Far Cry Vengeance
Genie und Leichtsinn
Vielen Wii-Besitzern wird mittlerweile aufgefallen sein, dass einige Hersteller ihre liebe Mühe haben, die mächtigen Talente von Nintendos kompaktem Revoluzzer in sinnvoll geordnete Bahnen zu lenken. Ein Steuerungs-Schluckauf wie Splinter Cell: Double Agent hat das Vertrauen der Early-Adopter in die Entwickler nicht unbedingt gestärkt und die Armada primitiver Kipp-, Wackel- und Neigespielchen wird die Wii-Gemeinde nicht endlos amüsieren. Anders als erwartet sind auch die Ego-Shooter weit hinter den – zugegebenermaßen hohen – Erwartungen zurück geblieben. Dank Infrarot-Sensor und angestöpseltem Nunchuck wähnten viele im Wii den neuen First-Person-Heiland im Anmarsch – mit Red Steel als Ticket ins gelobte Shooter-Land.
Aber Pustekuchen: Nicht nur Ubisofts Yakuza-Thriller, sondern auch Call of Duty 3 fühlten sich auf dem Wii zwar anders, aber nicht unbedingt besser an als mit dem Joypad, und warfen damit ein paar unbequeme Fragen auf. Fragen, auf die Far Cry Vengeance einige verflixt interessante Antworten parat hat. Zwar packt Ubisoft Montreal die Wii-Herausforderung bei denselben Hörnern wie die Konkurrenz (Umschauen per Fernbedienung, Bewegung mit dem Analogstick), beweist aber beim Feintuning des Handlings deutlich mehr Fingerspitzengefühl. Mit einigen Abstrichen ist das Steuerungskonzept von Far Cry Vengeance der perfekte Anschauungsunterricht für die Shooter-Schmieden dieser Welt. Dumm nur, das Ubisofts Dschungelbuch gleichzeitig ein Musterbeispiel dafür ist, wie man ein Vollpreis-Spiel auf gar keinen Fall in die Ladenregale stellen darf.
Rache, was sonst?
Vengeance ist eine Art Remix aus Far Cry Instincts und Evolution. Im Rahmen einer veränderten Storyline lernt Chef-Abenteurer Jack Carver (mal wieder) die attraktive Waffenhändlerin Kade kennen und wird im Laufe zur Zielscheibe genetisch verbesserter Rebellen – oder umgekehrt. Fest steht jedenfalls, dass sich die mit reichlich Action-Kitsch aus Hollywoods B-Schublade verzierte Tropen-Safari noch nie über ihre Geschichte verkauft hat. Und so lebt auch Vengeance von dem Gefühl, sich mal behutsam, mal ohne Rücksicht auf Verluste einen Weg durch die dicht bewachsene Pampa zu bahnen und den bösen Jungs mit großem Kaliber und tierischen Superkräften ein paar neue Körperöffnungen zu verpassen. Und das macht dank der ausgefuchsten Kontrollen zur Abwechslung mal tatsächlich mehr Spaß als sonst.
Habt Ihr die Dreh- und Zielgeschwindigkeit erstmal aufs Maximum geschraubt, schleicht, springt und sprintet Ihr schnell und behände wie eine Raubkatze durch den Tropendschungel, entsorgt unachtsame Rebellen per Hackbewegung mit der Machete und trefft Angreifer schnell und zielsicher an empfindlichen Stellen. Auch bei Vengeance befindet sich in der Bildschirmmitte eine "tote Zone", innerhalb derer Ihr das Fadenkreuz frei umher bewegen könnt. Dieser "Zielbox" hat Ubisoft genau die richtigen Abmessungen spendiert. Das Umschauen funktioniert folglich sehr intuitiv und präzise, obgleich die Drehgeschwindigkeit gerne noch ein wenig höher hätte sein dürfen. Auf Wunsch dürft Ihr den Screen auch mit der A-Taste fixieren, um Eure Häscher besonders genau aufs Korn zu nehmen. Obwohl beim Springen (Nunchuck hochreißen) und Zoomen (Wii-FB zum Fernseher bewegen) noch ein wenig Feintuning vonnöten gewesen wäre, sind die Vengeance-Kontrollen wohl das Strickmuster für die Wii-Ego-Shooter der Zukunft. Klingt doch gut, oder?
Augengraus
Jack Carvers Action-Urlaub ist nur leider hässlich wie die Nacht. Ganz offensichtlich hat man bei Ubisoft Montreal unter Zeitdruck vollkommen an den Hardware Specs des kleinen Weißen vorbei programmiert. Hier wurden viel zu große Level in den alles andere als unendlichen Wii-Speicher gepresst, als gäbe es kein Morgen – schraubt man eben Texturen und Polygone auf ein Minimum zurück und lässt Gras und Blumen erst fünf Meter vor dem Spieler aus dem Boden sprießen. Dass hin und wieder trotzdem ganze Bäume auffällig ins Bild ploppen und die Bildrate gerne mal so sehr wackelt, dass das Zielen schwer fällt, setzt dieser technischen Frechheit noch die Krone auf. Schade um die oft malerischen Settings. Wirklich bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die tödlich herunterkomprimierten Zwischensequenzen grieseln, tearen, und ruckeln was das Zeug hält. Vengeance ist wohl das erste Stück Unterhaltungssoftware, dessen FMVs mieser aussehen als das Spiel selbst. Was soll man dazu noch sagen?
Ich höre die Feinschmecker mit dem Blick für innere Werte förmlich rufen, dass Grafik nun mal nicht alles sei. Die Kollegen haben natürlich Recht, wären da nicht eine ganze Reihe klaffender Löcher in der Spiellogik. Die KI der Gegner imitiert größtenteils die Leiden eines halbblinden Schielers mit Hörschaden, um mich hin und wieder ohne ersichtlichen Grund selbst auf große Entfernung noch in meinem Versteck zu entdecken. Einige dieser Trottel platziert das Spiel ganz gern hinter oder neben mir. Ja, ich habe sogar den einen oder anderen Terroristen mit meinen eigenen Augen das Licht der Welt erblicken sehen. Dieses Wunder des (künstlichen) Lebens bedeutet für den Spieler nicht selten das Game Over.
Dschungelkoller
Mit fortschreitender Spieldauer offenbaren sich obendrein Probleme in der Spielerführung, himmelschreiende Scripting-Fehler und die ein oder andere schlichtweg kaputte Spielfunktion. Die weitläufigen Level laden geradezu dazu ein, nicht immer den direkten Weg zum nächsten markierten Zielpunkt einzuschlagen. Vengeance lässt es leider zu, dass man dabei die Auslöser für einige Events verpasst. Resultat: das Spiel kommt zum erliegen. In einem Level soll ich eine Ölplattform stürmen. Da ich diese aber zufällig an einer anderen Stelle betreten habe, an der mich das Programm erwartete, wollte das Spiel partout nicht weitergehen. Einem anderen Defizit des Spieles ist es zu verdanken, dass ich nicht immer noch auf der schwimmenden Umweltkatastrophe herumlungere: Als Carver bei einer der Kletterpassagen zum wiederholten Male "festhalten" und "loslassen" verwechselt, stürze ich ins Meer und klettere an der vom Spiel gewünschten Stelle aus dem Wasser. Ich bekomme offiziell bescheinigt, die Plattform erreicht zu haben. Weiter geht’s! Im obersten Stockwerk schließlich identifiziert mein Kompass eine Tür als nächstes Missionsziel, die sich einfach nicht öffnen will. Freilich nur, um nach einer halben Stunde langweiligen Backtrackings, Abstürzens und Ärger mit unvermittelt wiedergeborenen Scharfschützen auf einmal doch offen zu stehen.
Wii-exklusiv sind ebenfalls die katastrophale Sound-Abmischung, die die Musik ein- und aussetzen lässt und Euch mit miesen Sprach-Samples der Gegner nervt, sowie der auf einen zwei Spieler-Splitscreen zusammengestauchte Multiplayer-Modus. Dieser ist aber so obsolet, dass ich fast vergessen hätte, ihn hier noch zu erwähnen.
Das alles schmerzt umso mehr, weil wie in jedem Far Cry auch in Vengeance ein guter Shooter steckt. Wenn man wie auf allen Vieren mit aktivierten Tierkräften auf eine schwer bewachte Militärfestung zuprescht, die Stacheldraht bewehrte Mauer mit einem gewaltigen Satz überwindet, um auf dem Dach des dahinter liegenden Gebäudes zu landen, werden die Rollen von Jäger und Gejagtem vertauscht. Man dreht den Spieß um und wird zu einem gewaltigen Raubtier, dem der Magen knurrt. Ein unheimliches Wesen, das Angst und Schrecken in den Reihen seiner menschlichen Beute verbreitet. Bis man allerdings zu diesen Aspekten des Spiels durchgedrungen ist, hat Vengeance Euch schon mehr Geduld und Nerven gekostet, als es Euch Spaß bereitet.
Bedauernswerte Frühgeburt oder dreiste Abzocke? Ihr entscheidet. Ein fertiges Produkt, für das man guten Gewissens den Vollpreis verlangen kann, ist Vengeance – trotz allen Potentials – jedenfalls nicht.
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