Firewatch - Test
Ein leises, heißes Lodern.
Ich habe im Vorfeld meines Wochenendes mit Firewatch gehört, Campo Santos First-Person-Abenteuer habe mehr mit Dear Esther oder Everybody's Gone To The Rapture gemein als mit klassischerer Abenteuerkost. Mehr "Walking-Simulator" als echtes Spiel. Das ist eine Einschätzung, mit der ich schon allgemein so meine Probleme habe, denn für mich beginnt die Spielklassifizierung nicht mit der Möglichkeit eines Game-over. Mal ganz von Begrifflichkeiten abgesehen, finde ich im speziellen Fall von Firewatch, dass diese Einordnung so gar nicht passt.
Natürlich: Firewatch ist relativ arm an klassischen Spielsystemen. Für Kämpfe, Puzzles oder Geschick erfordernde Navigation des Terrains interessiert es sich nicht. Beobachtung und Kommunikation sind die Aspekte, die im Zentrum stehen. Dennoch macht für mich Spiele wie die oben genannten aus - und das ist vollkommen wertfrei gemeint -, dass man wenig mehr ist als ein Betrachter des Gewesenen. Zuhörer einer Geschichte, die anderen Leuten passierte. Firewatch hingegen ist Henrys Geschichte. Die Erlebnisse eines Mannes, den es 1989 einen Sommer lang in die Isolation eines Wyominger Nationalparks verschlägt.
Warum? Um dort für die Forstbehörde nach Waldbränden Ausschau zu halten. Den eigentlichen Grund für die Flucht in die Natur erfährt man aber gleich zu Beginn, oder besser, puzzelt ihn sich in einer Montage aus Textfenstern ein Stück weit selbst zusammen. Es ist schwierig, über die Wirkung von Firewatch zu sprechen, ohne in Sachen Geschichte ein wenig ins Detail zu gehen, weshalb ich es lieber mit einem Vergleich halte: Denkt an die Eröffnung von Up! ("Oben!"), die besten zehn Minuten Film, die Pixar je auf die Leinwand brachte. Erledigt? Gut, jetzt habt ihr in etwa den Ton, den ihr erwarten dürft. Es ist die wohl niederschmetterndste Einleitung, die ich seit The Last of Us erlebte. Nur eben ganz ohne den Schock und Awe des harten Überlebensspiels, dafür mit vielen eindringlichen, vignettenhaften Blicken auf die emotionalen Gipfel menschlichen Seelenlebens. Und in die Abgründe, die hinter ihnen liegen.
Henry ist auf der Flucht vor den Resten seines Lebens. Ein jung gebliebener Anfang-40er, der fürchten muss, alleine alt zu werden, und der sich eine Auszeit von der Verantwortung des Erwachsenseins erkämpft. Der Wald und die Natur sind es jedenfalls nicht, was ihn hierher verschlug. Folglich habt ihr hier die "Fisch-auf-dem-Trockenen"-Geschichte eines angehenden Verdrängungskünstlers. Von eurem Wachturm aus nehmt ihr Kontakt mit Delilah auf, einer gleichaltrigen Firewatcherin in einem Turm, den ihr schemenhaft am Horizont ausmacht. Fast drei Monate - mit einigen Zeitsprüngen - navigiert ihr durch die überschaubare, aber schöne Wildnis mit Karte und Kompass (samt abschaltbarer "Du-bist-hier-Markierung"). Ihr geht Berichten von zündelnden Teenagern, wildernden Bären oder zerstörten Telefonmasten nach und stoßt dabei auf einige verstörende Erkenntnisse. Werdet ihr beobachtet? Steigt euch jemand nach? Was war das Rascheln hinter euch im Busch. Und warum zur Hölle ist es zwanzig Schritte später direkt vor euch zu vernehmen?
Das Spiel wirft einem immer und immer wieder mysteriöse Infoschnipsel oder seltsam deplatzierte Gegenstände vor die Füße, die ihr aufheben und von allen Seiten studieren könnt, um dann auf Tastendruck Delilah über euren Fund zu informieren. In Multiple-Choice-Gesprächen - mit kräftig reagierender Chemie gespielt von Rich Sommer (Harry Crane aus "Mad Men") und Cissi Jones (stimmlich bekannt aus vielen Spielen von The Walking Dead bis hin zu Fallout 4) - malt ihr euren persönlichen Henry aus provoziert damit häufig genug unterschiedliche Antworten von Delilah. Trotz der Nähe, die die Figuren im Lauf der Zeit zueinander finden, sind Isolation und Alleinsein Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, die sich letzten Endes um niemanden anders dreht als den Spielercharakter selbst.
Und das ist auch gleich die größte Leistung von Firewatch. Es ist ein Spiel vieler Finten, scheinbarer und tatsächlicher Paranoia und niederschmetternder Wahrheiten über Henry und die Welt, die ihn umgibt. Die ist im Übrigen optisch und auch erzählerisch ein echtes Highlight. Dieser unberührte Nationalpark im pastellenen Team-Fortress-2-Look ist gerade genug von der Realität entrückt, um lebendiger zu wirken als viele andere Titel, die sich dem Fotorealismus verschrieben haben. Die fallen in ihrer Simulation echten Lebens immer dann auseinander, wenn mal wieder ein klar aus dem Computer stammender Mensch oder tierischer Zeitgenosse einen aus dem Erlebnis reißt. Hier bricht die stilsichere Comic-artige Grafik alle Elemente auf denselben Nenner runter und erleichtert so die Identifikation mit den Akteuren.
Über die findet Firewatch dann entweder den Weg in euer Herz oder eben nicht. Mich haben diese gut vier Stunden nach der bemerkenswert nachfühlbaren Einführung sehr berührt. Ein zweiter Durchgang bietet sich durchaus an, nicht weil es unterschiedliche Enden gäbe, sondern weil Henry verschiedene Charakterzüge annehmen kann und ich in einigen Phasen etwas zu bequem der Zielvorgabe nachrannte. Ob ich es wirklich von vorne anfangen werde, weiß ich jedoch noch nicht. Schon im ersten Durchlauf spiegelte Campo Santo meine eigenen Ängste, Befürchtungen und Hoffnungen so treffend wider, dass ich mich schnell so fühlte, als seien es meine Beine, die da in Henrys dicken Stiefeln steckten.
Insofern: Nein, es ist kein wirklicher "Walking-Simulator", aber auch kein klassisches Abenteuer mit Freiheiten, ineinander verzahnten Systemen und einem großen Knall am Ende. Es ist ein Spiel, das den Blick nach innen richtet, die kleinen Siege und großen Tragödien im Auge hat, die für niemanden selbst von Bedeutung sind als für einen selbst. Kein Spektakel, aber eine Erzählung von Erwachsenen für Erwachsene.