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gamescom angeschaut: The Devil's Men

Daedalic wirft klassischem Point-and-Click einen wunderschönen Rettungsring.

Bereits seit Anfang des Jahres weiß ich von der Existenz von The Devil's Men. Schon im Februar zeigte mir Kevin Mentz, Game- und Narrative-Designer von Daedalic, heimlich und im stillen Hamburger Kämmerlein bereits sein "Baby". Damals hörte es noch auf den Namen Uncanny Valley, nun also auf "The Devil's Men". Schon vor einem halben Jahr fiel der fabelhafte Look auf, der sich weiter von der Lucas-Arts-Ehrerbietung entfernt und bequem irgendwo zwischen Hayao Miyazaki (Spirited Away, Prinzessin Mononoke) und dem großen Sylvain Chomet (Das Große Rennen von Belleville, L'Illusioniste) Platz nimmt.

Hinzu kam die verblüffende Hybridtechnik, mit der Daedalic auch für den Whispered-World-Nachfolger Silence handgezeichnete 2D-Bilder mit dreidimensionalen Hintergründen verschmilzt (mehr dazu in unserem Artikel, in dem wir die Technik von Silence vorstellen), und schon wusste ich: Das hier würde ich spielen wollen, ohne dass ich wusste, worum es eigentlich so genau ging. Steampunk und Mordsmysterium waren bereits Begriffe, die fielen, und dass man Einfluss auf die Handlung nehmen können würde, war seinerzeit schon sicher.

Was nach 2D aussieht, entpuppt sich bei kleineren Kamerabewegungen als waschechtes 3D-Bild mit beeindruckender Tiefe.

Gestern auf der gamescom zeigte mir Mentz mit stolzgeschwellter Brust eine deutlich weiter fortgeschrittene Version des Titels, der Mitte 2015 auf PC und Mac erscheinen soll. Und was ich sah, bestätigte die Vorfreude nur, denn The Devil's Men hat nicht nur stilistisch, sondern auch inhaltlich einiges auf dem Kasten. Alles beginnt mit einer Mordserie, die ihr in der Rolle von gleich zwei weiblichen Hauptfiguren unter die Lupe nehmt, die verschiedener nicht sein könnten: Die elfenhafte Adelaide ist die Tochter eines Meisterdetektivs und folgt in den Fußstapfen ihres Vaters, allerdings nur einseitig, denn aus einem nicht näher genannten Grund verfügt sie über ein Holzbein. Auf der anderen Seite die Diebin Emily, die in der fiktiven, europäisch anmutenden Metropole mit härteren Bandagen um ihre Existenz kämpft.

Beide Figuren sind hinreißend gestaltet und sehen auch dann noch bezaubernd aus, wenn die Kamera sie großformatig einfängt. Interessant ist aber vor allem, dass sich die beiden Protagonistinnen zwar früh im Spiel kennenlernen, aber nicht vollends auf derselben Seite stehen. So soll es häufig zu Situationen kommen, in denen die Entscheidungen der einen Figur sich negativ auf die andere auswirken und beeinflussen, wohin der Weg ihres Gegenparts führt. Mentz beschreibt die Geschichten beider Frauen im stetigen Konflikt - und ihr bestimmt, wie ihr ihre Rollen interpretieren wollt. Soll Adelaide einem Inspektor einen Beweis zeigen, der Emily in ein schlechtes Licht rückt, um ihre eigenen Ermittlungen anzukurbeln? Nutzt Emily ein tragisches Geheimnis, das ihr in den Schoß fiel, um dem unglücklichen Inspektor zu schaden, bevor er sie dingfest macht?

The Devil's Men will der Statik vorgefertigter Adventure-Schablonen "auf Wiedersehen!" sagen und euch eine Portion mehr Autorenschaft über Figuren und Handlungsverlauf überantworten. Es ist ein Gedanke, der vergleichbar ist mit Telltales The Walking Dead, nur dass Daedalic die Rätsel nicht vergisst. Tatsächlich soll man die klassischen Adventure-Puzzles auch auf verschiedene Arten bewerkstelligen können. Nicht nur das, welchen Weg ihr wählt, das nimmt auch Einfluss auf die Charakterzeichnung: In der vorgespielten Eröffnungsszene wird Emily vom barschen Diebeskollegen Will begleitet.

Emilys und Adelaides Interessen verhalten sich teilweise gegenläufig zueinander.

Die beiden sind nach einem Raubzug auf der Flucht vor dem Gesetz und nun vorerst in einem verfallenen Weltausstellungsgebäude gefangen. Da der Egomane neben euch aber eure Autorität als ranghöherer Langfinger nicht akzeptiert, mischt er sich mit Vorschlägen in die Planung der Flucht ein. Es bleibt nun euch überlassen, ob ihr die zerrüttete Treppe oder den zugerosteten Fahrstuhl wieder in Gang setzen wollt. Laut Mentz an und für sich noch keine bedeutsame Entscheidung - dadurch dass Will aber einen Machtkampf mit euch angefangen hat, steht nun etwas auf dem Spiel: Macht ihr, was ihr wollt, oder gehorcht ihr dem Blondschopf mit den schlechten Manieren? Schon mit der ersten Szene beginnt man also, den Grundstein für die weitere Beziehung dieser beiden untereinander zu legen. Ob sie noch zu Freunden werden oder gar zu erbitterten Widersachern, das liegt ich eurer Hand.

In Sachen Rätseldesign gibt es einen weiteren Interessanten Kniff: Fünf Dietriche hat Emily im Gepäck und diese Schlossknacker sind eine unwiederbringliche Ressource. Nutzt ihr einen, um eine Kiste, eine Tür oder dergleichen schneller zu öffnen als auf dem vorgesehenen längeren Lösungsweg, ist er weg und bleibt das auch. Dazu kommen hübsche Skizzen in den Notizbüchern der Heldinnen, die ein etwas eleganteres Hilfesystem abzugeben scheinen, als man es aus modernen Adventures gewohnt ist. Es ist ein eleganter Spagat zwischen vertrauten Elementen und neuen Impulsen, die The Devil's Men zu einem so attraktiven Spiel machen.

Als Autorenkollege Matthias Grimm vergangenen Monat mit einem Genre abrechnete, das sich im Schatten von Lucas Arts selbst abzuschaffen droht, hätte ihn die Kenntnis um The Devil's Men vermutlich ein wenig versöhnt. Es ist ein Adventure mit Ambitionen, die weit darüber hinausgehen, denjenigen ein Auffangbecken zu bieten, die sich nach der guten alten Zeit zurücksehen. Es ist ein Spiel mit Blick nach vorne, von einem Studio, das weiß, dass es dieser Gattung interaktiver Unterhaltung viel zu verdanken hat. Fast meint man, Daedalic wolle sich mit The Devil's Men nun bei "seinem" Genre revanchieren. Eine schöne Geste, keine Minute zu früh.

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