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Game of Thrones, Episode 2: The Lost Lords - Test

Vom Verlorensein und seinen vielen Definitionen.

Game of Thrones spielt sich altbekannt, aber Telltale zieht in der zweiten Folge aus den diversen Erzählperspektiven maximale Spannung.

Ich sollte eigentlich nicht überrascht sein und in diesem Berufsfeld noch weniger sprachlos. Aber das hier - wow! Mit seiner zweiten von sechs Game-of-Thrones-Episoden deutet Telltale an, sein womöglich bestes Werk in der Mache zu haben. Das beginnt schon beim Titel, der sich im Kontext der Geschehnisse von The Lost Lords auf ungezählte Weisen lesen lässt, und endet noch lange nicht bei den exzellent geschriebenen und gesprochenen Dialogen. Tatsächlich sind es vor allem die subtilen Entscheidungen, die das Spiel zur HBO-Fantasy-Serie zu so etwas Besonderem machen.

Waren die Wahlmöglichkeiten in Telltales bisher bestem Spiel, der ersten Staffel von The Walking Dead, noch etwas zu sehr auf Extreme aus - "lass' diesen oder jenen Charakter sterben" - verstehen es die Kalifornier mittlerweile besser, auch den Nuancen eine größere Bedeutung bekommen zu lassen. Zumindest fühlt es sich so an. Natürlich malt ihr auch hier in den meisten Fällen nur aus, was für ein Typ Charakter die jeweilige Figur für euch sein soll. Aber in einer Welt, in der sich alles um Adel, Ansehen und Ehre dreht, ist es eben ein großer Unterschied, ob man einen bestimmten Ring küsst oder sich weigert. Ob diese eine Entscheidung den Plot zwangsläufig auf eine komplett andere Schiene hievt oder nicht, ist da vollkommen gleich.

Ich glaube, ich habe zwei Stunden gebraucht. Das Spiel war zu gut, um auf die Uhr zu schauen.

Jeder, der die erste Episode bereits hinter sich gebracht hat, weiß um den Geniestreich dessen letzter Szene. Ob sie einem nun gefiel oder nicht: Im Zusammenspiel mit den verschiedenen Erzählperspektiven formt sie die Art und Weise, wie man Game of Thrones fortan erleben wird. Mehr kann ich kaum sagen, ohne die Tür zum Spoilerterritorium aufzustoßen, deshalb belassen wir es besser dabei, zu sagen, dass das hier wohl das spannendste, gefährlichste und herzzerreißendste Spiel dieses Studios ist. Und dafür müssen (noch) nicht einmal untote Menschenfresser die Kingsroad blockieren oder Drachen über Yunkai kreisen.

In The Walking Dead war man sich fast sicher, Lee würde nichts zustoßen, bevor Clementine in Sicherheit wäre. Hier gibt es jedoch so viele spielbare Figuren von Ethan über Mira und Gared bis hin zu Asher und einer weiteren, die ich hier ebenfalls nicht nennen darf, will euch ich ihren ersten Auftritt nicht verderben: Man ist sich niemals sicher, wer am Ende noch steht oder auf welche Weise er in Westeros' Geschichtsbücher eingeht. So sehr hat die Angst in einem Adventure noch nie mitgespielt. Plötzlich werden vollkommen triviale Fragen zu hirnzermarternden Dilemmata. Stets ist man auf der Hut, was man sagt, hat oft aber weiterhin nur Zeit für Instinktreaktionen.

Angesichts der Tatsache, dass die Geschichte im Großen und Ganzen nicht die größten Sätze macht, wenn es um die Linderung des Ungemachs Hauses Forrester geht, ist es umso beachtlicher, wie wirkungsvoll sie eigentlich ist. Hier ein Heimkehrer, da Gared, der an der Mauer das Schwarz anlegt, drüben in Essos Raufbold Asher Forrester, den wir erstmals kennenlernen. Die Fülle an interessanten neuen Haupt- und Nebenfiguren hält das Geschehen im Serienkontext authentisch und lebendig.

Asher Forrester legt einen starken ersten Auftritt hin.

Folglich ist es einmal mehr die fabelhafte Charakterzeichnung, die den größten Anteil daran trägt, dass jede einzelne Szene plotträchtiges Gewicht trägt. Mit nur wenigen Zeilen vermittelt Telltale einen guten Begriff davon, um welchen Schlag Mensch es sich bei den meisten Figuren handelt, ihre Situationen werden so noch dringlicher, ihr Schmerz nachfühlbarer. Und weil neuerdings die Gesichter - das Glanzlicht einer ansonsten eher zweckmäßigen Aufmachung - noch nuancierter schauspielern, geht auf dem Weg von der Mattscheibe ins limbische System des Rezipienten auch nichts davon verloren. Wenn die Forresters ihre in mehrfacher Hinsicht verlorenen Lords betrauern, ist man mitten unter ihnen.

Fast mag ich nicht in ein Fernseh-Westeros zurückkehren, in dem diese standhaften Stark-Bannermänner keine Rolle spielen.

9 / 10

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