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Guild Wars 2 –Test (Ersteindruck)

In welchem anderen Fantasy-MMO darf man als Kuh verkleidet Rinder für den Kampf gegen Wölfe trainieren?

Einem MMO 24 Stunden nach seinem Release eine Note aufzustempeln, hat sich nicht bewährt. Daher stattdessen ein erster Bericht, was ich seit dem leicht holprigen Headstart am Samstag in Guild Wars 2 erlebt habe. Bis Dienstag Vormittag liefen die Server ausgesprochen rund. Gestern Nachmittag gab es dann leider erneute Verbindungsprobleme und der altbekannte Fehler 42 zeigte sein hämisches Grinsen. Gegen Abend rollte die Show dann wieder einigermaßen stabil (zumindest bei mir), auch wenn ich bei etlichen Gebieten zunächst in den Überlauf gesteckt wurde. Ein klarer Hinweis darauf, wie viele Neueinsteiger in Tyria unterwegs waren. Was es mit dem Überlauf-System auf sich hat, erkläre ich später. Jetzt gibt's erst einmal ein paar Eindrücke aus dem Spiel. In guter alter Lagerfeuer-Erzähltradition.

Mein Norn-Nekromant war auf dem Weg zur Gelehrtenkluft der Abtei Durmand, um den Orden von einer Schaufler-Plage zu befreien. Diese Nackmull-Zwerge machen ständig Ärger. Zeit, ihnen eine Lektion zu erteilen. Und so stapfte mein Nekro gerade mit einer Handvoll beschworener Kreaturen im Schlepptau durch die eisige Ödholm-Weite, als plötzlich eine Markierung auf der Karte aufploppte. Der nahe gelegene Njordhof wurde von Eismonstern belagert. Kurz entschlossen eilte ich den Jägern und Händlern zur Hilfe und verscheuchte das Gesocks mit meinen treuen Dolchen und ein bisschen Dämonenbeschwörung. Kaum war die Lage geklärt, kamen die Leute aus ihren Zelten, boten ihre Waren an und ich konnte endlich den beschädigten Helm reparieren, der unter einigen Hieben der Söhne Svaniers ordentlich gelitten hatte.

Den Fisch fangt ihr nicht für euch, sondern füttert damit ein paar junge Bären.

Ich wollte gerade wieder aufbrechen, da kam eine Delegation Koda vorbei und bat die Jäger des Gehöfts um Hilfe. Ein großer Krieger der Eisbär-Menschen war von dunkler Magie korrumpiert worden und bedrohte nun die umliegenden Dörfer. Klare Sache, dass ich mich ihnen anschloss und der kleinen Schar mit meinen Kreaturen den Rücken freihielt. Nach einem längeren Marsch und zahlreichen Scharmützeln kamen wir an eine zugefrorene Höhle. Plötzlich zerbarst das Eis, der verfluchte Eisbär-Champion brach hervor und schmetterte mit zwei, drei mächtigen Hieben die gesamte Gruppe zu Boden. Nur mit Mühe hielt ich mich auf den Beinen, wirkte Flüche, beschwor einen Fleischwurm als Ablenkung und versuchte, meine gefallenen NPC-Begleiter wiederzubeleben. Doch zu spät. Mit einer weiteren Frostwelle streckte der Champion auch mich nieder.

Im Todeskampf versuchte ich, ihm genügend Leben zu entziehen um wieder auf die Beine zu kommen, warf mit Gift und Flüchen um mich. Vergeblich. Der Tod rückte unausweichlich näher und der Countdown-Balken auf meinem Bildschirm zeigte nur noch ein paar Ticker. Ich hörte auf, die Zahlentasten zu hämmern und stellte mich schon auf einen längeren Fußmarsch von der nächsten Wegmarke ein, als sich der rote Balken auf einmal wieder zu füllen begann.

Je mehr Spieler teilnehmen, desto härter sind die Monster während eines Events. Dieser Champion war entsprechend ein zäher Brocken und der Kampf zog sich über mehrere Minuten hin.

Am liebsten wäre ich in dem Moment von meinem Schreibtisch-Stuhl aufgesprungen und hätte aus vollem Hals gejubelt (meine Nachbarn können bezeugen, dass mir so etwas öfter passiert): Ein anderer Spieler in Gestalt eines Waldläufers war aus dem Nichts aufgetaucht und heilte mich! Seine Gruppe Abenteurer war gerade in der Nähe gewesen und wurde über die Karte auf den Champion aufmerksam, wie ich zuvor auf das Hilfegesuch des Njordhofs. Ein Krieger und ein Elementarmagier hielten das Eisbärmonster in Schach, während mich der Waldläufer auf die Beine zog und ein paar seiner Tiergefährten auf den Bösewicht hetzte.

Kaum dass ich mich berappelt hatte, wechselte ich zu meinem Zweihand-Stab mit den schlagkräftigen Distanz-Flüchen und heizte dem Unhold aus der Ferne ein. Mit vereinten Kräften gelang es uns, das Biest zurückzutreiben und nebenbei ein paar der NPCs zu heilen. Minuten später war es geschafft, das Vieh lag tot im Schnee und wir hatten uns die Gold-Auszeichnung und den ordentlichen Batzen Münzen, Erfahrungs- und Karmapunkte aus diesem Event redlich verdient. Dabei hatte ich sogar noch den Auftrag eines NPCs in der Nähe erfüllt, der das Gebiet von Monstern gesäubert haben wollte. Zur Belohnung durfte ich in Zukunft bei ihm ein paar seltene Gegenstände und Handwerks-Rezepte für Karma-Punkte eintauschen. Die Kampfgefährten aus meinem Abenteuer zogen indessen weiter. Auch für mich wurde es Zeit, den Weg zur Gelehrtenkluft fortzusetzen.

Die Figuren zappeln zwar ein bisschen, dafür sind die Gesprächs-Sequenzen ordentlich auf Deutsch vertont.

Dank der gewonnenen Erfahrungspunkte hatte ich eine neue Stufe erreicht und endlich genug Fertigkeitspunkte zusammen, um die Fähigkeit "Siegel des Untodes" zu lernen. Außerdem gab es einen Eigenschaftspunkt, den ich gleich in passive Blutmagie-Boni steckte. Unterwegs hatte ich einen Stoffhelm gefunden, dessen Level-Voraussetzung ich jetzt erfüllte und den ich gleich zu meinem Outfit passend (schwarz) einfärbte. Den alten Kopfschutz zerlegte ich mit einem Wiederverwertungskit in ein paar Rohstoffe und transferierte die Ressourcen in die Materialsammlung meines Bankfaches, um die Taschen meines Inventars frei zu halten.

Die gewonnenen Jute-Fetzen wollte ich später bei einer Schneider-Station in Jute-Ballen umwandeln und mir daraus eine neue Hose nähen. Vielleicht wäre auch genug Material da, um ein paar neue Rezepte und magische Aufwertungen zu erforschen. Außerdem wollte ich unbedingt "Waffenschmied" lernen. In meinem ersten Handwerk (Koch) hatte ich zwar schon einige Erfolge verzeichnet, doch so ein selbstgebastelter Dolch brächte einige Vorteile als Zweitwaffe zu meiner Handaxt (verleiht die Waffenfertigkeiten "Tödlicher Schwarm" und "Schwächendes Blut"). Schade, dass man nur zwei Berufe gleichzeitig lernen kann, aber wenigstens verliert man die erarbeitete Erfahrung beim Wechsel nicht. Kostet allerdings ein paar Münzen.

Da ist was faul in der Nachbarschaft. Wen ruft man da? Den Typ mit dem Geister-Gewehr!

Doch warum eigentlich warten? Ich öffnete die Übersichtskarte, zoomte hinaus, bis die gewaltige Weltkarte vor mir lag und suchte nach der Wegmarke des Handelsdistrikts in meiner Heimatstadt Hoelbrak. 32 Kupfermünzen kostete mich der Teleport von meinem Standort aus. Kein Problem. Einen kurzen Ladebildschirm später stand ich auf dem verschneiten Platz und lief hinüber zum Trainer fürs Waffenschmiede-Handwerk. So macht Reisen Spaß. Schönes Detail am Rande: Die persönliche Charaktergeschichte darf man jederzeit unterbrechen und wieder aufnehmen. Um die Abtei konnte ich mich also später kümmern.

Ladebildschirme sieht man in Guild Wars 2 übrigens häufiger, trotz ArenaNets grundsätzlichen Verzichts auf Instanzen (abgesehen von den abgesonderten Story-Bereichen, in die ihr gelegentlich wechselt). Die Welt ist zwar riesig und persistent, an ihren Nahtstellen muss der Client aber trotzdem Daten schaufeln und versteckt den Vorgang hinter ein paar hübschen Artworks. Sind zu viele Spieler in einem Gebiet, wird automatisch eine Überlauf-Instanz geöffnet, in der ihr so lange weiterspielt, bis in der regulären Welt ein Platz frei wird und ihr wechseln dürft. Vor allem abends zu den Stoßzeiten landet man häufiger im Überlauf. Das stört in der Praxis aber kaum (außer bei der Gruppenbildung, damit gab es aktuell noch Probleme, siehe unten).

Hühner einzufangen ist alles andere als trivial. Auch wenn dieses Exemplar äußerst friedlich zu sein scheint.

Es macht in ArenaNets neuem MMO großen Spaß, einfach so auf Entdeckungsreise zu gehen und zu sehen, welche dynamischen Ereignisse auf der Karte aufblitzen. Dank der Asura-Tore und der freischaltbaren Wegmarken sind lange Reisen sowieso ein Klacks. Doch wer die Schnellreisen nutzt, verpasst etliche Gelegenheiten für Ruhm und Ehre. An jeder Ecke wartet eine neue Aufgabe.

Vielleicht schlendere ich in den Wald und hacke ein wenig Holz oder suche Erz. Vielleicht bewerfe ich ein paar Kinder mit Schneebällen, scheuche Hasen in die Klauen heiliger Eulen oder trainiere eine Herde Kampfkühe, indem ich mich selbst in ein Kuh-Kostüm zwänge und ihnen Manöver vorführe, die sie dann gleich darauf an einem Rudel Wölfe ausprobieren? Vielleicht besuche ich die schwarze Zitadelle der Charr? Vielleicht eskortiere ich mürrische Händler, beschaffe gestohlenes Werkzeug wieder, löse die Rätsel geisterhafter Raben, hetze hinter einem waschechten Wolpertinger her, füttere Bären, infiltriere eine Schaufler-Basis im Bergbau-Roboter-Anzug, fange widerspenstige Hühner ein, verköstige schleckige Rinder mit Leuchtkäfern oder jage in Gestalt eines Schneeleoparden Elche aus dem Gebüsch? Warum nicht Geister auf dem Diessa-Plateau jagen oder mit Ballistae auf Zielscheiben ballern? Sogar eine einfache Golem-Schach-Variante kann man spielen.

Ein abgefahrenes Event: Im Kuh-Kostüm Rinder für den Kampf trainieren.

Und egal, wohin einen die Streifzüge führen: Sobald ein Gebiet unter eurer aktuellen Stufe liegt, werdet ihr einfach entsprechend heruntergesetzt, sodass die ansässigen Feinde wenigstens eine Chance haben. Auf diese Weise könnt ihr beliebig oft an Events teilnehmen und werdet trotzdem jedes Mal aufs Neue gefordert, selbst wenn die Abenteuer im Anfänger-Bereich stattfinden. Höherstufige Gebiete werden freilich nicht an Euch angepasst. Wer hier unbesonnen mit unzureichender Stufe drauflos prescht, findet in Sekunden den Tod.

Guild Wars 2 macht erfrischend vieles richtig und wird seiner aktuellen Favoriten-Rolle auf die MMO-Genre-Thronfolge gerecht. Jedenfalls ist das mein erster Eindruck. Ich hatte das Gefühl, dass die Macher sämtliche Rosinen von der Konkurrenz stibitzt und um deren Fehlgriffe einen weiten Bogen gemacht haben. Die individuelle Geschichte, deren groben Verlauf ihr bei der Charakter-Erstellung festlegt und die sich immer mal wieder verzweigt, bietet euch stets einen deutlichen roten Faden, sodass ihr nie ziellos durch die Pampa wandert - was wegen der dynamischen Events freilich sehr reizvoll sein kann.

Über Minispiele stolpert man häufiger. Hier zum Beispiel eine einfache Variante von Golem-Schach.

Wie bereits oben geschildert, müsst ihr euch dabei nicht in festen Gruppen organisieren. Die Herausforderung wächst, je mehr Spieler in einem Gebiet sich an einem Event beteiligen. In der Praxis funktioniert das sehr gut, und selbst wenn zwei Dutzend Helden auf einen Champion einprügeln, wird der Bossfight noch lange nicht zum Kinderfasching. So viel Gaudi beim spontanen Gruppenspiel hatte ich zuletzt nur bei Rift.

In Sachen Abwechslungsreichtum kann hingegen derzeit nur The Secret World mit den Quests aus Guild Wars 2 gleichziehen, wobei das MMO von ArenaNet für Entdecker eindeutig mehr zu bieten hat. Die Welt Tyria ist wahrhaft riesig und wirkt durch die unzähligen Tiere, Monster und Neben-Völker, die sogar miteinander im Clinch liegen, überaus lebendig. Einmal beobachtete ich ein Rudel Wölfe, das einen Hirsch verfolgte, und war darüber so verblüfft, dass ich einfach stehen blieb und den Tieren beim Erlegen ihrer Beute zusah. Zudem haben die Designer jeder Umgebung ihren eigenen Stil verpasst. Es dürfte eine Weile dauern, bis man sich an den Landschaften und der Architektur der verschiedenen Völker sattgesehen hat.

Keine Sorge: man muss nicht unbedingt mit einem NPC gesprochen haben, um sich spontan an einer Quest zu beteiligen.

Das klassenspezifische Kampfsystem (mit MMO-typischem Aufschalten aber aktiver Ausrichtung auf den Feind) mischt vorgegebene Waffenfertigkeiten und einen Slot-Fähigkeitsbaum für Spezialmanöver sowie ein ab Level Zehn zuschaltbares System für passive Eigenschaften. Man braucht zwar ein wenig Übung, bis man sich daran gewöhnt und die ideale Kombination für seinen eigenen Kampfstil gefunden hat, aber überfordert wird man von der überschaubaren Anzahl an Zahlentasten zu keiner Zeit. Heiltränke gibt es keine, stattdessen besitzt jede Klasse Heilfähigkeiten. Interessant ist auch das gesonderte Unterwasser-Kampfsystem mit separater Bewaffnung und Waffenfertigkeiten. Die Scharmützel im kühlen Nass stellen euch durch ihren dreidimensionalen Charakter vor ganz neue Herausforderungen.

Aktuell gibt es natürlich noch die ein oder andere Macke und ein paar kleinere Bugs zu beseitigen, zum Beispiel war das Gildensystem noch nicht voll funktionstüchtig und die Gruppenbildung scheiterte bisweilen am Überlauf-System, das die Partymitglieder in unterschiedlichen Instanzen versetzte. Der Handelsposten für Auktionen blieb leider bisher auch außer Betrieb - im Gegensatz zum Cashshop mit Klamotten, XP-Boni, Haustieren und anderen Goodies. Hier bietet ArenaNet unter anderem auch Schlüssel an, mit denen man sporadisch erbeutete Schatzkisten öffnet, sowie Items, mit deren Hilfe man die Eigenschaften von einer Rüstung mit dem Aussehen einer anderen kombinieren kann.

Das kann eine Weile dauern. Tyria ist riesig und ein Spielplatz für Entdeckungsreisende. Der Ausschnitt repräsentiert nur einen Teil der gesamten Karte.

Die PvP- und Welt-gegen-Welt-Matches konnte ich nicht mehr wirklich testen, aber es wird erfahrungsgemäß sowieso noch etwas dauern, bis dieser Part richtig Fahrt aufnimmt. Ansonsten gibt es wenig zu meckern. Manche Dinge waren nicht ganz nach meinem Geschmack, aber ich nörgle da schon auf hohem Niveau: Die deutschen Gesprächs-Sequenzen wurden ordentlich vertont und hinterlassen einen stimmigen Eindruck, wenn nur die Figuren währenddessen nicht wie Fünfjährige auf Energy-Drinks herumzappeln würden. Dass ich meine Rohstoffe jederzeit in einen eigenen Reiter meines Bankfaches übertragen darf, ist super, aber wieso muss ich das Zeug vor dem Craften mühsam einzeln ins Inventar zurückholen? Außerdem bleiben diverse Zustands-Icons in den Beschreibungsfenstern der Fähigkeiten ein Mysterium und werden weder per Ballon-Tipp noch im Online-Handbuch erklärt. Stattdessen werde ich auf das offizielle Wiki verwiesen, das aber auch nicht immer weiterhilft. Keine tragischen Dealbreaker, aber es gibt durchaus noch Raum für Verbesserungen. Trotzdem habe ich mit Guild Wars 2 nach anfänglicher Skepsis so viel Spaß wie schon lange nicht mehr in einem Fantasy-MMO.

Derzeit bin ich also sehr optimistisch, was ArenaNets neues Baby angeht und glaube, dass der Titel selbst mit dem bevorstehenden Release von World of Warcraft: Mists of Pandaria nicht zu zittern braucht. Im Gegenteil. Das weiterhin Abo-pflichtige Blizzard-MMO sollte sich eher angesichts seiner Konkurrenz ohne monatliche Folgekosten fürchten. Die Luft für Abonnement-Modelle wird wieder etwas dünner.

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