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Frostpunk 2 im Test: Weil die politische Lage noch nicht angespannt genug ist...

Eiskalter Engel.

Etwas geradliniger, aber spannender und edel präsentierter Städtebau gegen ständige Ressourcenknappheit. Interessant ist das Handeln mit politischen Interessen.

Aber ich wollte doch nur Gutes tun! Als mich eine Mutter anflehte, ihren kranken Sohn besuchen zu dürfen, habe ich eine Gesetzesänderung durchgewunken, die es gesunden Eltern erlaubt, unter Quarantäne gestellte Kinder zu besuchen. Einige Zeit später erhielt ich dann die Nachricht: Der Sohn hat überlebt! Er werde nun nach Hause entlassen – um gemeinsam mit seinem Vater um die von ihm angesteckte und inzwischen verstorbene Mutter zu trauern.

Das sind Geschichten, zwei Absätze lange Episoden vielmehr, die man in Frostpunk 2 erlebt beziehungsweise liest. Die man selbst kreiert, wenn man als Statthalter von New London Entscheidungen trifft. Und es sind natürlich sehr ähnliche Geschichten wie die, die man im Vorgänger bereits erlebt hat. Nur dass die Stadt diesmal um einiges größer ist und auch das Umland eine stärker tragende Rolle spielt. Und dass man viele dieser Entscheidungen mit einem Rat aushandeln muss, dessen Mitglieder sehr unterschiedliche Interessen vertreten.

Die Einen so, die Anderen so

Da sind zum Bespiel die Glaubenshüter mit ihrem starken Drang nach Traditionen beziehungsweise dem, was sie als natürliche Ordnung ansehen. Sie sind die großen „Freunde“ der Wegweiser, die stattdessen mit Logik und Vernunft eine moderne Welt erschaffen wollen. Und jedes Gesetz, das man erlässt, jede Forschung, die man durchführt, jede Entwicklung in der Stadt und jede Entscheidung, die man trifft, wirken sich auf die Befindlichkeiten der verschiedenen Fraktionen aus.

Könnte mir das egal sein? Klar! Als die Wegweiser noch eine kleine Fraktion waren, zu der sich nicht einmal zehn Prozent der Bevölkerung bekannten, habe ich sie praktisch ignoriert. Hin und wieder habe ich mal ein Gesetz erlassen, das ihren Vorstellungen entsprach, habe ihnen Geld gespendet oder ihnen gar einen Gefallen getan, indem ich eine von ihnen gewünschte Technologie erforschen ließ. Ich musste die später ja nicht gleich einsetzen.

Aber irgendwann konnte ich mir diese kleinen Gefallen nicht mehr leisten. Die extreme Kälte, Nahrungsmangel, eine schwache Industrie und meine sehr unpopuläre frühere Entscheidung, den Generator ausschließlich mit Öl zu betreiben, sorgten für große Unruhe in der Bevölkerung. Und nur, solange die Glaubenshüter quasi meine besten Freunde sind, besänftigen sie mit ihrer passiven Fähigkeit diese Spannungen. Auf der einen Seite musste ich also mit Engelsaugen um Zuneigung kämpfen, auf der anderen eiskalt Absagen erteilen.

Frostpunk 2 - Eiskalter Engel im Test

Mir war klar, dass das irgendwann zu Problemen mit den Wegweisern führen würde. Dafür gab es schließlich klare Anzeichen; Frostpunk 2 nennt sie Eifer und meint damit die gesteigerte Protestbereitschaft besonders wütender Mitglieder. Um auf deren drohenden aktiven Widerstand vorbereitet zu sein, habe ich daher Wachtürme errichtet sowie Gesetze auf den Weg gebracht, um das Rekrutieren von Wachtrupps zu erleichtern. Ich hätte die dafür benötigten Ressourcen gerne in eine effektivere Produktion oder andere Bereiche gesteckt. Aber mir blieb doch nichts anderes übrig! Immerhin: Die Proteste konnte ich dadurch schnell niederringen.

Kein ganz normaler Städtebau

Und wie hätte ich zuvor auch anders reagieren sollen, als es keine Kohle mehr gab? Das Nutzen thermischer Energie war ja noch gar nicht erforscht. Da erschien mir das Umstellen des Generators auf Öl als einzige Möglichkeit, das Überleben Aller zu sicher. Dass ich dann sogar einer Gruppe Außenseiter etliche Tonnen Öl schenken konnte, weil die damit drohten, sonst meine Siedlung zu überfallen… Glück im Unglück!

Später kam ich sowieso nicht mehr umhin, sogenannte radikale Ideen erforschen – was nichts anderes bedeutet, als dass eine Fraktion einer solchen Idee sehr zugetan ist, sie von den anderen aber verurteilt wird. Die Ressourcen sind immer knapp, unregelmäßige Schneestürme machen die ohnehin tödliche Kälte zu einer katastrophalen Bedrohung und so ganz nebenbei muss ich auch die Gesundheit, Bildung und öffentliche Ordnung im Auge behalten. New London muss sich deshalb ständig weiterentwickeln. Und je mehr das geschieht, desto mehr spalten sich daran die Geister.

„Ideen“ nennt Entwickler 11 bit die Forschungsprojekte übrigens deshalb, weil man damit nicht nur Technologien freischaltet, sondern auch Handlungsoptionen und Gesetze. Um reinen Städtebau geht es in Frostpunk 2 schließlich nicht. Im Mittelpunkt steht vielmehr dieses Tauziehen politischer Interessen mit dem strategischen Ausbau eines möglichst effizienten wirtschaftlichen Kreislaufs. Dabei sind grundlegende Ressourcen fast immer Mangelware, weshalb man sich oft zwischen dem akuten Überleben und den daraus resultierenden gesellschaftlichen Folgen entscheiden muss.

Geradlinig, aber vielseitig

Nun entstehen besonders in den ersten Stunden meist sehr ähnliche Städte – im freien Spiel siedelt man ja nicht nur im New London der Kampagne, sondern an verschiedenen vorgefertigten Schauplätzen, wobei man die dort verfügbaren Ressourcen ebenso mitbestimmt wie die siedelnden Fraktionen. An der Art und Weise, wie man verschieden genutzte Bezirke (Wohnen, Ressourcenförderung, Nahrungserzeugung, Industrie und Logistik) anlegt, ändert das aber wenig und abgesehen vom Bau leistungssteigernder Gebäude sowie dem Verschieben einzelner Parameter (etwa die Anzahl der in einem Bezirk tätigen Arbeiter) ist der ökonomische Handlungsspielraum auch überschaubar.

Trotzdem ist das Bewältigen des ständigen Mangels eine spannende Aufgabe, zumal man dabei recht häufig auf fluktuierende Ausprägungen dieser Herausforderung reagieren muss. Hinzu kommen Expeditionen ins Umland der Siedlung, über die man neue Einwohner oder Materialien gewinnt und manchmal gar Außenposten mit besonderen Eigenheiten entdeckt, an denen man ebenfalls siedeln kann. Im Rahmen der Kampagne bin ich so zum Beispiel auf eine Areal gestoßen, das meine gesamte Ölförderung übernimmt. Das sind wichtige Bausteine der Stadtentwicklung, die dadurch immer vielseitig bleibt, ohne sich bei ihren einzelnen Aspekten im Detail zu verlieren.

Und spätestens mit den radikalen Ideen drückt man seinem Tun als Statthalter dann tatsächlich seinen eigenen Stempel auf, was sich vor allem in der Gestaltung der Gesetze widerspiegelt. Für mich macht das viel aus. Denn 11 bit richtet diese Fragen natürlich auch an euch: Welche Gesellschaft wollt ihr erschaffen? Wie wägt ihr ab, wenn es ums nackte Überleben auf der einen Seite und das Erzielen eines gesellschaftlichen Ideals auf der anderen geht?


Frostpunk 2 ist derzeit ausschließlich digital erhältlich, und zwar sowohl bei Steam als auch im Epic Games Store und bei Microsoft, wo es unter anderem im Game Pass enthalten ist. Die reguläre Version kostet knapp 45 Euro – eine Deluxe Edition, die unter anderem drei für die Zukunft geplante Downloadinhalte sowie drei Tage früheren Zugang umfasst, gibt es bei allen Anbietern für regulär knapp 75 Euro. Die Umsetzungen für PlayStation 5 und Xbox Series S/X werden zu einem späteren, derzeit noch nicht genannten Zeitpunkt veröffentlicht.

  • Steam
  • Epic Games Store
  • Xbox Store

  • Selbstverständlich steckt hinter alldem das gleiche Werteschieben, wie man es aus anderen Strategietiteln kennt. Nehmt die Verhandlungen im Rat, wenn der Großteil der Fraktionen gegen das zu beschließende Gesetz stimmen will: Dass man einer von ihnen einen Gefallen tun kann, um sich die Stimmen ihrer Mitglieder zu sichern, ist nüchtern betrachtet eine rein rechnerische Transaktion. Frostpunk 2 „versteckt“ das dahinerliegende Zahlenmeer allerdings besser als andere Aufbausimulationen.

    Zumal man solche Versprechen brechen könnte – oder sich tiefer in die Bredouille manövrieren, weil man, um sie zu halten, zwei weiteren Fraktionen Zugeständnisse machen muss. Ganz zu schweigen davon, dass dann womöglich für andere technologische Entwicklungen gar keine Zeit mehr ist. Auf jeden Fall wird man deshalb früher oder später diese Nachrichten erhalten, viele davon mit einem Portrait versehen: dass Fraktionen rebellieren und ganze Stadtteile stilllegen. Oder dass ein Kind aufgrund einer politischen Entscheidung gestorben ist.

    Umso schöner treffen inmitten dieses harten Lebens aber auch gelegentliche Lichtblicke ins Herz; wenn sich ein Bettler etwa dafür bedankt, Essen und Kleidung zu erhalten. Weil ich es geschafft habe, die Stadt trotz des Drucks der Wegweiser vom reinen Darwinismus zu etwas mehr Gleichheit zu entwickeln. Ich wünschte, manche dieser Auswirkungen wären erst später spürbar, vielleicht als Folge nicht nur einer, sondern mehrerer Entscheidungen. Aber grundsätzlich ist diese emotionale Note eben das Besondere, das die Spiele von 11 bit (This War of Mine) auszeichnet.

    Jetzt wird’s noch mal technisch

    Zumal das Ganze sowohl grafisch als auch akustisch sehr stilvoll präsentiert wird. Wenn die Stadt wächst, werden leuchtende Straßen zu Lebensadern, und Lautsprecherdurchsagen aktueller Ereignisse klingen, als würde man zur Hochzeit der industriellen Revolution durch schmutzige, enge Gassen laufen, während der winterliche Schauplatz unter der Last des ewigen Eises knistert. Dass verabschiedete Gesetze überhaupt angesagt werden, verleiht der Kulisse schon eine angenehme plastische Nähe.

    Bedauerlich finde ich nur, dass man einen verdammt schnellen Rechner braucht, damit ausgewachsene Siedlungen mit 60 Bildern pro Sekunde dargestellt werden. Ein i9 der zwölften Generation schafft das im Verbund mit einer 3080 Ti jedenfalls selbst bei mittleren Details nicht immer.

    Hinzu kommen Kleinigkeiten in der Benutzerführung, die auf Dauer ein wenig an meinen Neven nagen. Dass das Anklicken mancher Menüpunkte zum Beispiel nicht immer sofort funktioniert, ist ärgerlich. Manchmal liegt es daran, dass einige Schaltflächen größer aussehen als die interaktive Fläche tatsächlich ist, und manchmal daran, dass die Ansicht samt Menü erst langsam zu einem gerade angeklicktem Objekt gezogen wird.

    Abgesehen davon fehlt mir die Möglichkeit, für die Zukunft geplante Aktionen, unter anderem in der Forschung, einige Spielmonate im Voraus vorzumerken. Oft genug passieren nämlich mehrere Dinge gleichzeitig oder so kurz hintereinander, dass ich gerade beschlossene Pläne wieder vergesse. Natürlich schaffen mir Notizblock und Bleistift dabei Abhilfe. Die sollten beim Spielen einer modernen Aufbaustrategie allerdings längst ausgedient haben.

    Frostpunk 2 im Test – Fazit

    Ein eiskalter Engel bin ich genau genommen natürlich nicht, aber es ist schon bemerkenswert, wie sehr mir die Belange der Bevölkerung hier am Herzen liegen, während ich gleichzeitig manchmal sagen muss: „Sorry, Leute! Aber ich muss euch euren Vorstellungen jetzt erst mal den Hahn abdrehen, damit ihr im anstehenden Schneesturm nicht verhungert.“ Ja, die eigentliche Stadtplanung könnte umfangreicher sein und hin und wieder ärgere ich mich über unnötige Kleinigkeiten in der Benutzerführung.

    Dafür sieht Frostpunk 2 unheimlich schick aus (Verschneite Winterlandschaften haben ohnehin etwas Magisches an sich!), während alleine das ständige Verhindern irgendeiner Knappheit oder Katastrophe unter diesen arktischen Bedingungen angenehm spannend ist. Und dass man das dann noch hinbekommen muss, während man gleichzeitig verschiedene Interessen im Auge sowie die gesellschaftliche Ordnung aufrecht erhalten soll, macht diese Aufbaustrategie eben zu einer, in der ich viel tiefer und auch viel lieber versinke als in einer reinen Matherechnung.

    Frostpunk 2
    PROCONTRA
    • Anspruchsvolles Jonglieren städtebaulicher Notwendigkeiten und politischer Interessen
    • Variantenreiche Welt mit sehr unterschiedlichen Siedlungen und Außenposten
    • Erzählerische Beschreibungen aktueller Geschehnisse und individueller Schicksale, teils als Folgen vorangegangener Entscheidungen
    • Edle audiovisuelle Aufmachung
    • Wahl zwischen Kampagne und freiem Spiel auf mehreren vorgefertigten Karten
    • Steuerung fehlt an einigen Stellen Übersicht und Handlichkeit anderer Strategietitel
    • Technisch etwas zu anspruchsvoll: Größere Städte laufen nur auf High-End-Rechnern mit 60 Bildern pro Sekunde
    • Rein städtebaulich unterscheiden sich verschiedene Siedlungen meist wenig

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