For Honor - Ubisofts Mittelalter-Rainbow-Six?
Brillante Animationen und packende Zweikämpfe reiben sich am Schlachtenchaos.
Die Parallelen sind unübersehbar: Ubisoft tut alles, um For Honor zur Mittelalterausgabe des immens erfolgreichen Rainbow Six: Siege zu machen. Das geht schon in den Menüs los, mit dem Gruppenmanagement, das direkt dem Taktik-Shooter entlehnt ist, geht weiter über die "Befehle", jenen zusätzlichen Aufgabenstellungen, die drüben "Challenges" heißen und gewisse Aktionen mit Währung für Upgrades versorgen. Der Mitte Januar geleakte Season-Pass solle unterdessen laut Ubisoft die Community nicht spalten, sondern gewährt nur verfrühten Zugang zu Inhalten, die allen irgendwann offenstehen, sowie gewisse Erfahrungspunkteboni, die man als Boosts ebenfalls bereits kennt.
Doch auch inhaltlich ist die Marschrichtung ähnlich. Die zentralen Systeme der nahkampfverliebten Schlachtenplatte legen viel Wert auf überlegtes Vorgehen, belohnen kluges Verteidigen, alles fühlt sich ein bisschen mehr nach Simulation an und ähnelt in seinen schweren Bewegungen (und der Tastenbelegung) durchaus der Dark-Souls-Reihe. Es ist ein Spiel, bei dem schon kleinen Entscheidungen deutlich mehr Gewicht innezuwohnen scheint, denn allzu viel hält keiner der Krieger aus. Greift zu früh an, statt einen gut blockenden Gegner per Schulterstoß erst aus der Balance zu bringen, und ihr kassiert einen Konter. Reagiert nicht rechtzeitig auf eine drohende Unterzahlsituation und ein Duo an Feinden macht euch schneller einen Kopf kürzer, als ihr "Hilfe" rufen könnt. Und wer sich beim Blocken einmal verhaspelt, kommt ordentlich aus dem Tritt und liegt nach einer ganzen Kombo an Treffern schnell im Dreck.
Die Beta, die über das Wochenende lief, bot neben Eins-gegen-eins-Duellen auch einen Zwei-gegen-zwei-Modus sowie das zentrale Vier-gegen-vier, genannt Dominion, bei dem man in größer angelegten Maps drei Kontrollpunkte für sich beansprucht, um seinen Feinden schließlich die Respawns abzudrehen. Hier entbrennt eine interessante Dynamik, denn der "Breaking"-Zustand, der dafür verantwortlich ist, dass man die gegnerische Mannschaft schließlich komplett dezimieren kann, ist an den Punktestand gebunden. Bei 1000 Zählern setzt er ein, doch weil er nicht in Stein gemeißelt ist, kann man das Gefecht noch einmal kippen. Mit jedem Verlust eines Haltepunktes verliert man nämlich auch 100 Punkte. Wer sich zu sehr darauf versteift, im Dreier- oder Vierer-Todeskommando einzelne Feinde zu zerlegen, verliert schnell die Kontrolle über das Schlachtfeld und sieht sich dann schon mal im Hintertreffen. Fast buchstäblich wird hier der Spieß umgedreht.
Es ist ein Moment zum In-die-Hose-Machen, wenn man sieht, wie sich diese Lynchmobs formen und gesammelt auf einen zurollen. Aber er ist auch die Chance des unterlegenen Teams, sich mit guter Absprache in die Schlacht zurückzukämpfen und den einsetzenden Blutrausch der Feinde zu eigenen Gunsten zu nutzen. Die Kämpfe selbst, mit ihren richtungsgebundenen Angriffen und Blöcken, entfalten gerade im Duell eine ganz eigene Spannung, wenngleich ich zugeben muss, dass es im dichtesten Kriegsgewese etwas chaotischer werden kann, als gut für das Spiel ist. Das sieht häufig etwas planloser aus, als es sollte, ist aber vermutlich so gewollt, authentisch und generell denke ich, dass ich mit mehr Übung auch hier besser den Überblick behalten werde.
Überhaupt gilt: Findet man sich in einer solchen Situation, hat man schon zuvor etwas gründlich falsch gemacht. Mengen gilt es - mit Ausnahme der KI-gesteuerten Soldaten, an denen man seine Lebensenergie wieder auffüllt - zu meiden und Überzahlsituationen zu suchen. Denn gegen einen hat man die Chance zu gewinnen, gegen zwei hält man mit Glück und Übung noch ein Weilchen gut stand. Doch im Grunde gilt, sobald man mehr als eine Spielerklinge gegen sich hat, sollte man sein Heil in der Gesellschaft seiner Mitspieler suchen. Zu erkennen, welchen Kampf es zu kämpfen gilt und wann man es dabei bewenden lässt, einen Feind in die Flucht geschlagen zu haben, wird am Ende den Unterschied zwischen einem kompetenten und einem erfolgreichen Kämpfer beschreiben.
Auf dem Weg dorthin sollte man sich natürlich noch Gedanken um die bevorzugte Klasse machen. Jede der drei Fraktionen, die auch gemischt zum Kampf antreten, verfügt über drei Kriegerarten von ausgewogen über groß und stark bis hin zu klein und schnell. Allerdings handelt es nicht einfach nur um Reskins, auch das Move-Set und ihre Sekundärfähigkeiten sind individuell, weshalb man sie separat hochleveln darf beziehungsweise muss. Sie fühlen sich zu Felde untereinander leicht unterschiedlich an und sind deshalb für verschiedene Aufgaben gut, allerdings muss For Honor noch beweisen, dass es mehr als die Tempounterschiede sind, die am Ende wirklich zum Tragen kommen. Die Idee ist zumindest, dass jeder im Eins-gegen-eins jeden schlagen kann, wenn man die Eigenheiten der Figuren verinnerlicht. Der Assassine kann etwa nicht einfach nur eine Blockrichtung halten, er muss größeres Timing an den Tag legen. Dafür sind seine Konter dann - so ist zumindest mein Eindruck - umso verheerender.
Ein bisschen Einsicht erhielt ich in meinen ausgedehnten Sessions am Samstag und Sonntag auch in das Upgrade-System. Nach jeder Schlacht droppen zufallsbasiert Loot unterschiedlicher Qualitätsstufen sowie Metall und eine Spielwährung für Verbesserungen. Neben Helmen, Armrüstung und Brustpanzer finden sich Einzelteile für Waffen. Schwertheft, Parierstangen und Klingen verfügen jeweils über eigene Vor- und Nachteile in diversen Werten. Material und Punkte werden dafür aufgewendet, diese mit Upgrades noch zu verbessern. Ich bekam meinen Helm tatsächlich binnen zwei Sessions auf den Maximal-Level sechs. Beachtenswert dabei ist, dass das Upgrade-System nicht nur die Stärken, sondern auch die Schwächen einer Komponente weiter ausprägt. Ubisoft verspricht sich davon wohl, dass sich die Spieler Gedanken um Spezialisierung machen. Wie gut ihnen das gelingt, muss ein längerer Test zeigen, schon jetzt machten aber all die unterschiedlichen Komponenten Lust darauf, sich seinen eigenen Ritter-, Samurai- oder Wikingerkrieger zu basteln.
Technisch macht das Spiel bereits einen sehr gut polierten Eindruck. Die Optik ist detailreich und auf überzeichnete Art lebensnah. Überstrahleffekte, starke Kontraste und vereinzelte Farbkleckse auf den fein durchgestalteten, schwer und robust wirkenden Rüstungen verströmen tolles Mittelalter-Flair und geben dem Spiel einen durchaus charakteristischen Look. Das ist etwas, das Rainbow Six Siege - meinem Lieblingsspiel der letzten Jahre - unstrittigerweise etwas abgeht. Vor allem die Animationen sind fantastisch. Der stufenlose Übergang, wenn der Ritter das Schwert erst an der Hüfte hält, es beim leichten Joggen dann hochnimmt und dann im Sprint immer schneller wird, ist einer der schönsten Bewegungsabläufe, die ich seit langem sah. Wie Metall auf Metall trifft, jeder Schlag auch trotz Richtungswechsel noch fließend in den nächsten übergeht und dabei vom Verteidiger noch "lesbar" ist, ist wirklich toll gemacht. Einer der Wikinger verfügt über eine Enthauptung mit einem der traurigsten und demütigendsten Kopfkullerer, die ein Videospiel je zu bieten hatte. Es steckt eine Menge Flair in For Honor.
Für Irritation sorgte und sorgt die Online-Politik. Um es klar zu sagen: Always-on sollte aus dem Einzelspielermodus fliegen. Dem Spieler bringt es keinerlei Vorteile und jeder, der den Hersteller dafür anschreibt, dass er es sich bitte noch einmal anders überlegt, hat allen Grund dazu. Gleichzeitig - und ich höre schon den einen oder anderen einen Kommentar tippen - ist das hier im Herzen ein Multiplayer-Titel. Man spielt ihn, um sich mit anderen zu messen und mit Freunden zu kooperieren. Man spielt ihn online und wer ihn offline spielen will, zockt - abzüglich des Übungsmodus - am Spiel vorbei. Für mich persönlich ist die P2P-Architektur des Mehrspielermodus deutlich bedauerlicher. Dann wiederum, wenn ein Match erst einmal zustande kam, hatte ich bislang noch keine Probleme mit Lags oder Verbindungsabbrüchen. Aber das dürfte beim Marktstart, wenn mehr und mehr Spieler unterschiedlicher Regionen in verschiedensten Konstellationen zusammenkommen, nicht immer so bleiben. Sagen wir, es würde mich zumindest sehr wundern. Letzten Endes ist dieses Spiel zu sehr auf korrektes Timing ausgelegt, als dass man die Match-Qualität den Internetverbindungen der einzelnen Teilnehmer überlassen sollte.
Wie dem auch sei, im Zweifel für den Angeklagten: Noch hat sich For Honor nichts zu Schulden kommen lassen und jüngste Aussagen Ubisofts lassen durchblicken, dass sich die Entwickler viele Gedanken um das Matchmaking gemacht haben. Wir sehen dann, ob noch Handlungsbedarf besteht. Im Hier und Jetzt ist für mich ausschlaggebend, dass ich durchaus mit Lust auf mehr aus dieser Beta hervorgegangen bin. Jedes Duell ist aufs Neue ein buchstäblich auf Messers Schneide geführter Kampf ums Überleben. Schon fast am Boden liegend aus dem Augenwinkel einen Freund mit weit geholtem Katana herbeieilen zu sehen, das ist immer wieder ein auf gute Art filmreifer Moment.
Ja, "filmreif" ist ein guter Ausdruck, der hier zur Abwechslung mal nicht mit mangelnder Spieltiefe gleichzusetzen ist. Ob For Honor für Ubisoft zum zweiten Multiplayer-Standbein neben Rainbow Six wird, das wissen wir dann nächstes Jahr um diese Zeit. Aber das ist nicht schlimm, denn mit seiner wundervollen Präsentation - alleine der Versus-Bildschirm bringt einen schon ordentlich in Wallung - lebt For Honor eindeutig für den Moment. In einem Spiel, in dem jeder Augenblick der letzte sein könnte, kann ich daran nichts Schlechtes erkennen.
Entwickler/Publisher: Ubisoft - Erscheint für: PlayStation 4, Xbox One, PC - Geplante Veröffentlichung: 14. Februar - Angespielt auf Plattform: PC