Google Stadia - Gelungenes Streaming, aber sind das wirklich alle Spiele?
Die Technik kann es (größtenteils), jetzt fehlt nur noch ein Spiele-Raison-d'Être
Nachdem die Revolution des Gamings ein paar Tage extra in einer Kiste lag, musste es jetzt schnell gehen. Nun, es "musste" nicht unbedingt, aber ich wollte sehen, wie bequem Google Stadia ist. Schließlich muss keine Konsole sich erst mal initialisieren, updaten oder Spiele installiert werden. Einstecken, einrichten, los geht es. Wie lange also dauert dieser Vorgang?
17 Minuten und 23 Sekunden
Die Antwort ist: Erstaunlich kurz. Vom Öffnen der Box bis zu dem Moment, in dem ich Destiny 2 zu spielen begann, vergingen gerade einmal 17 Minuten. Dazu muss man natürlich sagen, dass ich einen Google-Account und einen PayPal-Account habe, ein Android-Handy nutze und mit diesem auch gut vertraut bin. Wenn das nicht der Fall ist, dann kommen hier und da sicher noch mal ein paar Minuten dazu.
Der Akt der eigentlichen Hardware war dabei erstaunlich unspektakulär. In der Kiste findet ihr einen Google Chromecast Pro, ein Netzteil dafür, den Controller und für den auch ein Netzteil. Chromecast selbst braucht einen Micro-USB, der Controller einen USB-C, es sind also Standard-Netzteile und Kabel. Den Chromecast steckt ihr an einen HDMI-Eingang, verbindet ihn mit dem erfreulich langen Netzkabel und dann nehmt ihr euer Android-Handy in die Hand. Oder iPhone, die für Chromecast und Stadia nötigen Apps gibt es für beide Plattformen.
Auf dem großen Screen wird angezeigt, dass ihr auf die Seite mit chromecast.com/setup gehen sollt, wo ihr dann durch einen sehr gestreamlinten Prozess euren Google-Account mit dem Chromecast verbindet und nach ein paar Minuten ist das erledigt. Dann werdet ihr im App-Store weitergeschickt, zur Stadia-App. Diese ist ebenfalls recht eigenständig darin, sich mit dem Chromecast zu verbinden und euren Account zu nutzen und so ist das alles nach ein paar Minuten durch. Das war auch schon das ganze Setup.
Latenzzeiten (Gemessen mit Hochgeschwindigkeitskamera bei Digital Foundry) | Xbox One X | Stadia | Difference |
---|---|---|---|
Destiny 2 | 100ms (30fps) | 144ms (60fps) | +44ms |
Mortal Kombat 11 | 78ms | 122ms | +44ms |
Shadow of the Tomb Raider 60fps | 83ms | 139ms | +56ms |
Shadow of the Tomb Raider 30fps | 167ms | 217ms | +50ms |
Gylt | N/A (Stadia Exclusive) | 139ms | - |
Auf eurem Handy läuft jetzt die Stadia-App, auf dem großen Screen tut sich noch nicht viel. Wer es gewohnt ist, mit dem Controller auf dem TV alles zu steuern, muss hier ein wenig umdenken. Erst mal müsst ihr Stadia mit einem Key aktivieren, den bekommt ihr auch ohne Probleme. In meinem Falle bekam ich einen "Deluxe"-Key, den Founders-Key, der mir drei Monate Stadia Pro freischaltet. Aber, nach dem Motto, dass man immer für die Zukunft planen muss, musste ich per PayPal oder Kreditkarte die Bezahlung der Verlängerung des Abos sichern. Sollte ich also in diesen drei Monaten nicht kündigen, werden gleich weiter e10 Euro pro Monat abgebucht.
Was das "Pro" bedeutet, dazu später mehr im Detail, erst einmal ist wichtig, dass ich auf der eigentlichen App-Oberfläche angekommen bin. Als Pro-User bekomme ich aktuell Destiny 2 und Samurai Shodown geschenkt. Seltsame Wahl, aber okay. Ich musste also nur Destiny antippen und es war startbereit, ansonsten hättet ihr aus der derzeit noch recht mageren Auswahl ein Spiel aussuchen und kaufen müssen, ansonsten wäre hier nämlich eurer Stadia-Erfahrung erst mal beendet. Umsonst gibt es aktuell noch nichts.
Jetzt muss noch der Controller gekoppelt werden, was eine Eingabe des WLAN-Passwortes erforderlich machte. Während Chromecast sich die WLAN-Verbindung aus dem Handy holt, kann der Controller das scheinbar nicht. Danach updatet er sich erst einmal, weil, warum nicht, andere Controller machen das mittlerweile auch ganz gern und dann könnt ihr euer eines Spiel oder auch mehr, je nachdem, was ihr gekauft habt - starten. Das passierte auch brav sofort. 17 Minuten, 23 Sekunden von Kiste öffnen bis zum Spiel. Nicht schlecht.
Die Spielerfahrung
Aber was taugt das, habe ich jetzt eine Spielerfahrung, die genauso gut oder besser als auf einer der Konsolen ist? Was die Pflege des Spiels und die Verwaltung angeht, sicher. Destiny 2 hat seine 60, 70 Gigabyte, die muss ich nicht installieren und den Platz mit anderen Spielen managen. Ich muss keine Updates selbst laden, das wird im Hintergrund erledigt. Ich habe sehr kurze Ladezeiten, die sich weit mehr an einem schnellen PC als an einer Konsole orientieren. Sie sind nicht ganz weg, auch ein großer Server im Hintergrund, der aktuell noch viel Zeit haben dürfte, muss ein wenig was tun. Aber es ist schon sehr komfortabel.
Der entscheidende Moment aber ist natürlich der, in dem der Controller Eingaben schicken muss und das Spiel reagieren soll. Und das war wirklich relativ beeindruckend. Sicher, die Streaming-Technik ist heute kein Hexenwerk mehr, aber trotzdem, Destiny, wie auch danach Mortal Kombat, Tomb Raider und Samurai Shodown de facto ohne Eingabelag zu spielen, in dem Wissen, was technisch passiert, ist der Erwähnung wert. De facto heißt aber nicht gänzlich ohne. Etwa 50 Millisekunden attestiert Digital Foundry und man merkt sie. Ich habe alle vier Spiele parallel auf der Xbox laufen lassen und ich würde sagen, dass man es nicht merkt, wenn man den Vergleich nicht hat - sinnvoll, ich weiß. Was ich damit meine ist, dass er beim Spiel nicht stört, keines der Spiele wurde dadurch wirklich schlechter, selbst Mortal Kombat kann, wenn ihr nicht auf Turnier-Level spielt, 50 Millisekunden vertragen. Es fühlt sich einfach nur einen Ticken besser an, wenn ihr es installiert habt und direkt spielen könnt. Streaming ist weit gekommen, aber ganz identisch ist es dann halt doch noch nicht.
Was dagegen schon schick ist, wenn man vom Destiny 2 auf der Xbox überwechselt, sind die 4K mit 60 Frames. Das HDR ist satt, das Spiel sieht einfach gut aus und es läuft absolut flüssig. Aber ist alles 4K? Nun, bei Tomb Raider dürft ihr wie auf der Konsole wählen, ob ihr Tempo oder Schönheit haben wollt und bei Tempo sind es dann auch die 60 Frames, aber mit deutlich weniger Feinheiten. Red Dead Redemption muss dann als der aktuellste Titel auch ein wenig tricksen. Wie Digital Foundry berichtet, wird das Spiel im Gegensatz zu den anderen beiden nicht in 4K, sondern in 1440p gerendert und dann in 4K ausgegeben. Dazu läuft es scheinbar auch mit 30 Frames, aber am Ende ist das kein Beinbruch. Der eher langsamere Spielablauf kommt dem kleinen Lag entgegen und die HDR-Schönheit geht auch in etwas niedrigerer Auflösung nicht unter. Wer die technisch beste Version haben will, kommt also nach wie vor um einen dicken PC nicht herum - welche Überraschung -, wer in Konsolenqualität, einfach installiert und mit kürzesten Ladezeiten spielen will, der wird hier glücklich.
Insgesamt bin ich erstaunlich zufrieden mit der generellen Spielerfahrung über Chromecast. Der kleine Eingabelag ist definitiv da, aber er hat jetzt meine generelle Freude an den Spielen nicht wirklich getrübt. Wer hier empfindlicher reagiert, sei allerdings gewarnt. Was die Feinheiten der Auflösung und der Details angeht: Für mich sehen die Spiele so gut wie oder besser als auf der Xbox One X daneben aus, wer ins Digital-Foundry-Detail gehen will und Wert auf diese Details legt, der wird genug finden, wo Stadia eben noch nicht ganz die Königsklasse des Gamings in Sachen Technik ist. Aber wie gesagt, einfach beim auf die Couch fallen lassen und zocken hat mich das jetzt nicht gestört.
All das hat natürlich einen kleinen Haken und gilt unter einem Vorbehalt: Welche Leitung habt ihr? Ich habe hier mit einer 100 Mbit Down / 40 Mbit Up Leitung gespielt, die diese Werte auch meist stabil hält. Die Angaben von Google sind 35 Mbit+ für 4K60, 20Mbit+ für 1080p60 und mit an die 10 Mbit bekommt ihr immerhin noch 720p60, das dann aber nur in Stereo und ohne HDR. Persönlich würde ich sagen, dass sich jeder mit einer Leitung, die stabil die Hälfte der Werte meiner eigenen bringt, keine Sorgen machen muss, ob es gut läuft. Alles darunter ist dann unweigerlich mit Einbußen verbunden.
Das Angebot im Stadia-Shop
Während der Installation habe ich es ja schon angesprochen, hier noch mal ausführlich: Wer einen Shop wie Steam oder selbst Epic erwartet, wird enttäuscht sein. Gerade mal um die 30 Titel sind es und recht wenig Neues. Ihr habt Assassin's Creed: Odyssey, Red Dead 2, die drei Tomb Raiders, das letzte Trials, Rage 2, NBA 2K, Mortal Kombat, Metro Exodus, den neuen Landwirtschaftsimulator, Grid, Final Fantasy XV, eine Handvoll Indies wie Super Hot oder Thumper. Das war es auch schon. Baldur's Gate 3 ist leider noch nicht fertig. Eine kleine Auswahl ist kein Problem, wenn ihr die Spiele noch nicht kennt, aber das hier sind sehr bekannte Titel aus den letzten Monaten und die Chance, dass ihr die Sachen, die ihr kennen möchtet, bereits gespielt habt, ist sehr hoch.
Die Auswahl ist schon nicht ideal, aber auch die Preise geben jetzt keine großen Anreize. Alle Spiele sind maximaler Vollpreis. Rage 2, Red Dead 2, Tomb Raider 3, Mortal Kombat liegen bei 60 Euro, Metro und Final Fantasy immerhin nur bei 40, Grid allerdings sogar bei stolzen 70. Wer hier auf Preisnachlass hoffte, weil er es nicht mehr "besitzt" - nicht, dass das der Fall bei Steam wäre, wenn man mal die AGBs überfliegt, aber egal -, der liegt falsch. Ihr kauft hier den Zugang zu den Spielen, wie ihr Filme bei Amazon kauft: Zu einem oft genug höheren Preis als wenn ihr euch die Blu-ray nach Hause schicken lasst. Ihr zahlt hier auch für Bequemlichkeit.
Wie weit Stadia Pro das abmildert, wird sich zeigen. Für zehn Euro im Monat bekommt ihr aktuell wie gesagt Destiny 2 und Samurai Shodown. Dazu gibt es eine Reihe von Angeboten für Pro-Kunden. So zahlt ihr für Odyssey 35 Euro, Metro Exodus bekommt ihr für 20, das erste Tomb Raider Reboot für einen Zehner und Final Fantasy für 30. Ist okay, wenn man ein oder zwei Spiele im Monat kaufen möchte, das rechtfertigt die zehn Euro für Pro dann schon. Aber ein Killer-Service, der die Leute von ihren gewohnten Plattformen weglockt, sieht trotzdem anders aus.
Stadia - Die Technik ist fast da, der Service hat noch viel vor sich
Sicher, Technik-Enthusiasten und Frames-Zähler werden mit Stadias Technik derzeit noch nicht gänzlich glücklich sein, auch wenn selbst ihnen die Leistung, 4K60 mit nur einem kleinen Lag auf den Screen streamen zu können, ein klein wenig Anerkennung abringen sollte. Wenn ihr mit technischen "Mängeln" leben könnt, in der Lage seid, diesen kleinen Lag auszublenden oder gar nicht erst merkt, dass er da ist, dann ist der Komfort schon ein echter Bonus. Keine Lüfter, kein großer Stromverbrauch auf meiner Seite, keine Updates installieren, bevor ein Spiel überhauptmal startet oder auch nur das Spiel runterladen. Superkurze Ladezeiten und schicke 4K. Das macht schon echt Spaß. Und außerdem sind wir ja erst am Anfang.
Das größte Problem ist derzeit noch der Store. Stadia Pro ist jetzt sicher kein Lockangebot, das die Massen anzieht und endlos weit vom "Neflix für Spiele" entfernt, was es offensichtlich auch aktuell gar nicht sein will. Da wird einem bei der Konkurrenz schon deutlich mehr geboten. Und das gilt auch für das generelle Angebot. Die 30 Titel bekommen in nächster Zeit sicher noch Zuwachs, aber trotzdem ist das schon ausgesucht mager, daran ändert ein Highlight wie Red Dead 2 herzlich wenig. Gerade Enthusiasten-Gamer werden fast alles schon kennen oder wollten es nie spielen. Und schließlich ist da noch das bei vielen ungute, wenn auch eigentlich nicht ganz rationale Gefühl, dass es doch eigentlich nicht sein kann, Vollpreis zu zahlen, ohne das Spiel danach zu "besitzen". Ein milderes Preisangebot hätte das vielleicht abgefedert, war aber wohl vielleicht nicht im Sinne der Publisher, zumindest für den Moment.
Man darf aber auch nicht vergessen und vor allem, wenn das Spieleangebot sich hoffentlich bald verbessert: So billig - 130 Euro, bestellbar hier - bekommt ihr 4K60 sonst nicht auf den Screen. Eine Xbox One X, PS4 Pro oder selbst ihre kleinen Varianten sind deutlich teurer. Stadia ist ein im Lebendbetrieb geglückter Proof of Concept für Streaming-Games. Das ist kein schlechter Start.