Formula Retro Racing: World Tour ist leider nicht der Nachfolger, den ich mir gewünscht hatte
Tokio oder Berlin? Hauptsache Italien!
Hätte Sega je einen Nachfolger zu Virtua Racing gemacht, dann hätte er womöglich so ausgesehen wie das erste Formula Retro Racing. Das kam mir jedenfalls in den Kopf, als ich den tollen Vorgänger gespielt habe. Klar war der nicht perfekt. Aber dieses unbeschwerte und dennoch angenehm fordernde Fahrgefühl früherer Arcade-Racer fing er ganz hervorragend ein. Dazu ein schwungvoller Beat, während man an einfarbig ausgemalten Polygonen vorbeirauscht – klasse!
Und Formula Retro Racing: World Tour macht genau da weiter, schickt euch diesmal allerdings auf satten 18 Strecken an den Start und gibt euch noch dazu die Wahl, ob ihr in einem klassischen Rennsport-Einsitzer an den Start geht oder ins Cockpit eines wild driftenden Straßenautos steigt. Miteinander messen müssen sich die zwei Kategorien aber nie, denn sämtliche KI-Kontrahenten fahren immer in der von euch gewählten Klasse.
Das klingt gut und so fühlt es sich auch an. Die Fahrzeuge reagieren sehr gutmütig auf sämtliche Eingaben, lassen sich gefühlvoll abbremsen und mit präzisem Gasfinger auch wieder vom Scheitelpunkt weg beschleunigen. Das macht Laune, obwohl man die Steuerung diesmal in keiner Form an seine Vorlieben anpassen darf. Digitales Fahren am Gamepad, wie ich es im Vorgänger sehr genossen habe, ist damit leider passé.
Abgesehen davon macht die betont altmodische Kulisse nach wie vor eine hervorragende Figur. Spätestens bei der mehr als verdoppelten Streckenanzahl fehlen mir diesmal allerdings stärker herausgearbeitete Besonderheiten. Aus den Kirschblüten in Tokio hätte man zum Beispiel mehr machen können. Auch dass Entwickler Andrew Jeffreys alias Repixel8 zu Berlin lediglich graue Betonbauten, der Fernsehturm und Windräder einfallen… na, lassen wir es mal als bissige Kritik an der deutschen Energiewende durchgehen.
So oder so hätten weniger Kurse mit jeweils stärkerem Charakter dem Spiel aber bedeutend besser gestanden. Die Streckenführung ist nämlich ähnlich austauschbar. Meist donnert man ja einfach im höchsten Gang durch immer gleiche langgezogene Kurven und tatsächlich gibt es sogar Strecken, die man komplett mit Vollgas fährt – ich rede nicht von den zwei Ovalen! Wo da der Witz liegt, erschließt sich mir jedenfalls nicht; das ist doch Langeweile pur. Das nächtliche Paris mit seinem eleganten Flow stellt leider einen sehr einsamen Höhepunkt dar.
Gerade in Anbetracht der großen Anzahl an Kursen fällt dieses einförmige Umrunden umso deutlicher auf. Zumal man diesmal zu allem Überfluss auf die Kontrahenten kaum Rücksicht nehmen muss. Zum einen zucken die nämlich dermaßen erratisch über den Asphalt, dass das ohnehin kaum möglich ist, und zum anderen spürt man Zusammenstöße oder gar Unfälle kaum. Die KI räumt es dabei zwar zuverlässig aus dem Weg, der eigene Bolide fährt jedoch meist ungestört weiter.
Unter diesen Vorzeichen rauscht man daher recht müde von einer Start-/Zielgeraden zur nächsten. Es geht ja ohnehin nur darum, auf allen Kursen in je drei Schwierigkeitsgraden Bronze, Silber oder gar Gold zu holen. Wer will, geht noch mit bis zu drei Kumpels im Splitscreen an den Start oder absolviert Elimination-Rennen gegen die KI. In Online-Highscore-Listen werden aber lediglich die 15 Besten aufgeführt und länger dauernde Meisterschaften gibt es keine. Viel hat man trotz des aufgeblasenen Inhalts also nicht zu tun.
Es ist übrigens völlig egal, ob ihr die Medaille mit einem driftenden oder einem regulären Rennwagen holt – zum Glück, denn das Driften gefällt mir gar nicht. Es gehört nämlich nicht die geringste Finesse dazu, den Wagen ins Rutschen zu bringen. Jedes Anhauchen der Lenkung reicht dafür schon aus, was so ganz nebenbei das Geradeausfahren verkompliziert. Wenn ich mir das brillante Schlittern in Hotshot Racing anschaue, weiß ich nicht, warum ich mir das hier antun sollte.
Und so gerne ich an dieser Stelle mit dem Meckern fertig wäre: Einer muss noch. Der Schwierigkeitsgrad ist nämlich jenseits von Gut und Böse. Kommt man auf manchen Strecken schon nach der Hälfte auf einem der vorderen Plätze an, muss man auf anderen Kursen bereits auf dem Anfänger-Level ein nahezu perfektes Rennen in den Asphalt brennen, um dem Podest auch nur nahezukommen. Wie kann so etwas bitte passieren?
Nein, das war leider nichts. Dabei steckt hier im Kern ein richtig gutes Spiel drin. Das Fahrgefühl der regulären Rennwagen (ignoriert die furchtbaren Drifter!) macht einiges her und stilistisch fühle ich mich in dem Virtua-Racing-Verschnitt nach wie vor sehr wohl. Leider kommt dank des extrem schwankenden Schwierigkeitsgrads, der fast bedeutungslosen KI-Kontrahenten und einer weitgehend gleichförmigen Streckenführung aber mehr Langeweile auf als die gute Basis kompensieren kann. Ja, auf PC kann man das Ganze in einem gelungenen VR-Modus spielen. Aber der macht das zerfahrene Spiel ja nicht besser.
So… und an dieser Stelle hätte das Ganze eigentlich als Test mit Wertung enden sollen. Doch was ich gar nicht auf dem Plan hatte und erst nach dem Schreiben bemerkt habe: Das Spiel befindet sich auf Steam noch im Early Access. Wer weiß daher, was sich hier noch tut. Seltsamerweise wurde das im Vorfeld nicht klar kommuniziert, das Spiel aber als fertige Version auf Xbox und Nintendo Switch veröffentlicht. Nur bin ich dort noch nicht gefahren.
Das für PC, Xbox und Switch erhältliche Formula Retro Racing: World Tour erhaltet ihr in den Stores der jeweiligen Plattformanbieter. Die PlayStation-Version erscheint etwas später.
Online-Rennen sowie zusätzliche Strecken sollen laut der Beschreibung auf Steam innerhalb von jetzt noch zwei Monaten nachgereicht werden. Doch auf meine Frage, ob Repixel8 auch an den Schwachstellen arbeitet, habe ich nach inzwischen zwei Wochen noch keine Antwort erhalten. Sprich, nichts Genaues weiß man nicht – aber theoretisch ist vieles möglich.
Bevor ich meiner Enttäuschung jetzt also in Form von fünf Punkten Ausdruck verleihe, lasse ich euch an dieser Stelle einfach wissen, was euch derzeit bei Formula Retro Racing: World Tour erwartet. Wobei... Selbst wenn hier und da noch etwas hinzugefügt wird: Nach dem fokussierten Vorgänger hatte ich mir grundsätzlich schon mal deutlich mehr erhofft als ein so dröge aufgeblasenes “More-of-the-Same”.