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eXperience112

Ein Meisterwerk

Entdeckt Lea wiederum einen Code, der Euch Zugriff auf weitere Daten verschafft (Login und Passwort eines anderen Wissenschaftlers beispielsweise), schreibt sie die vielleicht auf eine Tafel, so dass Ihr sie sehen könnt - sofern eine in der Nähe ist. Oder sie hält den Zettel in die Kamera und Ihr müsst lediglich heranzoomen, um ihn lesen zu können. Genauso sucht Ihr die Spielwelt nach Hinweisen ab.

eXperience112 ist ein Meisterwerk, weil es Euch vorgaukelt, Ihr wärt in Kontrolle, obwohl Ihr es nicht seid. Ihr fühlt Euch in Kontrolle, schließlich dürft Ihr einen Großteil der Einrichtung des Schiffes bequem von Eurem Schreibtisch aus bedienen. Schließlich ist Lea auf Euch angewiesen, schließlich dürft Ihr sie regelrecht von Raum zu Raum dirigieren. Doch dann gibt es immer wieder Momente, in denen sie bewusst nicht das tut, was Ihr von ihr verlangt. Wenn sie einen unheimliche Ecke nicht untersuchen will, wenn sie einen Raum verlässt, weil er ihr Angst macht.

In diesen Augenblicken wird Euch klar, dass Ihr es mit einer eigenständigen Person zu tun habt, die ihr Handeln in erster Linie von ihrem eigenen Willen bestimmen lässt. Ihr seid zwar ein Paar, ihr nehmt sie an die Hand und tragt in gewisser Weise die Verantwortung für sie. Aber Ihr seid ein gleichberechtigtes Paar: Ihr seid fast genauso auf ihre Mithilfe angewiesen wie sie auf Eure, sie verschweigt Euch zu Beginn vieles und offenbart erst mit der Zeit mehr über ihre Hintergründe. Ihr besitzt die Macht über die Welt, aber nicht über den Menschen.

Infos, Infos, Infos.

eXperience112 ist ein Meisterwerk, weil es Euch zeigt, dass Eure Taten wirklich Auswirkungen haben. Dass sich da auf der anderen Seite hinter den Kamerabildern auf dem Monitor tatsächlich ein lebendiges Wesen befindet. Wenn Lea gerade auf einer Bank sitzt, dabei Notizen oder Tagebucheinträge liest und Ihr das Licht ausschaltet, wird sie sich umgehend bei Euch beschweren. Und wenn Ihr vom Spielen mal einen Tag Pause einlegt, quittiert sie das zur Begrüßung mit den beiden ersten Sätzen dieses Reviews, die Euch regelrecht Schuldgefühle aufzwingen.

Überhaupt wird alles im Spiel ganz wunderbar erzählt: Flashbacks, Audio-Aufzeichnungen sowie Mails der Besatzung fügen sich nach und nach wie kleine Puzzlestücke zu einem großen Gesamtbild zusammen. Das Gemeine daran ist, dass Ihr fast sämtliche Informationen quasi vor Euch in Eurem Computer habt, aber nicht an sie herankommt, weil Euch die notwendigen Passwörter und die Zusammenhänge fehlen.

Auf dem Außendeck sieht's aus wie im Dschungel.

eXperience112 ist auch ein Meisterwerk, weil mir, wenn ich es mit anderen Spielen vergleiche, nur die Besten der Besten einfallen. Das Szenario, die Spielwelt hat was von BioShock. Die Interaktion mit Lea erinnert entfernt an Ico, die Reaktionen auf Eure Handlungen an Deus Ex. Der Erzählstil lässt sich am ehesten mit dem von System Shock vergleichen. Aber der Titel bedient sich niemals direkt bei der Konkurrenz, das hat er nicht nötig.

Selbstverständlich wird man, wenn man mit der Lupe sucht, kleine Schwächen finden. Die Performance geht ganz schön in den Keller, sobald zwei Kamerafenster oder mehr gleichzeitig geöffnet sind. Ein paar Objekte sind etwas zu gut versteckt, die optionale automatische Kameraverfolgung funktioniert nicht perfekt, Lea läuft recht lahm und die Geschichte schlägt in der zweiten Hälfte ein wenig über die Stränge. Aber wen interessiert's?

Denn eXperience112 ist ein Meisterwerk. Ich weiß, ich sage das zum wiederholten Male, aber es ist eine Tatsache, die man nicht oft genug betonen kann. Kein anderes Adventure bezieht Euch so sehr ins Spielgeschehen ein. Kein anderes Adventure lässt Euch so spüren, dass Ihr hier nicht nur ein wenig "daddelt", um die Welt zu retten, sondern dass Ihr eine einzelne Person aus ihrem Schicksal helfen müsst. Es ist erwachsen, spannend, nachdenklich, experimentell, innovativ, intuitiv, anders - und zwar im gute Sinne anders. Es ist düster, beklemmend, einzigartig, mutig, magisch...

Ein Meisterwerk eben.

9 / 10

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