Gray Matter
Phoenix
Die beiden gegensätzlichen Protagonisten könnten zum Gelingen gut betragen, da ihr in verschiedenen Kapiteln die Rollen wechselt und auch mal den Prof spielt. Der eigentliche Aufbau des Spiels bleibt dabei zu hundert Prozent dem klassischen Adventure treu. An erster Stelle steht das Einsammeln von Gegenständen, der gezielte Einsatz dieser an der passenden Stelle und auch ein gutes Stück Denkarbeit. Freundlicherweise scheint dies nicht ganz den Fantasien eines übernächtigten Programmierers auf LSD-Flashback entsprungen – Hallo, Tunguska –, sondern machte zumindest in den ersten, kurz angerissenen Kapiteln einen durchdachten und lösbaren Eindruck.
Eines der frühen Rätsel besteht darin, einen geheimen Club in Oxford ausfindig zu machen. Eine halbwegs elaborierte Schnitzeljagd anhand einer logisch durchdachten Serie von Worträtseln erwartet euch. Während dieser Suche öffnen sich auf der Übersichtskarte der Stadt neue Orte und man führt euch um die Häuser und auch zu Punkten, an denen das Rätselspiel stets ein wenig variiert wird.
Sam kann als Straßenzauberin eine ganze Reihe von Tricks aus dem Ärmel schütteln, die sich als sehr nützlich erweisen. Gezeigt wurde eine Stelle, an der jemand eine Videokassette hat, die wir brauchen. Einfach Austauschen wäre zu auffällig, also erinnern wir uns an Trick, der hier passen könnte. Jetzt schlagt ihr das Zauberbuch auf, in dem scheinbar mehr als ein Dutzend solcher Gaukel-Klassiker abrufbar sind. Auf der einen Seite findet ihr eine exakte Anleitung zur Ausführung des Tricks, auf der anderen Seite seht ihr Sam und eine Reihe von Itemslots an Armen, Beinen und am Kopf.
Das richtige Item muss jetzt in der richtigen Reihenfolge an die richtige Stelle geführt werden. In diesem Falle ist es recht leicht. Eine andere, ähnliche Kassette in die eine Hand, die gewünschte, hier im Umgebungsinventar angezeigte, Kassette kommt in die andere. Jetzt mit einem Klick auf den Kopf noch ein wenig das „Publikum“ abgelenkt und schon habt ihr die Kassetten getauscht.
Ein interessantes System, das einen kleinen Twist in das Itemspiel eines Adventure bringt, aber ob es am Ende wirklich gut funktioniert und sich glücklich einfügt, war noch nicht ganz abzuschätzen. Was die Komfortfeatures eines modernen Abenteuers angeht, gibt man sich keine Blöße. Der Doppelklick für den schnellen Ortswechsel fehlt genauso wenig wie der Hotkey zum Anzeigen aller Objekte im Raum. Auch bei der – zur Überraschung einiger (oder zumindest mir) – kommenden Xbox-360-Version machte man sich ein paar Gedanken zur Steuerung. Statt euch durch den ganzen Raum wandern zu lassen, zeigt euch ein simples Pop-up-Menü alle Möglichkeiten der Umgebung an und mit einer leichten Stickbewegung und einem Tastendruck wird die Aktion ohne Umständlichkeiten ausgeführt.
Optisch liegt die Xbox Version sogar vorn, wenn auch nur in meiner ganz persönlichen Vorstellung davon, wie dieses Spiel auszusehen hat. Am PC scheinen Oxford und seine Bewohner gestochen scharf und bis ins Letzte detailverliebt definiert. Die Konsole hält da nicht ganz mit, sondern wirkte etwas verwaschener, was dem Look aber nicht schadete, sondern noch mehr Eigenheit gab. Aber das ist natürlich wirklich eine ganz persönliche Geschmacksfrage.
Ich muss sagen, Gray Matter hat mich von links außen erwischt. Das Ding war als gescheiterte Existenz abgeschrieben und sah bis vor kurzem auch genau danach aus. Der neue Entwickler Wizarbox allerdings scheint das Ruder wirklich herumgerissen zu haben. Was sich hier zeigte, hat nicht nur jede Menge Potential, sondern auch das Zeug, es auszureizen. Oxford ist das neue New Orleans und bringt all die Kraft starker Persönlichkeit mit ins Spiel, die Gabriel Knight so erinnernswert macht.
Wenn wir schon bei der Rückbesinnung sind, war Gabriel Knight nur bedingt für sein brillantes Rätseldesign bekannt, und auch wenn die ersten Eindrücke von Gray Matter wirklich auf der Habenseite des Spiels liegen, kann man das bei einem Adventure natürlich nicht nach so kurzer Zeit mit der nötigen Ehrlichkeit einschätzen. Aber ich gebe zu, dass ich mich nach dieser Vorstellung darauf freue, es herauszufinden. Sam und Styles haben mich jetzt schon für sich eingenommen und ich will wissen, wie ihre Geschichte ausgeht. Das klingt nach nicht viel und ein wenig nach Plattitüde, aber wenn ich nach so kurzer Zeit schon Empathie für die Figuren empfinde, dann zeigt es doch, dass Jensen das Schreiben von guten Storys und Figuren nach mehr als zehn Jahren noch nicht verlernt hat. Und das ist ein sehr guter Start für jedes Adventure.
Gray Matter soll (wirklich und ganz ehrlich) Ende 2010 für PC und Xbox 360 erscheinen.