Ant-Man, Sense8
Flashback ins Jahr 2008.
Regie: Peyton Reed
Buch: Edgar Wright, Joe Cornish, Adam McKay, Paul Rudd
Darsteller: Paul Rudd, Michael Douglas, Evangeline Lilly, Corey Stoll
Wenn man im Formtief noch solche Filme produziert...
Das hätte richtig in die Hose gehen können. Noch vor knapp 14 Monaten sah es ganz schlecht aus für Ant-Man, als der ursprüngliche Regisseur Edgar Wright (Shaun of the Dead, Scott Pilgrim vs The World) trotz fertigen Drehbuchs und kompletter Besetzung das Projekt wegen kreativer Differenzen verließ. Mit Peyton Reed (Der Ja-Sager) wurde ein ebenfalls der Komödie zugetaner Nachfolger gewählt und das Projekt trotzdem pünktlich in die Kinos gebracht. Das Resultat ist ein passabler, aber kein ganz runder Streifen geworden. In seinen besten Szenen knüpft Ant-Man mühelos an die stärksten Marvel-Filme an. In seinen schwächeren funktioniert er schlicht nicht.
Die Geschichte ist doch ziemlich simpel und spiegelt ein wenig den ersten Iron-Man: Held mit Charakterfehler kommt zu mächtigem Anzug und tritt schließlich gegen eine böse Version seiner selbst an, um die Nutzung der Technologie - in diesem Fall die schrumpfenden Pym-Partikel - als Waffe zu vereiteln. Überhaupt erinnert Ant-Man an die Filme von Marvels "Phase 1" - leichter, nicht weltbewegender Stoff, der hauptsächlich der Exposition und der Integration der Figur in den Kanon dient. Damals hatte das mittlerweile das Kino mit eiserner Box-Office-Faust regierende Disney-Studio die perfekte Formel noch nicht gefunden, und das stimmt auch für diese Action-Komödie.
In der Anfangsphase fallen arg expositionslastige Dialoge etwas plump verkürzend auf und viele Witze vor allem um Einbrecherkönig Scott Langs (Rudd) ethnisch auffällig diversive Truppe handzahmer Gangster - Latino (Michael Pena), Russe (David Dastmalchian), Schwarzer (T.I.) - schlimm auf die Nase. Auch wenn im Kino rings um mich herum viele Pressevertreter das offensichtlich anders sahen. Letztendlich ist der gesamte erste Akt alles andere als elegant gelöst. Eine "Diese eine Sache darfst Du niemals tun, sonst..."-Szene telegrafiert schon mit dem Ende des ersten Drittels, wie das Problem am Ende gelöst wird. Manche mögen das "klassisches Geschichtenerzählen" nennen, ich fand es schlimm klischeehaft. Die Einbruchsequenzen, einige sehr charmante Momente und Penas ellenlange Nacherzählung, wie er zu einem Tipp für einen der Coups kam, sind aber schon zu Beginn Highlights und lassen ein bisschen Wright'sches Genie durchblitzen.
Ein weiterer Grund dafür, dass man bei der Sache bleibt, ist der wunderbare Corey Stoll (Midnight in Paris' Ernest Hemingway, House of Cards). Der hat als Bösewicht Darren Cross zwar nicht die originellste Geschichte, macht aber in einer seiner ersten Szenen direkt klar, wie gefährlich er ist. Einer der bedrohlicheren, unberechenbareren Bösewichte der Marvel-Filme, auch wenn er im Grunde wenig anders macht als all die anderen. Charisma, Talent und eine besonders gemeine... Waffe geben Szenen, in denen er mit den Helden alleine ist, eine gewisse Spannung, weil man weiß, dass unappetitlicher, heimlicher Mord für ihn ebenfalls immer eine Option ist.
Als Scott Lang dann schließlich den schrumpfenden Ant-Man-Anzug und die Fähigkeit erhält, mit Ameisen zu kommunizieren, ist die Science hinter dieser Fiction zwar alles andere als "tight" - er stürzt aufgrund seiner erhöhten Dichte durch morsche Fußböden und lässt Fliesen bersten, auf die er trifft, der Plattenteller einer Disco dreht nach seinem Aufprall aber unbeirrt weiter -, in jedem Fall aber spektakulär anzusehen. Wer als Kind mal "Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft" erlebte, wird anschließend durch den Wald gerannt sein und sich vorgestellt haben, es sei der Rasen des heimischen Gartens. Ant-Man spielt ausgezeichnet mit derart interessant verschobenen Perspektiven und zieht im Finale das maximale Kapital aus einer der interessanteren Fähigkeiten dieses Universums.
Am Ende ist es ein unterhaltsamer, aber wenig überraschender Streifen mit vernachlässigbarer Geschichte und einigen wahrhaft goldenen visuellen Momenten. Dass ausgerechnet der Humor an vielen Stellen zahnlos oder fehl am Platz wirkt, ist ebenso bedauerlich wie das überbordende Bedürfnis, wirklich jeden Handlungsfaden zu seinem Friede-Freude-Eierkuchen-Ende zu bringen. Ebenfalls könnten einige den Grad, zu dem der Film sich in den Rest des Universums einzufügen versucht, als mangelndes Selbstbewusstsein deuten. Schließlich hatte es der vergleichbar obskure Stoff Guardians of the Galaxy letztes Jahr auch nicht nötig, Avengers- und Shield-Personal in die Geschichte zu pressen. Aber hier hat es in meinen Augen durchaus funktioniert.
Schwer zu sagen, ob es mit Edgar Wright am Steuer ein besserer, weniger beliebiger Film geworden wäre - die Geschichte und das Drehbuch stammen immerhin zu weiten Teilen von ihm. Mit Peyton Reed landet er immerhin irgendwo im Mittelfeld aller Marvel-Verfilmungen. Sehenswert für Freunde des Universums und aufgrund einfallsreicher Actionszenen, in Sachen Erzählung jedoch ein Rückschritt in Zeiten der etwas unbeholfeneren Origin-Geschichten.
Sense8
Creator: Lana Wachowski, Andy Wachowski, J. Michael Straczynski
Darsteller: Aml Ameen, Bae Doona, Jamie Clayton, Tina Desai, Tuppence Middleton, Max Riemelt, Miguel Ángel Silvestre, Brian J. Smith, Freema Agyeman, Anupam Kher, Terrence Mann, Naveen Andrews, Daryl Hannah
Sense8 ist ein weiteres gutes Beispiel dafür, warum ich es mag, dass zum Beispiel Netflix oder Amazon ihre Serienstaffeln gleich in einem Rutsch veröffentlichen. Gleichermaßen ist es eine Serie, die so wohl nur auf diesen Plattformen funktionieren kann, sicherlich alleine schon wegen des Produktionsaufwands - doch dazu später mehr.
Würdet ihr jede Woche nur eine Folge von Sense8 (sprich: Sensate) schauen, würdet ihr euch womöglich über das langsame Tempo wundern. Ja, die Wachowski-Geschwister und Babylon-5-Schöpfer J. Michael Straczynski nehmen sich wahrlich Zeit für den Aufbau und verbringen den überwiegenden Teil der ersten Episode schon mal damit, die zahlreichen, rund um die Welt verteilten Hauptcharaktere der Serie einzuführen. Was für den einen zu langsam ist, gefällt dem anderen aber womöglich, denn so erfährt man wirklich gut, wer die jeweiligen Figuren sind und was sie in ihrem Alltag so tun.
Was anfangs noch wie ein bunt zusammengemischter und teilweise zusammenhangloser Haufen wirkt, wird aber mit jeder einzelnen Folge interessanter, in der man Stück für Stück mehr über das eigentliche Sci-Fi-Thema erfährt. Die acht Hauptcharaktere sind nämlich miteinander verbunden. Diese Verbindung wird offensichtlich durch den Tod ihrer „Mutter" erst so richtig ausgelöst. Das Ganze geht aber weit über das Teilen von Emotionen oder Gedanken hinaus, was die ganze Sache so interessant macht. Vielmehr können sie sich sogar direkt gegenseitig beeinflussen, sehen sich plötzlich an diesen anderen Schauplätzen (was für den Zuschauer durchaus etwas gewöhnungsbedürftig ist, denn sie sind nicht wirklich körperlich da) und können gar die Kontrolle über den Körper des anderen übernehmen. In bestimmten Situationen ist das ganz schön hilfreich, wenn etwa einer von ihnen in Schwierigkeiten gerät und durch die Fähigkeiten eines anderen Sensates, der sich gerade auf der anderen Seite der Welt befindet, diese überwinden kann. Zum Beispiel eine im Kampfsport erprobte Koreanerin, die kurzzeitig die Kontrolle über einen anderen Sensate übernimmt und so an einem völlig unterschiedlichen Ort dafür sorgt, dass der andere Sensate eine mehr als brenzlige Situation fast schon mit Leichtigkeit meistert.
Zu Beginn scheint das meist noch eher zufällig und unkontrolliert zu sein, aber je weiter sich die Serie entwickelt, desto mehr bekommen auch die Protagonisten ihre Fähigkeiten in den Griff. Aus den zum Teil schwach anmutenden Einzelfiguren - vom Schauspieler über eine DJane bis hin zum Polizisten ist fast alles vertreten - entsteht dadurch ein in seiner Gesamtheit starkes Kollektiv, das sich gegenseitig mit seinem Wissen und seinen Fähigkeiten unterstützt. Gleichzeitig müssen sie aber auch aufpassen, denn ein mysteriöser Gegenspieler und seine Organisation machen Jagd auf die Sensates.
Abseits dieser sich langsam entwickelnden Hauptstory werden noch viele kleine Nebengeschichten der einzelnen Charaktere mit eingestreut - gleichermaßen driftet Sense8 immer wieder gerne in unterschiedliche Genres ab. Ein Hauch Bollywood, ein Hauch Action, ein Hauch Humor, ein Hauch Sexualität und leider noch immer kontroverse Themen (inklusive Homosexualität und Transgender) sowie ein gutes Stück persönliche Dramen. Es ist ein bunter Mix, der aber durch die miteinander verbundenen Charaktere, die sich später in fast jeder Lebenslage unterstützen, gleichermaßen interessant bleibt. Es driftet nie zu sehr in eine Richtung ab, sondern ist stets um die richtige Balance bemüht.
Eine Sache, die mir besonders gut gefallen hat, ist der schon angesprochene Produktionsaufwand - und den hat man sicherlich auch dem Budget von Netflix zu verdanken. Anstatt nur vorzutäuschen, dass man sich an bestimmten Orten auf der Welt befindet, wurde vielmehr an Originalschauplätzen gedreht. Wenn ihr also Berlin seht, dann ist das auch Berlin. Und Chicago, London, Nairobi, Seoul, Mexico City, Mumbai, San Francisco oder Island. Das verleiht der Serie nicht nur eine gewisse Authentizität, es ist auch wunderbar anzuschauen. Die jeweiligen Regisseure, darunter die Wachowskis selbst und auch Tom Tykwer, liefern ordentlich was fürs Auge und sorgen dafür, dass Sense8 in puncto Produktionswerte und Choreographie von Anfang bis Ende einen hochwertigen Eindruck hinterlässt.
Schlussendlich bleibt zu sagen, dass Sense8 ein bisschen braucht, um sich zu entwickeln und zu entfalten. Ihr solltet der Serie dementsprechend ein wenig Zeit geben, aber nach spätestens vier Episoden und einer sehr schönen Szene, die alle Charaktere mit einschließt, sollte euch eigentlich klar werden, ob Sense8 etwas für euch ist oder nicht. Es zeigt sich auch, dass die Serie wie gemacht für Netflix ist. Müsstet ihr je eine Woche auf eine neue Folge warten, könntet ihr durchaus das Interesse verlieren (vom Quotendruck ganz zu schweigen), aber ich habe mir alle zwölf Folgen der ersten Staffel an vier Tagen angeschaut, weil ich einfach wissen wollte, wie es weitergeht. Ist ja schon mal ein gutes Zeichen, wenn es eine Serie schafft, dass ich genau das tue. (Benjamin Jakobs)
Was ist Freitagskino?
Jeder Mensch braucht mal Abwechslung. Wir alle mögen Kino, also schreiben wir (fast) immer freitags über Filme oder Serien. Keine Sorge, wir versuchen nicht, etablierten Filmkritikern große Konkurrenz zu machen, sondern einfach nur zu berichten, wie ein Film auf uns wirkte und ob wir dazu raten würden, ihm eine Chance zu geben. Welche Filme oder Serien das sind, hängt davon ab, was derjenige Autor in den letzten Wochen sah. Wir unterwerfen uns jedenfalls nicht vollends dem Diktat der Aktualität.
Es können aktuelle Blockbuster, ausgemachtes Genre-Kino, aber auch Arthouse-Geheimtipps sein, die noch im Filmspielhaus um die Ecke laufen. Die neueste Netflix-Serie kommt ebenso unter die subjektive Lupe wie ein alter HBO-Liebling, der sich nach Jahren unserem unter Umständen veränderten Geschmack stellen muss. Ebenso werden immer wieder nach Ewigkeiten wiederentdeckte Schätze zur Sprache kommen, überbewertete Klassiker oder unterschätzte Perlen. Wie gesagt, wir wollen euch damit nur ein wenig Diskussionsstoff über das zweitbeste Geek-Hobby liefern - und ein paar Inspirationen, was sich vielleicht lohnen könnte. Wir hoffen, euch macht die Rubrik genau so viel Spaß wie uns, auch wenn diese Sorte Unterhaltung zur Abwechslung mal nur bedingt interaktiv ist.