Skip to main content

Deadpool

Schwere Geburt - am Ende aber doch jede Wehe wert.

Regie: Tim Miller
Buch: Rhett Reese, Paul Wernick
Darsteller: Ryan Reynolds, Morena Baccarin, Ed Skrein, Brianna Hildebrand, Gina Carano

Ende gut, alles gut!

Ryan Reynolds hat eine ganz schöne Tortur hinter sich, Deadpool den Film zu schenken, den er verdient. Gut, man darf durchaus die Frage stellen, ob ausgerechnet Deadpool überhaupt einen Film verdient. Das Gimmick um den "Merc with a mouth", der ständig die "Vierte Wand" zum Zuschauer durchstößt, ist zwar eines der lustigeren. Aber große, packende Geschichten drehen sich für gewöhnlich nicht um Wade Wilsons grenzpubertäres Alter Ego. Wie auch, wenn selbst die zentrale Figur nichts ernst nimmt, was um sie herum geschieht? Aber um die Frage geht es hier nicht, denn so oder so haben wir den Film jetzt bekommen. Und der macht genau, was er muss, und trifft den Charakter auf den Punkt.

Deadpool konnte nur als adoleszente Actionkomödie mit Penis- und Hinterausgangswitzen samt massig Blut funktionieren. Und das gelingt Tim Miller und seinen Autoren ganz ausgezeichnet. Nicht alles funktioniert, einige Witze oder lahme Anspielungen auf grüne CGI-Kostüme fallen mit Anlauf die Nase, aber hier dürfen sie das zur Abwechslung mal. Auch und vor allem, weil der Film sich in seinen schlanken 94 Minuten einige Dinge leistet, die einen in ihrer Dummheit und Respektlosigkeit schlichtweg auf dem falschen Fuß erwischen.

Die Location für den Showdown wäre einer dieser "Das haben sie jetzt nicht wirklich gerade getan!?"-Momente. Und eine frühe Konfrontation Deadpools mit Colossus - der immer noch daran glaubt, Deadpool wäre X-Men-Material - ließ mich mit Tränen in den Augen zuckend im Kinosessel zusammenschmelzen. Da verschmerzt man den einen oder anderen Austausch, in dem sich gute, mittelmäßige und schlechte Witze stakkatohaft ineinander verknoten und deshalb letzten letzten Endes wirkungslos verpuffen.

'Es ist fast, als wäre nicht genug Budget dagewesen für bekanntere X-Men' - Deadpool.

Auch einige Momente, in denen einem schlagartig die Schamesröte ins Gesicht steigt, sind mit dabei und hier ebenso gewollt wie zielgenau platziert. Der Film scheint zu wissen, Deadpool ist lange nicht so cool und witzig, wie er sich selbst findet, und durchschaut ihn - ebenso wie Nachwuchs-X-Woman "Negasonic Teenage Warhead" vom dauerplappernden Kind der Achtziger sichtlich genervt ist. Also: Experiment geglückt, dieser Film ist einfach Deadpool und sollte Ryan Reynolds endlich in die A-Riege befördern. Nicht nur das, der riesige Erfolg - 132 Millionen Dollar am ersten US-Wochenende bei 58 Millionen Dollar Budget, das ist ein gutes Drittel mehr als der zweite Captain America - macht auch den Charakter, dem er gewidmet ist, breitenwirksam bekannt.

Das ist gut und schlecht zugleich. Ich weiß, dass schon an einem Nachfolger gearbeitet wird, sähe Deadpool allerdings lieber als Ergänzungscharakter in einem Ensemblefilm. Und selbst da ist er mit Vorsicht einzusetzen: Mich persönlich reißen Brüche der vierten Wand oft aus dem Erlebnis heraus. "Wir bringen dich zu Professor X!" - "Welcher, MacAvoy oder Stewart?". An und für sich ein guter Gag, ich bin aber so schon in einem solchen Film die meiste Zeit damit beschäftigt, meine Ungläubigkeit willentlich auszusetzen, um in dem Abenteuer zu versinken. Nur so kann ich so etwas wie Spannung oder Mitgefühl mit eigentlich aberwitzigen Figuren und Plotkonstellationen empfinden. Werde ich regelmäßig daran erinnert, dass ich nur einen Film schaue, ist es damit schnell vorbei. Nichtsdestotrotz ist es diesen Leuten zuzutrauen, dass ihnen die Balance in einem Nachfolgewerk gelingt.

Auf YouTube ansehen

So ganz die große Liebe wurde es dann aber doch nicht. Dass der Humor nicht immer passgenau landet - bei so viel Energie echt geschenkt. Aber dass ausgerechnet dieser Film nicht darum herumkommt, wieder mal eine Origin-Geschichte zu präsentieren, ist ein bisschen schade. Immerhin nutzt er Flashbacks recht geschickt und frischt so die übliche Struktur etwas auf. Reynolds und Baccarin haben wirklich gute Chemie. Aber die Bösewichte bleiben arg blass, was sicher nicht allein am Drehbuch liegt, das seinen Hauptdarsteller ins Zentrum rücken möchte. Ed Skrein als Ajax brachte mich mit seinem dauerschmierigen Gesichtsausdruck schon auf die Palme, als er für ein paar Folgen den ersten Daario Naharis in Game of Thrones gab. Hinter seinem selbstgefälligen schiefen Grinsen steckt nicht eine Unze Talent. Ich bin nicht sicher, ob Gina Carano als Angel Dust nun eine oder zwei Dialogzeilen hatte. Aber immerhin verfügt sie über eine natürliche Präsenz.

Und dann ist da die Tatsache, dass man dem Film sein verhältnismäßig schmales Budget durchaus ansieht. Hinterhöfe, eine Autobahn, eine Bar, düstere Industriehallen und ein Schrottplatz (mit einem coolen Easter-Egg allerdings) sind nicht gerade Schauplätze, die sich ins Gedächtnis brennen. Die Requisiten sind ebenfalls recht einfältig und langweilig, sodass dem Film keine wirkliche visuelle Identität vergönnt ist. Einzig das Kostüm des "Helden" sticht als originalgetreue Umsetzung hervor und hübscht jede Szene auf, in der es vorkommt, und das sind zum Glück die meisten. Das CG von Colossus könnte auch etwas besser sein und wann immer irgendwo mithilfe von Computern getrickst wurde, sieht man es eigentlich recht deutlich. Dafür ist die Action gut choreografiert, gerade die eröffnende Sequenz auf der Schnellstraße bietet reichlich fürs Auge - schade, dass man das über die Setpieces, die danach kommen, nicht unbedingt sagen kann.

Trotzdem ist der Film im Rahmen der Möglichkeiten ein voller Erfolg. In der Wahl des Talents bestätigt sich hier einmal mehr: Wenn man Leute mit einer klaren Vision dransetzt und sie voll und ganz von der Leine lässt, kommt am Ende ein Film dabei heraus, dem nicht viel etwas anhaben kann. Man möchte dem bislang arg glücklosen Reynolds beinahe auf die Schulter klopfen, dass dieses Produkt aufrichtiger Liebe zur Figur und nicht enden wollender Hartnäckigkeit jetzt diesen sagenhaften Erfolg feiert. Dieser Grad an Aufopferung ist nämlich alles andere als selbstverständlich. Deadpool also: oft himmelschreiend lustig und respektlos, manchmal etwas zu dämlich und nach hinten raus eine Idee traditioneller, als er sein müsste. Als schlanker Actionfilm mit reihenweise "Nee nä!?"-Momenten aber einer der besten seit 22 Jump Street.


Was ist Freitagskino?

Jeder Mensch braucht mal Abwechslung. Wir alle mögen Kino, also schreiben wir (fast) immer freitags über Filme oder Serien. Keine Sorge, wir versuchen nicht, etablierten Filmkritikern große Konkurrenz zu machen, sondern einfach nur zu berichten, wie ein Film auf uns wirkte und ob wir dazu raten würden, ihm eine Chance zu geben. Welche Filme oder Serien das sind, hängt davon ab, was derjenige Autor in den letzten Wochen sah. Wir unterwerfen uns jedenfalls nicht vollends dem Diktat der Aktualität.

Es können aktuelle Blockbuster, ausgemachtes Genre-Kino, aber auch Arthouse-Geheimtipps sein, die noch im Filmspielhaus um die Ecke laufen. Die neueste Netflix-Serie kommt ebenso unter die subjektive Lupe wie ein alter HBO-Liebling, der sich nach Jahren unserem unter Umständen veränderten Geschmack stellen muss. Ebenso werden immer wieder nach Ewigkeiten wiederentdeckte Schätze zur Sprache kommen, überbewertete Klassiker oder unterschätzte Perlen. Wie gesagt, wir wollen euch damit nur ein wenig Diskussionsstoff über das zweitbeste Geek-Hobby liefern - und ein paar Inspirationen, was sich vielleicht lohnen könnte. Wir hoffen, euch macht die Rubrik genau so viel Spaß wie uns, auch wenn diese Sorte Unterhaltung zur Abwechslung mal nur bedingt interaktiv ist.

Schon gelesen?