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Fallout 76: Wastelanders - Once more, with NPCs ...

Ganz so, als wäre es ein normales MMO.

Das hätten sie alles vor einem Jahr haben können. Kein Drama, einfach das für Fallout, was TESO für Elder Scrolls ist. Ein MMO, so wie Leute es kennen und mögen. Mit NPCs. Quests. Moralischen Entscheidungen (mehr oder weniger). Zeugs, das in jedem Spiel dieser Art seit Ultima Online Standard ist. Alle wären glücklich gewesen.

Okay, nicht alle und nicht für alles. Fallout 76 hat immer noch ein bockiges, unelegantes Kampfsystem, das sich nie ganz richtig anfühlt. Während manche Momente, vor allem jede Art von Sonnen-Lichteinfall, hinreißend aussehen kann, wirken viele Objekte und nun vor allem die neuen NPCs wie Restbestände von einer Fallout 3-Festplatte, die man in der Ecke fand und nicht verkommen lassen wollte. Hier und da stolpere ich immer noch über einen Crafting-Bug, der eigentlich längst behoben sein sollte. Aber nichts davon ist zu dramatisch oder vor allem die Stabilität des Spiels fühlt sich nicht mehr so an, als würde einem der Motor jede Minute unter dem Hintern zusammenfallen - was er dann aber irgendwie doch nie tat, zumindest das muss man ihm ja lassen.

Zurück nach einem Jahr und es hat sich einiges getan. Ausnahmsweise mal im wirklich guten.

Und bevor ich zu dem komme, was es jetzt ist, möchte ich kurz den Versuch loben, eine Idee umzusetzen. Irgendjemand bei Bethesda kam auf die Idee, ein rein Spieler-getriebenes, klassisches MMO zu machen, eine Art EVE in den radioaktiven Badlands. Dabei haben sie nicht alle nötigen Lektionen der Isländer beherzigt, sicher. Aber ich bin mir relativ sicher, dass dieser eigenwillige Weg nicht gegangen wurde, um ein paar Dollar bei der Entwicklung zu sparen, denn dafür waren die Kosten des Projektes zu hoch und das, was jetzt nötig war, um es in ein "echtes" MMO zu verwandeln, dürfte ungefähr dem Quest-Wochen-Pensum von Larian entsprechen. Bestenfalls. Nein, ich glaube, dass man wirklich etwas Eigenes probieren wollte und auch wenn es krachend scheiterte, möchte ich dafür applaudieren.

Nicht ganz so sehr, wenn es um Marketing-Katastrophen und, viel wichtiger, desaströse Mikrotransaktionen geht. Sicher, man konnte immer sagen, dass diese Käufe nie nötig waren, um Fallout 76 zu spielen, aber dieses Spiel schaffte es immer, dass man sich besonders schlecht fühlte. Zwischen viel Bashing, weil viele das Spiel hassen wollten, gab es auch sehr viel berechtigte Kritik und wie gesagt, Aktionen wie die komische Tasche der Collector's Edition oder die fragwürdigen privaten Abo-Server haben nicht geholfen, um das dahinterliegende Spiel gut aussehen zu lassen.

Aber es gibt eben auch vieles, was man mögen kann. Die Welt war atmosphärisch und stimmungsvoll, die eigene Basis nach und nach aufzubauen ist immer eine Freude und einfach mal zu gucken und zu machen, was geht, weil es geht und nicht weil ein NPC es sagt, war eine spannende Erfahrung in einem solchen Mainstream-Titel. Auch das Verhalten der anderen Spieler zu beobachten, die sich hier - zumindest initial in den ersten beiden Wochen als ich spielte - häufiger als sonst solidarisch zeigten, Waffen an neue Spieler austeilten und sich generell weniger asozial anstellten als das, was ich häufiger in zum Beispiel TESO sah, war erfrischend.

Wenn ihr die Chance habt, dank eines besonders niedrigen Skills eine Option zu wählen - macht es! Es wird euch nicht umbringen und ist immer für einen Lacher gut.

Aber zurück zu Wastelanders. Gleich nachdem ihr aus der Vault kommt, werdet ihr durch eine niedliche Questreihe geführt, die alles hat, was man sonst so kennt. Ein wenig Drama, solider Humor, es ist einer der heiteren Tage der Fallout-Schreiber gewesen und so lieferten sie genau das ab, was man an guten Fallout-Tagen sehen möchte. Ihr habt verschiedene Antworten, dürft ein wenig Rollenspiel betreiben und gerade mit einem neuen Charakter habt ihr nun nicht mehr ganz das Pionier-Gefühl, das man als nicht so einsamer Wolf in einer leeren Welt hatte, aber dafür fühlt es sich nun nach einem echten Spiel an. Einem sogar ziemlich guten und diesen Quests zu folgen hat wirklich und ehrlich die Art von Spaß gemacht, den wohl viele vermisst hatten.

Leider reichen die Quests nicht ganz bis zum Ende der ersten Phase. Im Grunde habt ihr nun eine lange Einstiegs-Serie bis etwa Level 10 oder so, dann lässt euch Wastelanders erst mal ein wenig mehr allein. Ihr findet aber zig NPCs, die so mit euch interagieren wollen. Viele erzählen einfach teilweise witzige oder sogar mal emotionale Episoden aus der neuen Welt, andere halten ein paar Fetch-Quests bereit, wieder andere sind euch nicht so freundlich gesinnt. Es ist all das, was ein normales MMO so bereithält, aber am guten Ende des Qualitätsspektrums einer NPC-Weltbevölkerung. Und natürlich habt ihr immer noch die anderen Spieler, die sich mal seltsam aufführen - warum auch immer der eine Typ sich zehn Minuten seines Lebens Zeit nahm, immer rund um mein Lager zu hüpfen, weiß ich nicht, aber ich bin ihm irgendwie dankbar dafür -, mal hilfreich und nett sind und mal die üblichen Idioten, die man in jeder Gesellschaft findet. Beide, NPCs wie Menschen, bereichern einander und die Welt um sie herum. So wie es in dem Genre sein sollte.

Wenn ihr dann Level 20 erreicht habt - oder mit einem alten Charakter die neue Questlinie durchhabt -, dürft ihr euch einer von aktuell gerade mal zwei Fraktionen anschließen. Diese sind etwas platt, aber ehrlich gesagt einfach recht realistisch, was diese Welt angeht. Die Siedler wollen eine neue Zivilisation aufbauen, die auf Recht und Ordnung basiert, während die Raider rauben, plündern und den Rest des Tages Sozialdarwinismus im Kleinen betreiben. Im Grunde also Mad Max 2. Nur dass hier dank der nicht idealen Charaktermodelle auf beiden Seiten hässliche Menschen herumwandern.

Gefährten kommen leider nicht mir auf Quests, aber immerhin geben sie welche.

Die Fraktionsquests scheinen für den Moment noch recht übersichtlich und erwartet hier bloß keine komplex verwobene Struktur, die auf dem Weg ist, diese Welt umzukrempeln. Auch hätte ich persönlich gerne noch eine etwas verrücktere dritte Fraktion gesehen, von mir aus die Kirche der Bombenanbeter aus Planet der Affen, ich wäre da genügsam. Was hätte ich nicht alles im Namen der Bombe in Wastelanders getan ... Später vielleicht, denn eines muss man Bethesda bei allen, oft genug selbst verschuldeten Rückschlägen lassen: Sie haben Fallout 76 nie aufgegeben. Wo andere das Spiel längst beerdigt hätten und so tun würden, als hätte es nie existiert, haben sie neue Features eingeführt - keineswegs nur gegen Bezahlung, wenn auch sicher oft genug mit dem Gedanken an den nächsten fehlgeleiteten Bezahl-DLC - und auch Wastelanders kostet euch nichts extra, wenn ihr vor einem Jahr Fallout 76 für 5 Euro in einem Elektromarkt an der Kasse mitgenommen habt.

Für eine Weile könnt ihr, wie es üblich ist, Quests für beide Fraktionen erledigen, bevor ihr euch entscheidet, und so sammelt ihr Fraktionspunkte. Das passiert auch durch tägliche Aufgaben, aber hier solltet ihr keine zu hohen Erwartungen haben. Während die eigentlichen Questlinien und leider noch nicht so häufigen Nebenquests zu einem guten Teil ausgezeichnet geschrieben und auch so vertont sind, läuft das hier auf das übliche "Töte dies, sammle das" hinaus, was als tägliche Beschäftigungstherapie für ein Stündchen völlig okay ist. Außerdem gibt es ja nun auch noch NPC-Verbündete, die euch zwar nicht auf Wanderungen und in Kämpfe begleiten, aber euch eigene Gefährten-Quests geben, um ihre persönlichen Hintergründe zu erforschen. Nichts zu Außergewöhnliches, aber auf jeden Fall eine weitere, nette Bereicherung.

So sehr haben sich NPCs selten gefreut, dass sie endlich dabei sein dürfen.

Ist Fallout 76 Wastelanders damit jetzt das neue Solo-Fallout, das sich viele weit mehr erhofft haben als das, was auch immer das hier genau zum Launch war? Nein, das nun auch nicht. Aber es ist das MMO, das viele eigentlich erwartet haben. Es ist konservativ, sicher. In seinen Spielmechaniken immer noch nicht ganz rund und wenn sich id Software nebenbei mal kurz um den Kampf kümmern könnte, wäre das super, vielen Dank. Vor allem sollte man noch mal lange und hart darüber nachdenken, ob man den privaten Server wirklich hinter eine nicht niedrige Abo-Schranke packen muss, damit diejenigen, die es wollen, ihre Ruhe vor dem Rest der Menschheit haben, während sie sich nun an ihrem validen Solo-RPG erfreuen, als das man Wastelanders spielen kann. Aber ja, wenn ihr Fallout 76 habt, dann gebt ihm auf jeden Fall noch mal eine Chance. Kostet ja nichts. Und wenn ihr es nicht habt, weil ihr Fallout wolltet und kein MMO-Sozialexperiment, dann sage ich es mal so: Ein Blick auf ein paar Onlinehändler verriet, dass ihr für einen ganzen Schwung netter Fallout-Quests kein großes Geld hinlegen müsst. Und das ist Wastelanders allemal wert.


Wenn ihr mal gucken wollt, wie es in den ersten Stunden damals in Fallout 76 zuging, dann lest Fallout 76 - Der erste Tag zwischen Wasser kochen und Dämonen am Himmel

Oder ihr schaut euch den Test zu Fallout 76 an, der ein paar Tage später erschien. Seitdem hat sich also einiges getan.

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Martin Woger Avatar
Martin Woger: Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.
In diesem artikel

Fallout 76

PS4, Xbox One, PC

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