Gray Matter
Jensen. Im Guten wie im Schlechten.
Adventure-Fans scheinen gerne gedankliche Schreine zu bauen, was daran liegen könnte, dass es kaum ein Genre gibt, in dem sich im Ablauf des Spiels so wenig getan hat. Da bleiben die Klassiker halt länger frisch, selbst wenn sie schon ein paar Jahre oder auch Jahrzehnte zurückliegen. Ein solcher Schrein ist Jane Jensens „Gabriel Knight"-Reihe gewidmet, was mich ehrlich gesagt immer ein wenig erstaunt, aber auch gefreut hat.
Spielerisch war gerade der erste Teil durchwachsen und arg konservativ, aber dafür waren die Charaktere ausgearbeitet, die Dialoge hervorragend und die Geschichte interessant. Die nächsten beiden Spiele waren mutig genug, den Entwicklungen der Zeit zu folgen, die das Genre inzwischen wieder weitestgehend verworfen hat. Gabriel Knight 2 war ein FMV-Adventure und Teil 3 setzte auf 3D. Alles vorbei, FMV und 3D sind durch, Frau Jensen geht Full Circle und liefert mit Gray Matter ein extrem konservatives Adventure ab.
So konservativ, dass ich bereits nach einer halben Stunde meinen ersten Hänger hatte. Das lag jetzt nicht daran, dass ich zu begriffsstutzig war, ein Rätsel zu lösen oder einfach falsch dachte. Das Spiel wollte, dass ich mir erst ein paar in diesem Moment komplett irrelevante Bilder angucke. Unbedingt. Nicht, dass diese etwas mit der Situation zu tun hatten oder mir weiterhelfen konnten. Die Programmierer waren halt der Meinung, dass ich sie sehen MUSS, ob ich will oder nicht. Fein. Von mir aus. Aber dann gebt mir auch einen Hinweis oder, noch besser, einen Grund sie anzuschauen. Also klickt man halt endlos herum, arbeitet dank der Hot-Spot-Anzeige stur alles Klickbare ab und irgendwann geht es aus logisch komplett willkürlichen Gründen weiter.
Ja, das ist Adventure. Aber das ist Adventure, wie es vor 20 Jahren war. Pure Rätsel-Statik. Ich sage das nicht mit einem negativen Unterton. Wenn das Spiel es richtig aufbaut, dann ist solche Statik nötig, um gute Rätsel aufbauen zu können. Artet es jedoch wie hier – das war nur ein Punkt von einer ganzen Reihe solcher in Gray Matter – in stures Abklicken aller Möglichkeiten aus, dann läuft etwas falsch. Interessanterweise gehörten solche Probleme schon beim ersten Gabriel Knight zum Programm. Eine Rückkehr zu alten Untugenden also? Nicht unüblich in diesem Genre.
Das ist aber nur die eine Seite der Rätsel. Neben dem gelegentlichen, unmotiviert wilden Ausprobieren, was man jetzt mal wieder bitte noch nicht angeguckt hat, aber sollte, finden sich meist ordentliche, wenn auch nicht übertrieben inspirierte, aber doch durchaus logische Rätsel, deren Lösungen zwar nicht immer ganz frisch aus der Realität gegriffen wurden, jedoch nachvollziehbar bleiben. Komplexe Pläne, einen Fahrradreifen zu flicken, den jeder geistig normale Mensch einfach kaufen würde, sind hier nicht zu schmieden, womit sich Gray Matter angenehm von einigen Konkurrenten absetzen kann. Um dann doch wieder für den nächsten Trigger irgendwas braucht, dessen Sinn sich nur vage erschließt.
Ein schöner Zug dabei ist auf jeden fall, dass die meisten Rätsel nicht getrennt vom Plot ablaufen. Oft genug hat man bei Adventures den Eindruck, dass beides getrennt entwickelt wurde. Gray Matter gelingt es mit viel Geschick beides zu kombinieren und nur selten stößt man an die Grenzen der Glaubwürdigkeit dieses verschachtelten Aufbaus.
Eine Besonderheit bei den Aufgaben sind die Zaubertricks. Die Heldin beherrscht die Kunst der Straßen-Magie und Taschenspielertricks eigenen sich in vielen Situationen, um an Gegenstände zu kommen, Leute zu beeindrucken, abzulenken oder anderweitig Hindernisse zu umgehen. Dafür wird im entsprechenden Moment ein neues Icon angeboten, das das Zauberbuch öffnet. Hier such ihr den passenden Trick heraus – ein falscher lässt sich nur selten benutzen – und danach müsst ihr die Schritte, die dort beschrieben sind, auf einem eigenen Screen mit einer Art vitruvianischen Mensch als Anzeige für die Möglichkeiten den Ablauf definieren.
Ein einfaches Beispiel: Ihr wollt einen Gegenstand gegen einen anderen unbemerkt austauschen. Objekt 1 wird in die Hand genommen, Objekt 2 im Ärmel versteckt. Schritt drei ist die Ablenkung des Publikums, vier und fünf lassen erst Objekt 2 in die Hand wandern und dann Objekt 1 im rechten Ärmel verschwinden. Das Grundkonzept gibt das Buch euch vor, den genauen Ablauf müsst ihr selber austüfteln.
Die ersten Male ist dies auch sehr reizvoll, da es jedoch nur wenig Möglichkeiten gibt, einen Trick nicht korrekt ablaufen zu lassen, verwandelt sich das Ganze schnell in ein mechanisches Abklicken der Anleitung, hat man erst einmal das Konzept verinnerlicht. Nehmen wir es als einen Hauch von Innovation in einem sonst sehr klassischen Adventure-Ablauf, der einfach ein wenig zu lange auf der Party blieb.
Das „klassisch" gilt auch für die Technik. Die Hintergründe von Oxford, den alten Herrenhäusern und verschrobenen Läden sind ein Traum. Atmosphärisch wertvoll, dezent animiert und mit schönen Lichteinfällen bestens in Szene gesetzt. Und weitestgehend leblos. Der gelegentliche Fußgänger in den Straßen lässt das Ganze noch ausgestorbener wirken, Umgebungsgeräusche sind praktisch nicht vorhanden, jegliche Elemente natürlicher Stadt-Umgebungen wie Vögel, Autos, Leute, die einfach mal den Laden, in dem man steht, spontan betreten, was auch immer, sucht man vergeblich. Das hier sind keine Orte, es sind Theater-Kulissen.