Ex-Dishonored-Entwickler: 'Furcht vor Zensur macht Spieler blind'
Spiele, die dem Spieler keine Wahl lassen, schaden der Gesellschaft.
Ein ehemaliger Entwickler von Arkanes Dishonored ruft die Spieler dazu auf, ein wenig mehr über die Gewalt in Spielen nachzudenken.
Dabei bezieht er sich in einem Beitrag auf Rock, Paper, Shotgun allen voran auf die verteidigende Haltung der Spieler, wann immer eine Verbindung zwischen virtueller und echter Gewalt ins Spiel kommt - zuletzt nach dem Amoklauf im amerikanischen Newtown.
„Angesichts der jüngsten Schusswaffen-Gewalt in den USA und der daraus resultierenden Kritik an Spielen ist es wichtig, dass Spieler nicht den einfachsten Ausweg suchen und sagen, dass Spiele kein Teil des Problems sind", schreibt Joe Houston. „Obwohl ich denke, dass das wahr sein könnte... es ist schade, dort aufzuhören."
„Zu oft denken wir darüber nach, was uns als Spieler und Entwickler verloren gehen könnte, wenn wir uns an dieser Diskussion beteiligen. Die Furcht vor Zensur macht uns blind. Das Resultat ist, dass uns so kreativere und effektivere Wege entgehen, mit denen wir ein Teil der Lösung sein könnten."
Spiele wie Dishonored würden dem Spieler alternative Möglichkeiten bieten, um sein Ziel (auch gewaltfrei) zu erreichen, während man in linearen Titeln schlicht und ergreifend keine andere Wahl hat, als Gewalt auszuüben. Dieser „Mangel an Entscheidungsfreiheit in puncto Gewalt schade tatsächlich der Gesellschaft."
„Ich glaube nicht, dass Gewalt in Spielen Gewalt in der realen Welt verursacht, aber ich glaube auch, dass wenig unternommen wird, um das zu vermeiden. Und Spiele mit bedeutsamen - und potentiell unangenehmen - Entscheidungen sind vielleicht besser, weil die Chance besteht, dass der Spieler über das nachdenkt, was er da auf dem Bildschirm macht."
Als Beispiel nennt er etwa auch die Entscheidung der USK, Dishonored ohne irgendwelche Kürzungen für den deutschen Markt freizugeben. Houston glaubt, dass eben diese Entscheidungsfreiheit in Dishonored eine wichtige Rolle bei dieser Entscheidung gespielt hat.
„Man könnte damit argumentieren, dass es zum Großteil daran liegt, dass man das Spiel spielen kann, ohne irgendjemanden zu töten", so Houston weiter. „Das verändert nicht all die Dinge, die man vielleicht in diesem Spiel tun kann, aber alleine die Tatsache, dass es einen gewaltlosen Weg gibt, lässt jeden Akt der Gewalt, zu dem ihr euch entscheidet, in einem anderen Licht erscheinen.
Weiterhin beschreibt er den Moment, in dem er zum ersten Mal nach der Veröffentlichung von Dishonored sah, wie ein Spieler den „Boyle Estate"-Level löst und er sich dabei ein wenig mulmig fühlte. In der Mission muss Hauptcharakter Corvo an einem Maskenball teilnehmen und durch Gespräche mit Gästen und die Erkundung der Umgebung sein Ziel zu finden.
Alternativ kann man auch einfach wild um sich feuern, was der Spieler in diesem Fall auch tat. Und nachdem alle Wachen bereits getötet waren, blieben die flehenden Zivilisten übrig, die dann aber nach und nach auch vom Spieler getötet wurden. Selbst die zwischendurch auftauchende Nachricht, dass die Aufgabe erfüllt wurde, ließ ihn nicht aufhören.
„Ich muss lachen, wenn ich diese Geschichte erzähle, weil sie einfach so absurd ist. Als das passierte, lehnte sich mein Freund Anthony Huso, Level Designer des Boyle Manor, zu mir rüber und flüsterte: „Das ist eine Horror-Show!" Wir beide lachten ein wenig, aber damals wie heute bereitete mir das auch etwas Unbehagen."
„Ich denke, was mir dieses Unbehagen bereitet, ist der Kontext der hier getroffenen Entscheidungen", so Houston. „Mehr als in anderen Missionen hat der Spieler hier nicht nur Alternativen zum Blutvergießen, sie scheinen auch in jeder Hinsicht die bessere Wahl zu sein: In diesem Level Leben zu verschonen, ist spaßiger, sorgt für mehr Gameplay, man sieht mehr und so weiter. Und dennoch entscheidet sich der Spieler dafür, jeden zu töten. Diese Kette von fachmännisch und mit finsterem Blick durchgeführten Morde an Zivilisten sind so beabsichtigt, wie es im Spiel nur möglich ist - und für mich stellt das eine beunruhigende Lösung dar."
„Als jemand, der schon sein Leben lang spielt und seit acht Jahren Spieleentwickler ist, resultiert das in einer emotionalen Reaktion, die ich von einem linearen Spiel nicht wirklich bekommen kann. Gewaltakte in Spielen sind derzeit für mich nur eine weitere Form des visuellen Ausdrucks. Wenn man sie in ein Spiel steckt, in dem ich nicht die Entscheidungen treffe, wird die Gewalt (und selbst die erschreckende Gewalt) lediglich zu einem Statement dessen, was die Entwickler auszudrücken versuchen - und weniger zu einem Statement über mich als Spieler, der in eine Rolle gezwängt wird."
„Ganz besonders bemerkte ich das vor ein paar Jahren, als ich in die Rolle eines Terroristen gesteckt wurde, der Zivilisten in CoD: Modern Warfare 2 erschoss", so Houston weiter. „Obwohl ich nicht bestreiten will, dass dieses Thema schwierig war und auch einige moralische Fragen aufgeworfen hat, beeinflusste das Spielen doch nicht meine Art und Weise, wie ich über mich selbst oder andere Spieler dachte, die diesen Level spielten. Die einzig echte Wahl im Spiel war, ob man weiterspielen möchte oder nicht (indem man diesen Abschnitt überspringt, wenn man vor die Wahl gestellt wird). Obwohl irgendetwas davon die Leute sicherlich gefordert oder angegriffen hat, geschah es doch gänzlich ohne irgendeine Form von Entscheidungsfreiheit. Selbst wenn ihr es gespielt habt, war es nur ein gewaltsames Diorama, dessen Ablauf von jemand anderem gelenkt wurde."