euch doch das Gebiet mal in Ruhe angucken sollt, weil ihr von da oben ja nicht wirklich was sehen könnt. Also geht ihr los und entdeckt eine ganze Menge Zeugs, das nicht auf der Karte magisch eingezeichnet wird. Klar, es ist kein Hardcore-Simulator ohne Hilfsmittel, natürlich gibt es Wegpunkte, Zielmarkierungen und andere Dinge, die ein moderneres Navi tendenziell auch bietet. Aber vom Turm aus die Satellitenanalyse fahren, die Zeiten sind vorbei. Es passt gut zu der angestrebten individuellen Spielerfahrung, die jeder machen soll und bei der nicht jeder die gleichen Dinge findet, wenn man nicht die Karte hundertprozentig plus X abgrast. Mal gucken, ob die Assassinen als Nächstes von ihren Türmen runterkommen.
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Far Cry 5, das narrative Sandbox-Meisterwerk?
Ähhh.... Nein. Sicher, Überraschungen sind immer möglich, aber so weit würde ich mit meinen Erwartungen nicht gehen. Vor allem müssen sich die oben genannten Dinge erst in langen Spielsessions beweisen, denn die angestrebte, individuellere Spielerfahrung wie auch die Einbindung der nicht aus der Luft gegriffenen inhaltlichen Elemente müssen sich entfalten. Und zeigen, dass nicht zu viel Cheeseburger drinsteckt, denn man kann nur begrenzt viel Diabetes-Bär reinpacken, ohne dass es bei allem gebotenen Ernst zum reinen Slapstick verkommt. Alles eine Frage des Maßes und es wird sich zeigen, wo Far Cry 5 damit landet. Aber zumindest lässt es erkennen, dass potenzielle Stärken jenseits eines rein auf mechanischer Ebene guten Shooters - was Far Cry immer war - erkannt wurden, gestärkt werden sollen und sogar die Türme Geschichte sind. Ein Anspielbericht folgt in den nächsten Tagen, dann gibt es mehr Details zu dem, was man in zwei Stündchen mit dem Controller in der Hand erfahren kann. Aber ihr seht, dass meine Hoffnungen an das, was das ganze Spiel leisten könnte, nicht klein sind. Mehr dann Ende des Monats.