Final Fantasy VIII
Hexen vs. Teenager
Was macht ein ein Spieleentwickler, wenn er gerade den größten Erfolg der Firmengeschichte zu feiern hat? Ein Spiel, das so erfolgreich ist, dass es nicht nur die Firmenkasse bis zum Bersten füllt, sondern das auch noch einen komplett neuen Markt erschließt?
Fragt man die Anzugträger mancher Firma, ist die Antwort klar: Melken bis zum Geht nicht mehr, bis auch der letzte Cent herausgepresst ist.
In der zweiten Hälfte der 90er Jahre war man im Hause Square anderer Ansicht. Final Fantasy VII feierte gigantische Erfolge, verhalf dem Genre im Westen zu ungekannter Popularität und machte Square weltweit zum Liebling der stetig wachsenden Rollenspiel-Fangemeinde.
Das einfachste wäre es gewesen, eine direkte Fortsetzung zu produzieren. Ein Sequel mit bekannten Figuren in der vertrauten Welt, grafisch schöner und sauberer, spielerisch etwas komplexer... niemand hätte es Square krumm genommen.
Aber Square hatten andere, ehrgeizigere Pläne. Beflügelt vom Erfolg von Final Fantasy VII, setzten die kreativen Köpfe auf volles Risiko und stellten mit Final Fantasy VIII so ziemlich jede RPG-Konvention überhaupt gründlich auf den Kopf. Das Ergebnis: Das unter Fans vermutlich umstrittenste, gleichzeitig aber auch das kreativste, mutigste und ungewöhnlichste Final Fantasy überhaupt.
Auf den ersten Blick mag das nicht so aussehen... der glatte Science-Fiction-Look wirkt wie die logische Konsequenz aus der Entwicklung von klassischer Fantasy (Teil I bis V) über Steampunk (Final Fantasy VI) bis zur dystopischen Welt von Final Fantasy VII. Hauptfigur Squall scheint zunächst ein grummelig-introvertierter Cloud Strife in Ausführung 2.0 zu sein und natürlich wurde die Grafikqualität in den Rendersequenzen, den Hintergründen und den Kämpfen konsequent gesteigert. Fortsetzung eben.
Aber das täuscht: Wer direkt von Final Fantasy VII kommt und Teil VIII nun auf die gleiche Art und Weise spielen will, der wird keine Freude mit dem guten Stück haben. Die klassische Kombination aus Level grinden und Gegner mit mächtigen Beschwörungszaubern wegbrutzeln führt hier weder zu Erfolg noch zu Spielspaß. Wer nur levelt, wundert sich, warum die Gegner immer stärker werden und ist bald von den ausufernd langen Guardian-Force-Animationen genervt. Wollt ihr mit Final Fantasy VIII Spaß haben, dann müsst ihr euch in das Junction- und Draw-System reinfuchsen.
Final Fantasy VIII verzichtet auf Magiepunkte – Magie beherrschen aus eigener Kraft storybedingt nur wenige Individuen. Alle anderen müssen ihre Magie per Draw-Fähigkeit bestimmten Orten oder Gegnern entziehen und können sie dann wie Gegenstände einsetzen. Das ist aber nicht das Haupteinsatzgebiet. Wichtiger ist, dass ihr Magie an eure Charakterwerte koppeln könnt.
In der Praxis heißt das: Verbindet ihr Heilmagie mit eurem Vitalitätswert, steigert das eure Lebenspunkte. Koppelt ihr Feuermagie mit eurem Angriffswert, erhalten eure Schläge das Feuerelement als Bonus. Legt ihr Schlafzauber auf den Nahkampfangriff, dann stehen die Chancen gut, dass der Gegner von euren Schlägen nicht nur Schaden nimmt, sondern auch einnickt... Möglich wird dieses Junction-System durch die Guardian Forces – Ifrit, Shiva und Konsorten entzieht ihr meist den Bossen des Spiels und verbindet sie mit euren Figuren, erst dann könnt ihr auf die anderen Kopplungen und Spezialfähigkeiten zugreifen. Der Charakterlevel selbst verkommt fast schon zur Nebensache: Wer sich nur auf ihn konzentriert, macht sich das Spiel sogar schwerer, da die Gegner gemeinsam mit Held Squall mitleveln.
Final Fantasy VIII bietet eines der komplexesten Systeme zur Charakterentwicklung der ganzen Serie und benötigt mehr Einarbeitungszeit als jedes andere Final Fantasy. Doch die investierte Zeit lohnt sich. Habt ihr die Systeme verstanden, stehen euch Tür und Tor offen, eure Party ganz nach eurem Willen zu Formen – neben dem flexiblen fünften Teil bietet Final Fantasy VIII das größte Ausnutzungspotential.
Spielerisch macht Final Fantasy VIII fast alles komplett anders als sein direkter Vorgänger. Dazu strengt sich das Spiel unwahrscheinlich an, all die klassischen RPG-Konventionen logisch zu erklären und in den Plot zu integrieren. Monster lassen kein Geld mehr fallen, sondern nur noch Materialien. Kohle wird der Party in regelmäßigen Abständen einfach vom Arbeitgeber Balamb Garden überwiesen. Die Gruppe zieht nicht nur zusammen herum, weil die Mitglieder das gleiche grobe Ziel haben und sich gegenseitig total dufte finden, sie bleiben zusammen, weil sie jahrelang gemeinsam zu Kämpfern ausgebildet wurden...
Die Helden im Teenageralter sind gegnerischen Soldaten kämpferisch nicht meilenweit überlegen, weil sie eben die Helden sind, sondern weil sie mit Unterstützung der Guardian Forces kämpfen. Normale Menschen meiden diese, da der Einsatz von Guardian Forces zu Erinnerungsverlust führt – auch wiederum ein wichtiges Handlungselement, wie sich im späteren Spielverlauf noch herausstellt. Seit Teil VI ist die Verschmelzung von Plot und Spielsystem eines der wichtigsten Kennzeichen von Final Fantasy, Teil VIII treibt das Prinzip auf die Spitze.