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Fallout 4: Far Harbor - Test

Mehr vom Selben.

Viel zu tun und zu entdecken, große neue Insel, aber inhaltlich keine Überraschungen und nichts, was man nicht schon gesehen hätte.

Etwas mehr Fallout 4 in eurem... Meer aus Fallout 4? Nehmt Far Harbor und damit ein Boot zur Insel nördlich des bekannten Festlands. Die größte jemals von Bethesda gefertigte Erweiterung soll das hier sein. Flächenmäßig vielleicht. Das Eiland ist keines der kleinen Sorte. Wer Spaß daran hat, ein Kartensymbol nach dem anderen aufzudecken, von Leuchtturm bis Gerberei und Sägemühle, alles da und noch viel mehr. Ein gieriger Nebel wälzt sich durch Sümpfe und Camping-Plätze, legt einen milchig-trüben Filter vor die Linse und bildet damit einen netten Kontrast zum Hauptspiel.

Nach wie vor ist das Erkunden der Umwelt mit all den Hinterlassenschaften derer, die vor dem großen Knall hier lebten, einer der größten Reize.

Aber bei Bethesdas Add-ons denkt man auch an Elder Scrolls: Tribunal, Bloodmoon und Shivering Isles, und hier unterliegt Far Harbor deutlich, was Ideenreichtum und besonders den Einstieg angeht. Zwei Leute am Rand der Welt, deren Tochter verschwand, sollen Motivation genug sein, nur einen Fuß ins neue Gebiet zu setzen. Verschwundenes Kind, schon wieder? Hält man den himmelschreiend komischen Einstieg in den New-Vegas-DLC Old World Blues dagegen, tun sich inhaltliche Gräben auf. Bethesda tut sich schwer damit, Charaktere und Plots mit dem nötigen Fingerspitzengefühl einzufädeln. Kaum im Küstenstädtchen Far Harbor angekommen, heißt es dann auch "Nimm deinen Platz ein, hilf uns", als die erste Truppe Fischmonster aus dem Nebel kommt. Bevor man überhaupt weiß, wer die Leute hier sind, klatscht man minutenlang glühende Augen von der Bildfläche.

Ist die Erzählung erst mal dem Spielgerüst unterstellt, geht es genauso weiter, wie es im vergangenen Winter vorläufig endete. Far Harbor ist abseits seines Grusel-Settings wenig daran gelegen, eine neue Seite Fallouts herauszukehren. Man muss es als Vergrößerung der Spielwelt nehmen, für jeden, der von dieser inhaltlichen Unendlichkeit den Rand nicht vollbekommt. Entsprechend wenig herausgeputzt zeigt sich das Quest-Design.

Dieses Vieh, das sich in einem alten Kleinbus eingenistet hat und ihn Schritt auf Tritt hinter sich herzieht, brachte mich gut zum Lachen.

"Hier, hol drei Panzerplatten. Dort, töte die Ghule. Da, finde die Leiche." Es ist nicht so, dass die Quests nach derlei Mustern einen Drall bekommen wie in The Witcher. Das sind die Quests. Zumindest gefühlt 80 Prozent. Unterhaltsam dennoch die meiste Zeit über, da die Missionen in Fallout 4 seit jeher roter Faden im tatsächlichen Sinn waren, also ein vorgeschobener Grund, die mühevoll errichtete Welt zu erforschen.

Die Hauptgeschichte um eine Synthetenkolonie, die ihnen entgegenstehenden, in einem Raketensilo niedergelassenen Kinder des Atoms und den das Küstenörtchen bedrohenden Nebel hat ihre Momente. Gegen Ende gibt es einige obligatorische Entscheidungen, für wen man in die Bresche springt, und der Ausflug in den Cyberspace ist ein an Portal angelehnter Rästelabschnitt - die mit Abstand beste Idee des DLCs und eine schöne Abwechslung. Doch sie können dem Fetch-Quest-Verbund nur notdürftig den Rücken stärken. Oft ist man damit beschäftigt, eine Anlage zu infiltrieren, auf dem Weg Supermutanten, Mirelurks, Plünderer oder eine der neuen Gegnerarten zu zerlegen und mit Gegenstand X zurück zum Auftraggeber zu marschieren. Oder damit, vermisste Leute zu suchen und nach Hause zu geleiten. Manchmal muss man sie vorher noch gegen anstürmende Feinde beschützen. Sehr beliebt sind auch Aufträge, die aus nicht mehr bestehen als "Hilf Person X", "Hilf Person Y" und so weiter.

Dieser Abschnitt gehört zum Besten der Erweiterung. Mit dem Siedlungsbaumenü des Hauptspiels müsst ihr Datenströme umleiten, Firewalls ausschalten und brisante Erinnerungsdaten sammeln. Valves Portal freut sich über die Props.

An Gelegenheiten für Levelfresser mangelt es keinesfalls. Die Fraktionen überschütten einen Neuling in ihren Reihen mit allem, was sie in petto haben. Findet euch möglichst früh mit der vordergründigen Einstufung als Laufbursche ab und man kann eine Zeitlang Faszination auf diesem versifften Fleckchen Erde empfinden. Bethesda-Spiele lebten schon immer mehr vom Worldbuilding und dem Wissen, dass diesem Hunderte oder Tausende verstrichene Jahre zugrunde liegen.

Auch Far Harbor verdonnert euch zum Beschaffen verloren geglaubter Speicherlaufwerke, weil Bethesda sich darauf verlässt, dass ein schräg an der Küste gestrandetes Schiff mit aufgerissenem Rumpf an sich schon abenteuerlich genug ist. Dass man mit dem Finger über rostige Armaturen wischt und die daran hängende Geschichte nahezu riechen kann. Und das ist es mitunter durchaus. Dieses Anfassenkönnen der Welt und ihrer Bestandteile, das Nehmen, Ziehen und Verschieben sorgt für eine ganz eigene Art von "Mittendrin", weil jedes Objekt physisch "da" ist. Lesbare E-Mail-Ketten in Firmen-PCs erzählen, was den Menschen zu schaffen machte, bevor die Bomben fielen. Skelette gibt's auch wieder. Und Teddybären. Ein Skelett hat sogar seinen Teddy auf dem Teller vor sich, Essbesteck drumherum. Wie albern.

Die größte Erweiterung, die Bethesda je entwickelt hat? Keine Ahnung, klein ist die Insel nicht. Das ist nur ein Ausschnitt und ich habe nicht mal so viel abseits der Missionen erkundet.

Nach 100 Stunden Fallout 4 immer noch Freude am Spurenlesen zu verspüren, das sagt eine Menge über dieses Studio und seine Einstellung zum großen Ganzen der Weltgestaltung aus. Da ist nur eben nicht so viel mehr, wofür man sich Far Harbor unbedingt holen muss, außer man will jedes bisschen aufsaugen, was im Ödland passiert. Ansonsten: Nicht für die neuen einzigartigen Waffen wie Harpunen oder Fischerhaken, die öfter als Belohnung herausspringen. Nicht für den neuen Begleiter Longfellow und nicht für die neuen, nach bekanntem Muster ausbaufähigen Siedlungen.

Bethesda gelingt in erster Linie ein Mehr an Inhalten, ohne sie genug vom ohnehin scheinbar endlosen Grundstock des Hauptspiels abzuheben. Mit der Hoffnung, eine Erweiterung dieser Größenordnung dürfe sich thematisch gern wild gehen lassen, wie es ältere Add-ons des Studios in der Vergangenheit mehrfach bewiesen, sind die 25 Euro woanders besser angelegt. Far Harbor schüttet einen weiteren Trümmerhaufen zivilisatorischen Niedergangs aus und für wen es der größte Reiz ist, sich darin die Finger schmutzig zu machen, der wird sich freudeschnaubend austoben. Es gibt so viel zu tun und zu entdecken. Nur vertreibt das nicht den Eindruck, dass nach 15 Stunden eine im eigenen Saft schmorende Erweiterung ohne größere Höhepunkte zu Ende geht.

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Sebastian Thor Avatar
Sebastian Thor: Steht auf Bier und Bloodsport. Mag weiche Sofas und verliert sich gern in Gedanken an dies und das. Seit 2014 bei Eurogamer dabei, aktuell als freier Redakteur.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

In diesem artikel

Fallout 4

PS4, Xbox One, PC

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