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Gran Turismo 5

Kann so viel Perfektion gesund sein?

Autos sind eine Sache, ohne Strecken sind sie nicht viel wert. Und wiederum zeigt sich eindrucksvoll, dass Yamauchi nicht nur in den Showrooms von Ferrari und Co. abhing, sondern auch unendlich viel Arbeit in den Feinheiten der Welt von Gran Turismo steckt. Madrid, Toskana, Nürburgring, der Rundkurs in Rom, man kann sich vorstellen, wie Yamauchi diese Orte millimetergenau vermaß, sie katalogisierte, an Kieselsteinen auf der Piste leckte, um das perfekte Feel für die Location zu bekommen, und sich dann ein Jahr einschloß, um von diesem Kiesel angefangen alles bis zur Perfektion in den Speicher der PS3 zu quetschen.

Während andere Spiele sich bei vielen Feinheiten der Landschaft darauf verlassen, dass es im Vorbeirauschen schon schön genug aussieht, geht Gran Turismo ein Risiko ein und lässt euch selber erkunden, ob die Herrlichkeit auch im Stillstand gewahrt bleibt. Ihr könnt stehen bleiben und das Auto verlassen. Anschließend aus der Ego-Sicht durch die Gegend streifen. Und das tun, wofür dieser Modus überhaupt erst vom größten Autonarren der Welt, Yamauchi persönlich, erdacht wurde. Fotos machen!

Ernsthaft, ihr sollt das Rennen Rennen sein lassen und Fotos von virtuellen Autos in virtueller Umgebung schießen. Wiederum, sobald ihr euch fragt, was das soll, seid ihr einfach nicht eins mit dem Mindset dieses Japaners. Er wird euch für diesen speziellen Zweck sogar zwei verschiedene Foto-Modi schenken.

Das einzige, was hier unrealistisch wirkt, ist die offensichtliche Güte der Putzkolonne.

Der erste ist ein gewohnter für Schnappschüsse der üblichen Sorte, der andere die besagte Möglichkeit, das Fahrzeug zu verlassen und den besten Winkel ever zu finden. Dafür gibt es dutzende Möglichkeiten zum Zoomen, Drehen, Filtern und Belichten. Wahrscheinlich ist es leichter eine, Digi-Spiegelreflex zu erkunden als alle Varianten dieses Modus auszuschöpfen. Befremdlich, freakig, jenseits dessen, was ein Rennspiel traditionell ausmacht? Ja, auf jeden Fall. Trotzdem sehr, sehr schön.

Das heißt aber nicht, dass man über all die Detailwut den Rest aus dem Blick verloren hätte. Dieses Spiel lenkt sich traumhaft, es fühlt sich einfach so an, wie sich ein Rennspiel anfühlen muss. Besser als Forza 3? Das kann erst ein langer Vergleichstest zeigen. Aber man muss sich keinerlei Sorgen machen, dass in dieser Richtung am Ende irgendetwas gar nicht passt. Schön wird es jedenfalls auch beim Fahren werden, was hochgeschleuderte Steinchen, Staub-Licht-Effekte, Sonnenauf- oder Untergänge während der Rennen und viele Feinheiten wiederum eindrucksvoll demonstrierten.

Eine nach wie vor und bereits bekannte Spielerei ist das Headtracking mit der Sony-Kamera. Es macht Spaß, den Kopf durch eines der hübschen Cockpits zu schwenken und da die Kamera ja nicht die Welt kostet, wird dieses Feature für den Moment sicher häufiger zum Einsatz kommen als die ebenfalls vorhandene 3D-Unterstützung von Gran Turismo 5.

Gerade als man dachte, dass einen Grafik nicht mehr groß beeindrucken könnte...

Online? Natürlich. Ohne Ende. Im Rennen sowieso, aber auch jenseits dessen in "My Lounge", was eine Art nette Umgebung für Freundeslisten, Chats und ähnliches darstellt. Eigene Rennen lassen sich genauso veranstalten wie es möglich ist, schon laufenden als Zuschauer beizuwohnen und den Fahrern sogar Nachrichten zu schicken. Ich bin mir noch nicht sicher, was ich von diesem speziellen Feature halten soll. Klingt eher hinderlich… So wie telefonieren am Steuer ohne Headset.

Davon abgesehen gibt es hier wenig, was wir nicht erwartet haben. Das einzig wirklich Überraschende ist der Fakt, wie sehr Yamauchi seine Autos liebt. Das kann nicht gesund sein. Aber uns soll es nicht kümmern. Das hier wird eines der besten Rennspiele – mit Chance auf den ersten Platz – unserer Zeit. Das Warten hat sich gelohnt. Und wer sagt, dass er all diese Details und Feinheiten ja nicht braucht, dass er lieber vor zwei Jahren schon den Zündschlüssel gedreht hätte, der muss akzeptieren, dass er nicht Yamauchi heißt, nicht den gleichen Traum von perfekten Polygonmodellen träumt und Sony ihm nicht alle Zeit und Geld der Welt lässt, diesen zu verwirklichen. Das ist neben der hohen Qualität des Endproduktes die schöne Erkenntnis an der Gran-Turismo-Präsentation: Es gibt zumindest noch ein paar Leute in der Branche, die ein Spiel fertigstellen dürfen. Wirklich fertigstellen. Egal wie verrückt uns allen die Definition dieses "fertig" erscheinen mag.

Stichtag 2. November 2010. In den USA. Mal schauen, wie weit Europa davon entfernt ist.

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