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Forza Horizon - Test

Aus dem Stand an die Spitze des Feldes. Echter Fahrspaß kommt eben von der Insel.

Forza 4 ist noch jung, warum also Forza Horizon? Es gibt jede Menge Fun-Racer, warum also Forza Horizon? Burnout Paradise ist da, Need for Speed: Most Wanted kommt bald, warum also Forza Horizon? Weil Forza Horizon das tut, was Forza immer macht. Es setzt sich an die Spitze des Feldes.

Das kommt auch nicht aus dem Nichts. Turn 10 mag selbst nicht so viel mit diesem ersten Ableger der inzwischen ja schon fast altehrwürdigen Serie zu tun gehabt haben, aber sie hätten es nicht besser als das noch extrem junge englische Studio Playground Games treffen können. Das Haus mag noch neu sein, hinter seinen Toren werkeln aber offenbar viele Jahre an Erfahrung und ich hätte nicht mal Wikipedia gebraucht, um zu sagen, wer dort arbeitet: Ex-Codemasters-Leute, Ex-Criterions und viele Ex-Bizarre-Leute. Jede Menge britisches Rennspiel-Wissen. Und wenn es noch eines Grundes für Forza Horizon bedarf, neben dem Fakt, dass es das aktuelle beste Spaß-Rennspiel überhaupt ist: Es ist eine Art stilles Gotham Racing im Geiste, ein im besten Sinne britisches Rennspiel von dem, was einem All-Star-Team der Insel im Rennspielbereich am Nächsten kommen dürfte.

Während die Gotham-Spiele bis auf ein paar Spielereien in den Menüs immer sehr unprätentiös und fast schon nüchtern daherkamen - ein wenig wie die eigentliche Forza-Reihe -, wählt Horizon mit einem erfundenen Auto-Festival in Oregon eine stilistisch andere Richtung. Es nimmt den ganzen Tuning-Hobby-Racer-Zirkus voller schöner Menschen mit zu viel Geld und keinen erkennbaren Jobs mit, suhlt sich in ein wenig im Tuning-Tümpel und ist sich auch für Decals nicht zu schade. Die Präsentation dessen entspricht aber nicht den aufgeputschten Crack-Heads der Inner-City, die sich eher in Need for Speeds untergründigen Renn-Events wiederfinden, sondern dem zurückgelehnten Spirit eines überzeugten Couch-Stoners. Mach, was Du willst, Mann, es wird alles gut sein! Relax! Spiel eine Runde Gotham und lehn Dich zurück.

Forza Horizon - Gameplay-Video

Die Spielwelt in der Wüste Oregons durchkachelt ihr nach eigenem Gusto, kümmert euch um die hierarchischen Anstiege durch die Event-Klassen, die immer neue Rennen freischalten, indem ihr die vorherigen gewinnt. Oder lasst es - cruist einfach auf der Suche nach noch mehr Kudo… ich meine Style-Punkten durch Red Rock Canyon, die Vorstädte oder die weiten Ebenen. Alles nur Kilometer auseinander. Es ist eine pure, ehrliche Freude am Fahren, ein wundervolles Gefühl, bei dem es nur bedingt eine Rolle spielt, ob ihr in einem Rennen euer Bestes geht oder dem - dynamischen - Sonnenuntergang entgegenstrebt. Forza Horizon ist sich dieser Stimmung ganz offensichtlich bewusst, lässt euch euer Tempo finden und einfach machen. Das war schon immer eine Stärke der Serie und ein paar Tuning-Optionen und Boxenluder ändern daran nichts.

Das weniger realistische, sondern mehr an die Realität angelehnte Fahrmodell, das vom Gefühl her keinem Spiel näher ist als den Gotham-Racern - extra noch mal ausgiebig verglichen -, kommt dem perfekt entgegen. Anspruchsvoll, jedes der vielen Autos unterschiedlich, in den höheren Leistungsklassen absolut fordernd, aber nie wirklich anstrengend. Es ist ein ganz eigentümliches Fahrgefühl, das sich schwer beschreiben lässt. Ein Gran Turismo oder ein Forza auf den höheren Realitätsstufen müsst ihr zwingen, am Limit kämpfen die Kräfte und Autos gegen euch und in gewisser Weise tun sie das auch hier. Aber anders. Wie… ich geb es auf. Es spielt sich super, genau so, wie sich eine Action-Auto-Simulation spielen muss, wie Gotham Racing. Ein größeres Lob kann ich in diesem Genre kaum aussprechen. Sorry, Criterion.

Es sind auch einfach Autos, die man fahren möchte. Kaum Ausschuss, dafür um so mehr Legenden. Den ersten Ferrari zu kaufen ist ein Fest, man spart für diese Engländer, Fans finden viele alte und neue Amis, die ich nicht leiden kann und mit meinen Lambos versenke, während die BMWs, Merzer und Audis im Heckspiegel verschwinden. Bis ich diesen 1954er 300 SL Gullwing in einer der gelegentlich aufpoppenden "Nebenquests" fand und nicht wieder hinter dem Steuer weg wollte. Franzosen und Japaner fehlen nicht und der gelegentliche Exot sorgt immer für eine Extra-Runde. Die größte Trauer ist lediglich, dass Porsche sich mal wieder an die Konkurrenz verkaufte und hier "nur" RUF übrig blieb. Aber nach dem Porsche-Pack für Forza 4 gibt es ja Hoffnung auf späteres Nachrüsten.

Die allgemein relaxte Stimmung bedeutet aber alles andere als Langeweile in den eigentlichen Rennen. Diese teilen sich in reguläre Festival-Rennen und in illegale Straßenrennen auf. Der Unterschied ist, dass euch Erstere im Turnier weiterbringen, während Letztere weit besser die Kasse für neue Autos und Upgrades füllen. Die Rennen sind dann entweder Rundkurse oder Streckenfahrten, hier ist die Aufteilung etwa fifty-fifty. Die gesamte Karte wird nach und nach genutzt, die Abwechslung an Lokalitäten ist gegeben und jedes fünfte oder so Rennen spielt auf dem Dirt-Track im Dreck. Ein bisschen Offroad muss sein und ja, das Fahrfeeling sitzt auch hier passgenau. Und dann ist da immer noch die freie Welt mit ihren mehr als 200 Straßen, versteckten Ecken, Showcase-Events und einigem mehr an Kleinkram am Rande, von dem nichts weniger Spaß macht als jedes Haupt-Event. Weil die schiere Freude am Fahren und den Autos hier immer siegt.

Sie siegt selbst über die sogenannten Rivalen. Für jeden Turnier-Level wird euch einer "zur Verfügung" gestellt, hauptsächlich um schlechte Sprüche zu reißen. Der König des Festivals ist so ungefähr die Art von Antiheld-Möchtegern-Rebell, die Springsteen in seinen frühen Alben unsterblich machte. Der hier pullte out of town to win. Gut für ihn, euch ist das Latte, denn die Jungs und gelegentlichen Mädels fahren kaum besser als der Rest der sehr angenehm anziehenden KI-Crew. Dachte ich in den ersten Leveln noch, ich müsste den Schwierigkeitsgrad hochziehen - wofür ich bei Siegen mehr Geld bekommen hätte -, legte sich dieses Verlangen schon recht bald. Vor allem im letzten Drittel ließ das sonst hier so gegenwärtige Zurückgelehntsein nach und wich verbissenen Fights, um wenigstens noch auf Treppchen zu kommen, während die Nummer 1 auf der perfekten Linie davonzog. Eine so elegante Abstufung habe ich selten gesehen - auch auf die Gefahr, mich in der Nennung der Titel zu wiederholen -, meist nur in Gotham.

Und um beim Thema zu bleiben: Ich erwähnte die Kudos. Hier sind es Style-Punkte und ihr bekommt sie für all die schönen Dinge, die man nicht mit Autos machen sollte. Suizidale Überholmanöver, Spins, Drifts aller Arten und vieles mehr. Der Wert dieser Punkte scheint zuerst nicht ganz so hoch. In Forza Horizon schaltet ihr damit "nur" Sponsor-Belohnungen - also etwas Geld - und eine Handvoll Spezial-Rennen frei. Der Wert für das Spiel selbst jedoch ist unermesslich. Ihr probiert den Zähler, den Multiplikator und damit den Highscore hochzuhalten, was so lange klappt, wie ihr nicht dann doch mal in die Bande oder den zivilen Gegenverkehr - nur außerhalb offizieller Festival-Rennen vorhanden - rauscht. Dann geht es zurück auf null und sofort wieder von vorn los.

Forza Horizon - Launch-Trailer

Der immer unbegrenzt verfügbare Rückspuler verschont euch davor nicht, aber es ist auch das Einzige, was er euch nicht zurückgibt. Ansonsten ist dieses Feature hier wirklich ein Segen, weit mehr als in den normalen Forzas. Dort würde ich sagen "lerne gefälligst den Kurs". Es findet am Ende mehr als nur ein Rennen darauf statt. Hier jedoch, wo jedes einzelne Rennen über eine eigene, weil eigens abgesteckte Strecke führt, wollt ihr sicher nicht unbedingt für jedes der 100 und mehr Rennen die Kurse lernen und immer wieder neu starten, bis es klappt. Manchmal möchte man sich ein wenig betrügen und ein die Zeit ein wenig zurückdrehen. Seid ehrlich: Wo gilt diese Aussage nicht manchmal im Leben? Und wenn ihr das verneint, dann lasst es halt. Horizon zwingt euch zu nichts, auch dazu nicht.

Woran es jedoch immer wieder mal scheitert - und das ist der große Kritikpunkt, der hier noch fehlte, in einem Spiel, bei dem ich begann über Höchstnoten nachzudenken -, ist die Usability, die Benutzerfreundlichkeit. Dieser Design-Begriff trifft es hier am besten, wenn nicht die Menüs selbst das Problem sind, sondern ihr Fehlen an einigen Stellen. Die Benutzbarkeit des Spiels wird unnötig durch die Tatsache behindert, dass der zentrale Anlaufpunkt das Festivalzelt in der Mitte der Karte ist. Nur hier könnt ihr frei Autos wechseln, Designs basteln, tunen oder Renn-Bürokratie erledigen. Ihr müsst hier manchmal hin.

Hin ist auch kein Problem. Die Schnellreise kostet nichts. Gratis ist aber eine Einbahnstraße. Zurück könnt ihr euch nur an bestimmte, zu entdeckende Schnellreisepunkte teleportieren, was aber richtig Ingame-Cash kostet. Für gut die Hälfte des Spiels nehmt ihr in einem Rennen kaum mehr ein als die Reise kostet. Braucht ihr für ein Rennen ein spezielles Auto, dann dürft ihr eines wählen, das ihr habt, oder ein neues kaufen. Aber wehe es ist in der Rennklasse, aber ihr wollt es noch schnell hochtunen. Kommt gar nicht so selten vor. Zurück zum Kartenzentrum. Die Option gibt es zum Rennstart nicht. Ihr wollt zwischendurch das Auto wechseln? Zurück zum Start.

Forza Horizon - Trailer

Es macht einfach keinen Sinn in einem Spiel, das sonst so auf Benutzerfreundlichkeit, Freude an den Autos und dem Herumrasen an sich ausgelegt ist. Ein Menüpunkt für Tuning, einer für Autos und das immer und überall außerhalb eines Rennens. Fertig und schon sind all die Umwege umgangen. Und die virtuelle Geldverschwendung in dem Schnellreisesystem, das eigentlich nichts kosten sollte. Selbst in der Logik des Spiels: Was hält mein Alter Ego auf, einfach unbeaufsichtigt und für mich nur als Ladescreen erkennbar dorthin zu fahren?

Am Ende jedoch egal. Man schluckt es und cruist halt eine Extra-Runde, die Style-Kudos sammelt man immer gern. Vor allem in so hübscher Umgebung. Die Automodelle sind nicht die Spitze des derzeit Machbaren, aber immer noch schön anzuschauen - keine Sorge, das hier liegt weit über The Run, selbst wenn es nicht ganz wie GT5 wirken mag. Die Welt selbst strahlt in ihrer Farbkomposition genau die oben beschriebene Stimmung aus. Man kann mit Farben und Lichteinfall viel machen, hier ist es die Epik eines Werbespots für ein sehr teures Auto - Jaguar oder besser. Es wirkt… schön. Ohne aufdringlich zu sein. Ohne mit den Effekten um sich zu werfen, sondern es setzt sie mit Bedacht und Bewusstsein für Wirkung ein. Einfach schön.

Forza Horizon - Chemical Brothers - Trailer

Nur die Musik ist nicht meins, aber das ist so subjektiv, wie nur Musikgeschmack sein kann. Der Electro/Drum&Bass-Channel ist ok, der Neo-Post-Pop-Wave auch. Ich mag Of Monsters and Men. Der Rock-Channel dagegen… Fuck Modern Rock oder was die Amis dafür halten! Post-Grunge-Trauma sucks! Die ganze Mitte-Indie-Arctic-Monkey-The-Hive-The-Whatevers, ich kann die ganzen heulenden Robben nicht leiden, ich will zu einer Mischung aus Metallica, Queensryche, Pearl Jam und Maiden cruisen. Ich mag den Oldie-Rock-Sender in meiner realen Stadt! In Forza Horizon bleibe ich dann wohl auf dem Pop- oder Elektro-Channel und trau mich gar nicht rüber. Die eine Band dort heißt sogar Yuck. Ich könnte es nicht besser zusammenfassen.

'Yuck' ist aber sonst das hundertprozentige Gegenteil von Forza Horizon. Ich will ehrlich sein, ich sah es nicht kommen, ich hab mich nicht drum gekümmert, ich hatte es nach dem stylishen Chemical-Brothers-Trailer als Nullsubstanzler halb abgeschrieben. Ich hätte nicht weiter daneben liegen können. Playground Games ist DAS Studio, auf das man in Zukunft bei Fun-Racern achten muss, denn so ein Renn-Debüt hat nicht mal Criterion seinerzeit hingelegt. Forza Horizon geht aus dem Stand von null auf alles in die sofortige, kompromisslose Liebe. Ok, fast. Einige Entscheidungen bei der Benutzerführung sind… Meh (um nett zubleiben).

Aber sonst hatte ich das letzte Mal bei Gotham Racing 2 so viel Spaß in einem Spiel dieses Genres und ich kann kein größeres Lob aussprechen. Die Fahrzeugauswahl, das Fahrgefühl, die Rennen, die Umgebung, die Musik… ok, nicht die Musik, aber der Rest ist ein Traum von einem Rennspiel, der Stil sitzt auf den Punkt und um die Eingangsfrage noch einmal zu beantworten: warum Forza Horizon? Weil ihr selten mehr Spaß auf vier virtuellen Rädern haben werdet.

9 / 10

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Martin Woger Avatar
Martin Woger: Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

In diesem artikel

Forza Horizon

Xbox 360

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