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Gran Turismo Sport hat viel zu beweisen - und will doch keine "Hardcore Simulation" sein

Ein gutes Drumherum rahmt alte Stärken ein, betont aber auch bekannte Ticks.

Vielleicht bin das nur ich, aber ich dachte für eine Sekunde, ich hätte mich verhört: GT Sport - der jüngste Teil der Rennspielserie, die einst auf den Untertitel "Real Driving Simulator" hörte, will "keine Hardcore-Simulation" sein. Diese Worte kommen in der Frage-und-Antwort-Runde im Anschluss an die Präsentation von GT Sport auf dem Nürburgring aus dem Mund des vielleicht prominentesten Autofetischisten dieser Branche. Was Kazunori Yamauchi da sagt, das ist aber nur auf das erste Hinhören ein Schrecken. Denn das Motto seines PS4-Debüts lautet schlichtweg "Driving is for everyone".

Und so fühlte es sich auch immer an, wenn man ehrlich ist: Bis hinunter zu der Lizenzen verteilenden Fahrschule ging es immer darum, möglichst viele Spieler mit Faible für die aufreizenden Kurven mal mehr, mal weniger exotischer Fahrgeräte ins Boot zu holen. Es war ein detailverliebtes Spiel mit einem aufreizenden Augenaufschlag gleichermaßen für spröde Familienfahrzeuge vom Band wie für handgeklöppelte Kotflügel aus Italien. Insofern versprühte Gran Turismo immer eine Idee mehr Leidenschaft für Autos als fürs Fahren an sich - und selbst dafür noch eine ganze Menge.

Der heilige Gral: Der Nürburgring. Kazunori Yamauchi fuhr an diesem Wochenende selbst das 24-Stunden-Rennen mit.

Warum auch nicht? Damit fängt schließlich alles an, nicht mit dem Drang, sich messen zu wollen und sich am Ende auf ein Siegertreppchen zu stellen. Das kann man auch in tausenden anderen Disziplinen. Gran Turismos Faszination ging schon auf der PSone von den Autos aus, die sich in den ersten wirklich fernsehübertragungsartigen Replays von ihrer besten Seite zeigten, und den Möglichkeiten, sie aufzurüsten. Es wundert nicht, dass auch GT Sport wieder lizenzbefeuerter Car Porn mit Klasse und großen Gefühlen sein soll. Also, "Keine Hardcore-Simulation"? Ja, das ist nur ehrlich, denn den harten Kern der Hobby-Rennfahrer, den fingen früher GTR und iRacing ab und heute eben Project Cars.

Dementsprechend präsentiert sich GT Sport einmal mehr von seiner luxuriösen und einsteigerfreundlichen Seite. Die insgesamt 117 Events der Offline-Kampagne beginnen wie gehabt mit Anfängerlektionen, erklären einem dann die Driving Etiquette - nach der in Rennen ebenfalls bewertet werden soll, danke! -, und stellen im weiteren Verlauf euer Können mehr und mehr auf die Probe. In vier Fahrzeugklassen will Polyphony 137 Autos in "Super-Premium-Qualität" liefern, was durchaus andeutet, dass es noch weitere gibt, die im geringeren Detailgrad vorliegen. Bestätigt wurde der zweite Halbsatz jedoch nicht. Einige dieser Autos nennt Polyphony "Vision"-Autos. Wagen realer renommierter Hersteller, aber in einer Spiel gewordenen Konzeptstudie der Japaner, die ihre Passion für die Designs mit spürbar viel Freude von der Leine ließen.

In 19 Locations fährt man 27 Streckenvariationen. Die Nordschleife ist dabei, Ehrensache, aber auch erstmals ein neu gestaltetes Halbmeilen-Oval namens "Northern Isle Speedway". Der "Tokyo Expressway" entführt auf 20 Kilometer bissig zu fahrender und zu Teilen übertunnelter Stadtautobahn. Brands Hatch wirft einen in die Achtziger zurück, als Nigel Mansell dort zwei Mal in Folge den Grand Prix einfuhr, bevor die Formel 1 weiterzog. Willow Springs lockt mit kilometerweiter Steppensicht in die USA und eine noch unbenannte Dirt-Strecke macht neugierig auf das neue und überarbeitete Fahrmodell.

Das Halbmeilen-Oval des Northern Isle Speedway.

Auf dem Event durfte ich nur die Nordschleife anspielen. Als ich mit dem bis an die Zähne getunten Z4 durch die grüne Hölle schieße, fallen direkt zwei Dinge auf. Erstens, Autofahren macht in Gran Turismo noch immer Spaß - gerade an der Grenze zum Kontrollverlust, wenn man mit einem Schlappen von der Strecke abkommt. Und zweitens, dass Yamauchi Recht hat, wenn er sagt, rein optisch wäre das Team erst bei 50 Prozent. Flackernde Maschendrahtzäune, unruhiges Laubwerk an Bäumen, einige Platzhalter-Vegetation und nicht ganz stabile Bildrate bestätigen schlicht, dass es bis zum Herbst noch ein paar Monate sind. Kein Beinbruch, aber für eine ausführliche Notiz in meinem Block reichte es doch.

Was sich leider bislang offensichtlich nicht geändert hat: Die Gegner KI ist immer noch eine Idee tranig gänsemarschig, auch wenn ich meine, sie immerhin bei dem einen oder anderen kleineren Fehler ertappt zu haben. Das wäre ein Schritt nach vorn. Auch hier gilt: Es ist noch Zeit, dass sich daran etwas ändert, passte aber zum Bild, das man von dieser Reihe hat. Wirklich seltsam waren hingegen die Kollisionen, die noch mit keinerlei visuellem Schaden quittiert wurden und auch in Sachen Physik wenig Eindruck auf der Konkurrenz hinterließen. Als ich mal wieder den Bremspunkt verpasste und meinem Vordermann mit dem Geräusch zweier miteinander kollidierenden Kisten Mineralwasser hinten reinrasselte, riss mich das kurz raus aus der Illusion, einen Rennwagen zu fahren, was schade war. Denn das sich eigentlich recht modern und feinfühlig präsentierende Handling hatte sie zuvor durchaus überzeugend aufgebaut.

Aber Polyphony weiß darum. Yamauchi bekräftigt im Interview, dass es im fertigen Spiel sowohl visuelle als auch funktionale Schäden geben werde. Das wäre ein wichtiger Schritt für die Reihe. Ich bin gespannt, wie es implementiert sein wird. Dass es kein dynamisches Wetter geben werde und dass man dies, ebenso wie die Tageszeit vor einem Rennen bestimmen muss, scheint ebenso ein wenig von gestern. Yamauchi begründet es aber mit dem besten aller Argumente, wenn er sagt, dass diese Änderungen in Echtzeit aktuell zu viel Performance kosten würden, um sie zu implementieren. Man entschied zugunsten der Bildrate - also der Spielbarkeit, was nie ein schlechter Tausch ist. Es muss einem nicht gefallen, aber es passt zum Konzept von Gran Turismo, dass der immense Detailgrad der Autos seinen Machern wichtiger ist als dynamische Regenfälle und sachte verlaufende Sonnenuntergänge.

Der sehr schöne Spaces-Modus. Man ist kurz nicht sicher, ob nun der Hintergrund oder das Auto aus dem Computer kommen.

Die Freude an Automobilen und ihrer Historie schlägt hingegen nicht nur bei dem virtuellen Museum voll durch, das die Entwicklung der Autos hübsch präsentiert in geschichtlichen Kontext setzt. Auch der Spaces-Modus, den Yamauchi eine Revolution der Fotografie bezeichnet, gefiel mir ausgezeichnet. In 1.000 zum niederknien schönen Fotos realer Locations könnt ihr eure Lieblingsautos platzieren. Die werden dann mit Lightmaps und Reflexionen versehen, ihr spielt mit der Blende und anderen Kameraeffekten herum, habt sogar Zugriff auf das Physikmodell des Wagens und schießt dann - so die Theorie - Autokalender taugliche Wunderbilder, die man von der Realität kaum unterscheiden kann. Sah spitze aus, auch wenn ich nicht selbst Hand anlegen durfte.

Ebenso will GT Sport den Gedanken der Car Dealerships auf die Spitze treiben. Waren dies damals nur Menüs, in denen ihr in der Karriere neue Autos kauftet, will man hier das Entdecken von Fahrzeugen wieder zum Erlebnis machen. Wie genau das aussehen wird, das ließ die Präsentation an dem Tag nur erahnen. Allgemein bekommt man aber das Gefühl, dass GT Sport einmal mehr seine breit ausgewalzte Liebesbekundung zu Gummi verbrennenden Kraftmaschinen zu einem mit viel Geschmack präsentierten Paket zusammenschnürt.

Hochgezogene Augenbrauen gab es unterdessen für die Bekundung, dass Spieler für das Erreichen bestimmter Ziele - vor allem wenn sie sich in Sachen Driving-Etiquette beweisen, auf digitalem Wege eine echte FIA Lizenz über Gran Turismo erwerben können, die dann dazu berechtigt, in echt über reale Rennkurse der an dieser Aktion teilnehmenden Nationen zu düsen. Ich weiß, das klingt nach einem Aprilscherz, ist aber genau die Sorte an Größenwahn grenzender "Alles-oder-nichts"-Denke, die man von Polyphony kennt. Sicher, das hört sich irgendwie gefährlich an. Und so wundert es auch nicht, dass die Liste der teilnehmenden Nationen aktuell Deutschland - sowie einige andere westliche Länder - nicht mit einbezieht. Yamauchi betont während seiner Präsentation jedoch, dass sich bis zum Launch wohl noch weitere hinzugesellen werden.

Trockene Luft in Willow Springs.

Die letzte große Säule für GT Sport ist Online - und auch hier soll die Maxime "Driving is for everyone" ganz vorneweg fahren. Yamauchi findet gewöhnliche Wettbewerbsstrukturen in Videospielen eher abschreckend, deshalb soll es im neuen Gran Turismo jede Menge Gelegenheit geben, nicht mit leeren Händen aus einem Turnier zu kommen. Zum einen gibt es schlicht mehr Preise, zum anderen werden die Fahrer in Gruppen unterteilt. Nach Alter und Region und bei Nations und Manufacturer's Cup geht es nach Nationalität und nach Marke des Wagens, die man fährt. Monatlich will man Spitzenreiter und Gewinner küren. Auch hierhin erstreckt sich die Zusammenarbeit mit der FIA, denn die besten Fahrer sollen auf der offiziellen FIA World Final Preisverleihung neben echten Rennfahrern ihre Preise erhalten.

Mal wieder umweht ein neues Gran Turismo der Vibe eines Konzeptalbums eines renommierten Musikers. Ein Rennspiel weniger als auf die Essenz des Fahrens runtergekochter Wettbewerb, sondern als rundherum gewienertes Gesamtkunstwerk. Ob Fahrverhalten, Physik und KI heute auf der Höhe einer Zeit sind, in der irre ambitionierte Fahrsimulationen wie Project Cars die Grenzen dessen ausloten, was von Spielerseite noch Spaß auf vier Rädern bedeutet? Das müssen wir Mitte November anhand einer Version beurteilen, die deutlich weiter fortgeschritten ist. Die Autos selbst fühlten sich schon gut und zeitgemäß an.

Der allseits bekundete Wille, alle Spieler mit offenen Armen zu empfangen, ist ein fast schon frischer Gegenentwurf zu den für viele so kratzbürstig und abschreckenden Grenzgängern wie Project Cars oder DiRT Rally. Dass Yamauchi das Etikett "Hardcore" bereitwillig an diese Konkurrenz abtritt, ist da im Grunde nur konsequent.

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