Fallen Enchantress: Legendary Heroes - Test
Beim dritten Mal hat es geklappt: Stardock Entertainment hat ein ordentliches 4X-Spiel abgeliefert.
Das ganze Desaster rund um Stardocks Elemental: War of Magic damals, 2010, und die langsame Aufarbeitung der Spieleschmiede mit dem Remake Elemental: Fallen Echantress Ende 2012 ist seinerzeit an mir vorübergegangen. Zum Glück. Sonst hätte ich vielleicht nicht so unbefangen die Standalone-Erweiterung Fallen Enchantress: Legendary Heroes ausprobiert und dieses rundherum solide 4X-Fantasyspiel verpasst. Denn das versetzt mich schnurstracks zurück in meine Jugend, als die Welt noch in Ordnung und Master of Orion II Dauergast in meinem CD-Laufwerk war.
Ich weiß, es gibt vermutlich weitaus passendere Vergleiche zu anderen Titeln nach dem 4X-Prinzip da draußen, namentlich Master of Magic von 1994 (ebenfalls von Steve Barcia, dem Vater von Master of Orion). Wir erinnern uns: 4X steht für Explore, Expand, Exploit, Exterminate. Die Civilization-Reihe ist ein prominentes Beispiel. Doch für mich drängt sich der Vergleich zwischen Legendary Heroes und "MOO2" auf. Schon weil ich ein bisschen Nostalgie hin und wieder zu schätzen weiß.
So sehr sich die beiden Einzelspieler-Titel auf den ersten Blick unterscheiden, so ähnlich sind sie sich hinter ihrer jeweiligen Sci-Fi- und Fantasy-Fassade. Man ersetze Weltraum durch Landmassen, Planeten durch ertragreiche Äcker, Kolonien durch Siedlungen, Außen- durch Vorposten, hilfsbedürftige Sonnensysteme durch Tavernen mit Quests, waffenstarrende Raumschiffe durch magiebegabte Streiter und abenteuerlustige Kapitäne durch angeheuerte Helden.
Beide Titel sind rundenbasiert bis ins Mark, auf der Übersichtskarte und im Kampf. In Letzterem schiebt ihr eure Einheiten von Quadrat zu Quadrat nach der Reihenfolge ihres Initiativ-Wertes, bis ihre Bewegungspunkte erschöpft sind. Die KI leistet sich in beiden Spielen diverse Schwächen - in MOO2 aufgrund des Alters, in Legendary Heroes aus welchem Grund auch immer. Der Zufall bestimmt hüben wie drüben die Kartenzusammensetzung, die verteilten Monster und Zufallsereignisse. Die Diplomatie-Systeme gleichen sich optisch sehr stark, auch wenn MOO2 hier wesentlich mehr Möglichkeiten bietet und sich die Gesprächspartner glaubwürdiger verhalten. Gemeinsam haben die Spiele wiederum die verschiedenen Siegbedingungen. In Heroes erobert man entweder die Welt, erledigt alle Quests oder gewinnt durch einen ultimativen Zauberspruch.
In beiden Spielen kann ich meine Einheiten-Templates bearbeiten, Namen geben und individualisieren bis zum letzten Pixel. Die Forschung ist in beiden Spielen ein zentraler Bestandteil, in Legendary Heroes dominiert allerdings die klassische Baumstruktur, aufgeteilt in Zivilisation, Militär und Magie. Herrscher und Helden werden in der Fantasy-Welt von Elemental rollenspieltypisch ausgerüstet und in fünf verschiedenen Klassen mit Fertigkeitsbäumen hochgelevelt - das gab es in Master of Orion II nicht. Hier beginnt Legendary Heroes sich zu emanzipieren und kann sogar neue Akzente setzen.
Herrscher und Helden nach Maß
Auf den ersten Blick hätte ich nicht erwartet, dass mir Stardocks Strategietitel letztlich doch so viel Spaß machen würde. Optisch ist das Spiel kein Leckerbissen, auch wenn ich die frei rotier- und zoombare Grafikengine ordentlich finde. Stilistisch schwankt dieser Titel zwischen altbacken und charmant, was natürlich für gestandene Welteroberer nur eine untergeordnete Rolle spielen dürfte.
Unter anderem gefielen mir die zahlreichen Optionen, um meine Herrscher-Figur und die Helden rollenspieltypisch zu entwickeln. Bevor man ins Spiel startet, hat man nicht nur verschiedene Völker und vordefinierte Herrscher zu Wahl, sondern darf sein Alter-Ego nach eigenen Wünschen formen. Andere Zaubersprüche? Boni? Waffen? Klamotten? Frisuren? Eine individuelle Hintergrundgeschichte und Charakterporträts (die man sogar auf Facebook teilen kann)? Alles drin. Manche mögen derartige Individualisierungen in einem reinen Einzelspieler-Titel unnütz finden, doch für mich trägt das ungemein zur Atmosphäre bei.
Manche mögen derartige Individualisierungen in einem reinen Einzelspieler-Titel unnütz finden, doch für mich trägt das ungemein zur Atmosphäre bei
Die Helden von Legendary Heroes kommen von selbst im Verlauf der Kampagne zu euch und müssen nicht erst auf der Karte gesucht werden. Abhängig von eurem erspielten Ruhm habt ihr gelegentlich die Wahl zwischen zwei Recken, die euch von da an begleiten und ebenfalls individuell ausgerüstet werden dürfen. Das reicht von anderen Waffen bis hin zum Reittier - alles mit Boni im Kampf verbunden und an den Charakteren sichtbar. Sehr fein. Ähnliches gilt für reguläre Einheiten, für die ihr eigene Templates erstellen dürft - nachträgliche Individualisierung wie bei den Helden ist jedoch nicht drin.
In den Kämpfen haben die Heroen eindeutig die Hosen an. Sie beherrschen mächtige Zaubersprüche, stecken mehr Treffer ein, können die eigenen Truppen stärken oder den Feind schwächen und werden beim Ableben in eurer nächsten Stadt wiederbelebt. Die regulären Soldaten sind eher Kanonenfutter, bis die dicken Brocken ihre Magie in Stellung bringen. Maximal neun Truppen dürft ihr pro Gefecht einsetzen - ihr beginnt dabei mit fünf Einheiten gleichzeitig und steigert diesen Wert mittels Forschung. Am Bildrand seht ihr, in welcher Reihenfolge die Einheiten basierend auf ihrer Initiative ziehen. Ob und wie hart ein Treffer ausfällt, wird von Dutzenden Faktoren bestimmt, in die ihr euch in einer Detailansicht vertiefen dürft - passionierten RPG-Statistikern wird das gefallen.
Alle gegen einen - Ja bitte!
Spielerisch wäre der Taktik-Part an sich nichts Besonderes, würden nahestehende Einheiten nicht automatisch gemeinsam angreifen. Sobald also mehrere Einheiten in Schlagreichweite stehen, hauen sie bei jeder Attacke gleichzeitig zu, ohne einen Zug dafür zu verbrauchen. Leider hat die KI Probleme, diesen immensen Vorteil vernünftig auszunutzen und greift stattdessen offenbar willkürlich meine Truppen an. Man kann die Gefechte auch automatisch auswürfeln lassen, doch die Siegkriterien sind hier bisweilen etwas diffus. Wer selbst kämpft, hat sogar gegen scheinbar übermächtige Feinde eine Chance, solange er seine Zauber und das Kampfsystem einzusetzen weiß.
Ein Mehrspielermodus fehlt, doch die Entwickler haben immerhin diverse Editoren beigelegt, dank der ihr eigene Weltkarten erstellen könnt, die dann zufällig bevölkert werden. Modifications werden unterstützt. Ansonsten ist das Story-Szenario "Der Krieg von Anthys" kaum mehr als eine nette Dreingabe. Leider ist das Spiel außerdem noch lange nicht bugfrei. Ein paar Übersetzungs-Schnitzer in der deutschen Version und nicht ausgefüllte Platzhalter hätte ich mir noch gefallen lassen, doch die gelegentlichen Abstürze und Performance-Kellerfahrten sollten die Macher schleunigst beheben, wie auch ein Blick ins die Foren bestätigt.
Trotz seiner Schwächen hat mich Fallen Enchantress: Legendary Heroes lange gefesselt. Es ist vielleicht nicht die Innovationsmaschine schlechthin und hat ein paar Macken, aber das Gameplay findet die richtige Balance zwischen Komplexität und Einfachheit - ich muss mich nicht lange einarbeiten, kann mich aber auch in den Details verlieren, wenn ich das möchte. Der rollenspieltypische Questansatz und die Charakterentwicklung stehen dem Titel gut zu Gesicht. Die zufällig ausgewürfelten Welten mit herumstreifenden Monstern, Schätzen und Events schaffen Wiederspielwert für Entdecker.
Das Kampfsystem ist einfach, aber effektiv. Trotzdem hätte ich mir hier etwas mehr Möglichkeiten und größere Schlachten gewünscht. Das Niveau der KI lässt ebenfalls zu Wünschen übrig und das Diplomatie-System wurde eher halbherzig umgesetzt. Trotzdem ein solider 4X-Titel, der vielleicht nicht ganz die 37 Euro Normalpreis wert ist, aber den man sich als Angebot unbedingt näher ansehen sollte. In den nächsten 30 Stunden kostet Legendary Heroes auf Steam übrigens nur 13 Euro Aktionspreis. Besitzer der Vorversion bekommen im Shop der offiziellen Seite einen Rabatt.