Geheimakte 2: Puritas Cordis
Guter Glaube
3 mal 3 ergibt 9, 42 ist der Sinn des Lebens und die dritte Wurzel aus 58 ist irgendwas mit 3,87 und einem ganzen Haufen Nachkommastellen. Das sind knallharte Fakten. Ebenso unumstößlich ist es in unserem Zahlensystem, dass auf 12 die 13 folgt, soweit können wir dank Final Fantasy nun schon zählen. Doch irgendwo scheint in diesem Nummerngewirr ein Fehler zu stecken, denn im Nachfolger der Geheimakte Tunguska, der sich logischerweise Geheimakte 2 nennt, kann die Hobby-Rätselknackerin Nina Kalenkow plötzlich nicht einmal mehr 1 und 1 zusammenzählen.
Mal ehrlich, wenn der Barkeeper auf einem Luxusliner keine Ahnung von Cocktails hat, liebend gerne über die bevorstehende Apokalypse plaudert und nach dem Tod einer Passagierin auf der Krankenstation beim Ablegen einer Schiffsarzt -Verkleidung beobachtet wird, wüsste selbst ein gewisser Herr Threepwood, wen er über die Planke schicken sollte.
Der Enthüllerin der Tunguska-Akte hingegen können diese Hinweise nicht die Augen öffnen. Sie wirft stattdessen ein paar vage Fragen in den Raum, die, angesichts der überdeutlichen Situation, mehr lächerlich als atmosphärisch wirken. Und auch an anderer Stelle mangelt es an dem gewissen Funken Authentizität. Kaum an Bord und bereit für eine entspannende Kreuzfahrt bemerkt die Dame mit der feurig roten Mähne, dass ihr Koffer vertauscht wurde. Für die Suche nach diesem lässt sie zwar ihre Handtasche links liegen, nimmt aber bereitwillig einen einzelnen Rollschuh mit und stopft sich provisorisch zudem noch ein großes Paddel ins Inventar. Das Täschchen wird ihr kurz darauf übrigens gestohlen. Selbst Schuld, Madame!
Unter solchen Ungereimtheiten leidet die in den ersten Spielminuten gekonnt aufgebaute Stimmung. Hier begleitet Ihr für kurze Zeit das Schicksal des Bischofs Perry, dem von einem ermordeten Kollegen ein geheimes Pergament übermittelt wurde. In düsteren Kirchengemäuern schlägt der Bischof somit das erste Kapitel der Geschichte um die dubiose Sekte Puritas Cordis und deren Vorhersagen zu kommenden Naturkatastrophen auf und bemerkt gerade rechtzeitig, in welcher Gefahr er sich befindet.
Dabei bekommt Ihr einen guten Eindruck von den neuen Lichteffekten, die in diesem Abschnitt das nötige Flair vermitteln und sorgt mit zwei simplen Aufwärm-Rätseln dafür, dass das Dokument nicht in die falschen Hände gerät. Im weiteren Spielverlauf ist für die Lösung der Knobeleien selbstverständlich immer mehr Kreativität erforderlich. Die Kritik zum Vorgänger hat man sich aber anscheinend zu Herzen genommen, denn so vertrackt und exotisch wie manche Rätsel aus dem Vorgänger sind die Denkaufgaben, zumindest in der Preview-Version, nicht. Da wäre zum Beispiel ein Problem, mit dem Ninas männlicher Gegenpart Max zu kämpfen hat. Er will einem zutraulichen aber viel zu flinken Affen durch den dichten -und im Übrigen sehr schön in Szene gesetzten- Dschungel Indonesiens zu einem verborgenen Tempel folgen.
Um dessen Fährte besser aufspüren zu können, kocht Max aus Hibiskusblüten und mit etwas Wasser aus dem nahen Fluss kurzerhand eine rote Pampe, mit der er eine Papaya einfärbt. Der Primat mampft die leckere Frucht mit Freuden, schmiert sich dabei die Hände mit der Farbe ein und hinterlässt bei seinem nächsten Ausflug dadurch leicht zu sichtende Spuren. Und sollte es beim Entschlüsseln der Lösungen doch einmal Probleme geben, lassen sich auch weiterhin die jeweiligen Hotspots anzeigen und spezielle Hinweise aus dem Tagebuch extrahieren.
Einen anderen Mangel des Vorgängers konnte man allerdings nicht ausmerzen. Die Protagonisten bewegen sich noch immer recht ungelenk und auf Lippensynchronität wurde bei den Dialogen offensichtlich auch kein großer Wert gelegt. Bei so vielen lebendigen Besenstielen fühlt man sich zwischenzeitlich fast schon wie Goethes Zauberlehrling. Ein Umstand, der bis zum Release wohl kaum ausgebessert wird, nach etwa einer Stunde Spielzeit jedoch ohnehin nur noch vereinzelt wahrgenommen wird, weil das Gehirn zu sehr mit den ausstehenden Rätseln beschäftigt ist.
Etwas ärgerlicher ist da der weitestgehend platte Humor. Ninas Sticheleien sitzen in der vorliegenden Version nur selten und können meist nur für ein kleines Schmunzeln sorgen. Das breiteste Grinsen rufen hingegen zwei bedrohliche Gestalten hervor, die sich in einer kurzen Szene plötzlich mit Biggs und Wedge anreden.
Doch ganz egal, welche Kanten man bei Fusionsphere Systems noch abrundet, die logische Rätselstruktur steht und konnte schon jetzt für freudig funkende Nervenzellen sorgen. Außerdem hat das deutsche Studio mit dem ersten Abschnitt bewiesen, dass sie durchaus in der Lage sind, für eine intensive Atmosphäre zu sorgen. Lässt sich hoffen, dass Ninas merkwürdige Kreuzfahrt diesbezüglich nur ein kleiner Ausrutscher war. Ein bedeutendes Fragezeichen bleibt bis zur Sichtung der finalen Version jedoch in jedem Fall bestehen. Denn ob sich der Plot rund um die Puritas Cordis im weiteren Spielverlauf windungsreich entfaltet oder nur zu einem Dan Brown-Abklatsch verkommt, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen. Die Erwartungen sind zweifellos hoch, also bitte werte Entwickler, enttäuscht uns Adventure-Freunde nicht.
Die Gehirne dürfen vorerst noch abgeschaltet bleiben, spätestens zum 29. August sollten die Synapsen aber wieder einsatzbereit sein.