Gears of War 4 angespielt: Rückbesinnung auf alte Werte
Mehr Gears geht nicht. Wie klingt das für euch?
So sieht sie also aus, die Rückkehr der Marke, die wie wenige andere das Antlitz der letzten Konsolengeneration prägte. Nach Gears waren Cover-Shooter auf einmal überall. Das Ende der Trilogie ließ aber zunächst nach hinten raus wenig unmittelbaren Platz für Fortsetzungen und so erschien mit Judgment ein kontroverses Prequel, das die Leute mehrheitlich kalt ließ. The Coalition zog seine Lehren daraus, will Dinge zurückbringen, die sie für die Reihe für unabänderlich hielten. Als Rod Fergusson auf dem Multiplayer-Event in London das Spiel vorstellt, sagt er: "Judgment fühlte sich nicht wie Gears an".
Er meint damit das höhere Tempo, die veränderte Mannstoppwirkung einzelner Waffen, das im Mehrspielermodus fast komplett gestrichene Down-but-not-out-System und eine Steuerung, die mehr in Richtung Ego-Shooter zielte. Selbst Active Reload interpretierte Judgment anders und entfernte sich damit recht weit von der ursprünglichen Formel. Ich bin nicht ganz sicher, wie oft. Aber ich höre es an diesem Tag sehr häufig: "Wir wollen, dass die Leute sagen, 'Hey, das fühlt sich wie Gears an.'" Und ja, nach vielen Partien in den zwei Mehrspielermodi, einem losen Team Deathmatch und dem neuen, sehr spaßigen Modus Dodgeball kann ich sagen: Operation gelungen. Viel näher ans Gefühl des dritten Teils kommt man nicht ran. Klingt das für euch nach einem guten Deal, braucht ihr im Grunde nicht weiterzulesen und könnt euch auf die Veröffentlichung am 11. Oktober freuen. Da wird nicht mehr viel schiefgehen.
Aber - und das merkt man auch - die Zeit ist eben nicht stehen geblieben. Nicht für diese Marke und schon gar nicht für den Rest der Spielewelt. Das klebrige Deckungssystem muss immer noch ohne Übergänge auskommen. Will man sich etwa um eine Ecke herumducken - geht nicht. Man muss seine Deckung verlassen und sich von der anderen Seite an die gewünschte Wand erneut heransaugen. Sicher, das gehört zum Gears-Gefühl ebenso dazu wie das geradezu scheuklappenartig schmale Blickfeld. Es ist fast unmöglich, Leute zu sehen, die auf Schulterhöhe einen Meter neben einem schon die Kettensäge anwerfen. Ich fühle mich wie 2011, beinahe nostalgisch in eine einfachere Ballerzeit zurückversetzt.
Keine Frage: Ich habe an diesem Tag eine Menge Spaß, was nicht zuletzt an den schön matschigen Gewalteffekten und geradezu lächerlich brutalen Ragdolls bei Explosionen liegt. Ohne ungelenke Momente, wenn ich im Ducksprint mal wieder an der Deckung vorbeirenne oder plötzlich einem feindlichen Fleischklops im Quasi-Nahkampf gegenüberstehe und keiner von uns weiß, ob Zeit ist, zur Schrotflinte zu wechseln, oder man sich lieber hinter die nächste Ecke verdrücken soll, geht das aber nicht vonstatten. In der Zeit, seit man das letzte mal Gears spielte, ist einiges passiert. Man wird sich umgewöhnen, beinahe zurückentwickeln müssen, will man nach einem The Division mit seinem perfekten Deckungssystem, nach einem hochmobilen CoD: Advanced Warfare oder nach der klassenbasierten Diversität eines Rainbow Six: Siege wieder in die alten, geradezu zwanghaften Metzelmuster zurückverfallen.
Hier geht es um derben Gewaltquatsch mit Gesetzmäßigkeiten, die ursprünglich mal auf einer sehr realistischen Idee fußten - ohne Deckung bist du Hackepeter - und dann im Sinne des Stils und eines stringenten Regelwerks zunehmend darauf pfiff, sich von der ersten Idee ausgehend wirklich weiterzuentwickeln. Versteht mich nicht falsch: Das ist auf erfrischende Art und Weise primitiv. Aber die ersten Matches hier stellte sich jeder einzelne der gestandenen Spieleredakteure an diesem Tag wie der letzte Hirni an, wenn ich das mal so salopp sagen darf. Das täuschte aber nicht darüber hinweg, dass in diesen Partien regelmäßig laut hörbar gejubelt, gebrüllt und abgeklatscht wurde.
Team Deathmatch - geschenkt. Kennt jeder. Funktioniert hier dank der klassisch gehaltenen, aber griffigen Systeme gut. Neu ist im Nahkampf, dass man nun Nackte-Kanone-artige Blindfire-Schusswechsel von zwei Seiten derselben Deckung durch ein System namens Yank-and-Shank ersetzt hat, bei dem man einen Gegner über das Hindernis ziehen und ihm dann in einem schmalen Zeitfenster mit dem Messer den Rest geben kann. Weitere Ergänzung zu diesen Close-Cover-Combat-Mechanismen: Der Vault-Kick, bei dem man mit gestrecktem Bein voraus über die Deckung prescht (auch hier folgt ein kurzes Zeitfenster, um den Gegner zu messern), man erhält sogar einen kleinen Geschwindigkeitsboost, was dazu anregt, ihn in der Fortbewegung häufiger einzusetzen und seine Route durch die Map entsprechend zu planen.
Nett, wenngleich schon bekannt ist die Röntgensicht, die einem verrät, wo welche Waffen liegen, legt sie von Anfang an allen Spielern die gleichen Karten auf den Tisch. Frühes Objekt der Begierde ist die neue Dropshot, eine zweckentfremdete Bergbauwaffe, mit der man Explosivgeschosse abwirft und durch Loslassen des Triggers bestimmt, wann sich der Sprengsatz in die Erde fressen soll. So überwindet man Deckung und richtet im Rücken verbarrikadierter Feinde massiv "Splash Damage" an. Cool und in der Handhabung eine Herausforderung, die über das bloße Zielen hinausgeht. So etwas mag ich.
Am blubberndsten kochten aber die Gemüter auf, als es auf denselben drei Karten in den neuen Dodgeball-Modus ging. Der basiert auf der Idee des Völkerball aus dem Sportunterricht: Die Anzahl der Leben ist begrenzt, wer stirbt, fliegt raus und darf nur mehr als Zuschauer dabei sein - bis sein Team einen Gegner ausschaltet. Daraufhin steigen getötete Mitspieler wieder in die Partie ein. Es ist im Grunde das gleiche Spiel, aber doch ein im Rhythmus vollkommen anderes Tauziehen, das hier stattfindet. Komplette Wipes in 60 Sekunden gab es ebenso wie Kantersiege, nachdem man ein eins gegen drei noch drehen konnte. Ein großer, irre gewalttätiger Spaß auf Basis einer simplen Idee, die gerne mehr Spiele bemühen dürften.
An den Rändern des Spiels sind vor allem die Betrachter-Tools wirklich toll: weiche, fast filmreife Kamerafahrten, wenn man den beobachteten Spieler wechselt. Kartenübersicht auf Tastendruck und allerlei weitere Sperenzchen machen das Warten auf den Respawn zu einer sehr involvierenden, geradezu unterhaltsamen Angelegenheit. Klar, dass damit schon der Grundstein für eine mögliche E-Sports-Zukunft des Titels gelegt werden soll. Aber so schön und stilvoll sind Spectator-Ansichten eigentlich nie. Ganz mit der Zeit will The Coalition ebenfalls bei Freischaltbarem gehen: Mit gewonnenem Spielgeld schaltet man Upgrades und Kosmetisches frei, das in Form eines Kartenpakets daherkommt - denn alles wird bekanntlich besser durch Karten -, wobei die leistungssteigernden Consumables im Gegeneinander nicht erlaubt sind.
Wie dem auch sei: Vier Seltenheitsgrade sollen einen Sammelsog erzeugen und ich kann mir gut vorstellen, dass das gelingt. Was ebenfalls zur Langlebigkeit des Online-Parts beitragen soll, ist eine andauernde Kartenrotation. Man will den Pool an Maps nicht unnötig überschwemmen, sondern die Größe der Auswahl möglichst konstant halten, manche Karten vorübergehend rauswerfen und dafür andere reinholen. So fragmentiert man die Spielerbasis nicht zu sehr und hält sich im Gerede - könnte ein cleverer Einfall sein.
Ein Flashback war es also schon und die ersten Runden musste man sich gewaltig durchbeißen, bis man wieder einigermaßen drin war. Aber dann passte das Getöse vor den Bildschirmen schon sehr gut zum Geschehen auf den Schlachtfeldern. Man merkt, das hier funktioniert auch fünf Jahre nach dem letzten vollwertigen Teil noch so gut wie einst. Jetzt ist nur die Frage: Ist in euren Augen der Zug für groteske Fleischberge-Ballereien abgefahren? Oder darbt ihr geradezu nach einem Spiel aus einer Zeit, als alles noch ein wenig einfacher schien? The Coalition hat diese Frage für sich bereits auf unmissverständliche Art beantwortet. Und wenn man so leidenschaftlich dabei ist, ist das für mich schon Existenzberechtigung genug.