Ghost of Tsushima: Das Japan-Assassin's-Creed, das wir immer wollten?
Samurai reisen mit leichtem Gepäck.
Man kann Ubisoft nicht vorwerfen, ihren Fans nach dem Mund zu reden. Wie lange sehnt sich die Assassin's-Creed-Community schon einen Serienableger herbei, der im Land der Ninja und Samurai spielt? Es ist sicher einer der frühesten Szenariowünsche gewesen, seit die Reihe im Nahen Osten ihren Anfang nahm. Und ja, mir ist bewusst, dass die Templer, auf die die Spiel-Assassinen eine Reaktion sind, derart weit im Osten irgendwie nicht so recht hinpassen mögen.
So gerne ich die Reihe auch den Sprung dorthin wagen sehen würde, den Entwicklern ist es im Grunde hoch anzurechnen, wenn sie ihre Spielfiktion nicht weiter strapazieren möchten - sofern das der Grund ist - als nötig. Ein bisschen schade ist es dennoch. Assassinen und Ninja - das würde eigentlich bestens passen. Aber nun denn, jetzt geht es für Assassin's Creed Valhalla erstmal nach Skandinavien und ich bin schon gespannt, wie die Reihe das beliebte Parkour-System auf eine Gegend anwenden will, in der gemeinhin architektonisch nicht so hoch gestapelt wurde.
Was Kurosawa-inspirierte Open-World-Abenteuer angeht, springt zum Glück demnächst ein anderes Spiel in die Bresche: Sucker Punchs und Sonys Ghost of Tsushima sieht schlichtweg umwerfend aus. Auch wenn es sich allem Anschein nach auf viele vertraute Elemente verlässt und nicht vorzuhaben scheint, die Art, wie wir offene Welten erleben, komplett umzuwälzen, wirkt es wie ein Spiel fürs Heute, ja, eigentlich wie ein längst überfälliger Titel. Auch wegen des Eiertanzes, den Ubisoft um dieses spezielle Szenario herum aufführt.
Tatsächlich wirkt Tsushima mit seinem Fokus auf Heimlichkeit und Fragezeichen-gefüllten Weltkarten so nah am Gefühl eines Assassin's Creed, dass ich mir nicht sicher bin, ob Ubisoft dieses Setting hiernach nicht so langsam endgültig von seiner formlosen Ideenliste für kommende Serieneinträge streichen müsste. Ghost of Tsushima kann das egal sein, Sucker Punch macht ohnehin sein eigenes Ding und das, was man bisher sah - zuletzt in einer ebenso umfassenden wie aufschlussreichen Gameplay-Demo von Sonys State of Play -, macht bei allem strukturellen Wiedererkennungswert so viel richtig, dass man auch das letzte Bisschen Sommerloch jetzt schon geschlossen wähnt.
Zumal sich Ghost of Tsushima wohl auch der erdrückenden Last einer Zielmarker- und durch typisierte Kartensymbole gestützten Erkundung von vorneherein entledigt. Der Wind weist euch den Weg zu dem Ort von Interesse, den ihr auf der Karte ausgewählt habt. Ihr müsst euch nur noch von eurer Neugierde dorthin treiben lassen und sehen, was euch erwartet. Ganz ohne Nebenaktivitäten von der Stange wird es nicht gehen, sofern uns nicht eine ganz gewaltige Überraschung bevorsteht. Aber den Spieler von in der Spielwelt verankerten Augenfälligkeiten durch das Erlebnis zu locken, ist ein cleverer psychologischer Trick, der uns viele der zur Verfügung stehenden Aktivitäten neu bewerten lassen dürfte, anstatt uns schon vorab mit Missionsdeklarationen vorzukauen, was wesentlich ist und was nicht. Und ich will nicht unterschlagen, was für eine wunderbare Poesie darin liegt, den Wind als zentralen Wegweiser durch das Abenteuer zu verwenden.
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Eine andere Sache, die mir an Assassin's Creed immer gefiel, die die Reihe aber nie meisterte und schließlich aus dem Konzept kippte, war die Idee absolut tödlicher Klingen: Der Gedanke, dass viele Kämpfe im Grunde schon mit dem ersten Schwertstreich vorbei sein müssten. Ihr erinnert euch: AC hatte immer diese unfassbar schlimmen, aber immens unterhaltsamen Exekutionen, wenn man im richtigen Moment eine Attacke parierte. Spielerisch war das leider bis zum Schluss extrem flach, aber der Grundgedanke war fantastisch. Mir flößte das wieder einen Respekt vor Klingenwaffen ein, den mir all die Games, in denen man selbst mit einem Zweihänder lediglich eine Energieleiste runterprügelte, über die Jahre schmerzlich abtrainiert hatten. Tsushima greift das auf, auch wenn man dabei mechanisch eher auf Bushido Blade schaute: Abwarten, Beobachten und im richtigen Moment zuschlagen und man geht mit minimalem Kraftaufwand unangetastet durch seine Feinde. Was könnte cooler sein, zumal in diesem Szenario?
Sucker Punchs Nate Fox betont in Interviews immer wieder, dass das Kampfystem sehr fordernd sein soll und schon wenige Treffer zum Tode führen sollen. Für einen Open-World-Titel wäre das eine ungewöhnlich steile Lernkurve und auch das ist etwas, was Assassin's Creed in der Vergangenheit nicht immer optimal hinbekam. Wer erinnert sich noch an AC3, als das Tutorial gefühlt bis in die Mitte der Kampagne noch Dinge haarklein vorkaute, die man seit einem halben Dutzend Spiele schon aus dem Effeff kannte? Mittlerweile gelingt Ubisoft das sehr viel besser, aber die Spielerprogression konzentriert sich durch die zahlreichen RPG-Elemente eher in die Breite. Sollte Tsushima, wie es aktuell aussieht, Spielern rein kampfmechanisch mehr zutrauen, ich würde das sehr begrüßen.
Die Geschichte eines ehrenwerten Samurai, der die Belagerung seiner Heimat durch die Mongolen mit immer ruchloseren Methoden brechen will, ist unterdessen nicht nur spielerisch interessant: Sicher, der Wechsel zwischen Samurai- und Ninja-Spielstilen wirkt sinnig und fesselnd, aber es spricht auch für eine düstere, persönlichere Charakterreise, die sich nicht groß einer Jahrhunderte umspannenden Verschwörungserzählung unterordnen muss. Und das ist vermutlich besser so: Mir hat Assassin's Creed Origins den Glauben an die Reihe zurückgegeben und ich freue mich auf Valhalla, denn was außer Ninjas immer geht, sind nun mal Wikinger. Und doch bin ich irgendwie froh, dass sich mit Sucker Punch jemand ins Land der aufgehenden Sonne wagt, der nicht all den mythologischen Ballast von dreizehn Jahren Serienhistorie mit dorthin schleppen muss. Samurai reisen mit leichtem Gepäck.
Entwickler/Publisher: Sucker Punch/Sony Erscheint für: PS4 - Geplante Veröffentlichung: 17. Juli 2019 - Angespielt auf Plattform: -