Guitar Hero Live - Rock is back, bitches!
Die sechs Tasten zum zweiten Glück.
Es ist zurück. Das Timing könnte nicht besser sein. Der einzige echte Konkurrent bastelt am Comeback, es zogen genug Jahre ins Land. Wie könnte es nicht zurück sein? So tief kann man ja gar nicht ins Star-Koma fallen, auch wenn sich Guitar Hero mit seinem letzten Lebenszeichen vor ungefähr fünf Jahren gründlich in dieses geschossen hat. Immer das Gleiche, immer erzwungener, der Erfolg starb ab, jeder Star braucht mal ne Pause, die ist jetzt vorbei.
Aber was ist frisch genug, um das Comeback, ausgeführt von FreeStyleGames (DJ Hero), zu rechtfertigen? Es ist ja nicht so, dass die meisten von uns, die das Plastik vor einem halben Jahrzehnt aus der Hand legten, schon alle Songs gespielt hätten. Es war vielmehr das Feeling, das weg war. Dieses wunderbare "make believe", ein Rockstar zu sein, weil man in der Lage war, drei bis fünf Plastiktasten auf der traurigsten Axt aller Zeiten richtig zu drücken. Guitar Hero war ein wundervolles Beispiel für das Ausblenden der Realität, aber das hält halt nicht ewig. Jedenfalls nicht mir den gleichen Mitteln und nicht ohne Pause.
Die Pause hatten wir nun, fehlt noch der neue Impuls auf künstlerischer Seite. Hier soll es zwei geben. Bei der Präsentation wurde der erste ganz besonders betont und er ist technisch sicher auch der aufwändigere, aber er ist ehrlich gesagt der, der mir komplett und überhaupt am Allerwertesten vorbeiging. Und zwar so richtig. Lasst mich dazu sagen, was mein Eindruck des Hintergrundes hinter dem Notenlaufband aller anderen jemals erschienen Guitar-Hero- und Rock-Band-Ausgaben war, und zwar ausnahmslos. Ihr wisst schon: Die komischen Musiker auf der Bühne, das Publikum, die Faxen, die da veranstaltet wurden? Nun, ich nehme an, da war was. Hab nie drauf geachtet, war mir komplett egal, hab nie hingeguckt, existierte wie ich auch und wir beließen es dabei.
Mein Enthusiasmus hielt sich also in Grenzen, dass das erste große Gimmick von Guitar Hero Live nun das real gefilmte Publikum und die Performance-Bands sind, die da herumhüpfen. Ja, dank Tricktechnik und des Einsatzes von ein paar hundert Statisten wurden zwei Filmspuren einspielt. Die eine zeigt ein frenetisches Publikum, die andere ein ob der nicht vorhandenen Gitarrenleistung angepisstes. Zwischen diesen beiden wechselt das Spiel technisch elegant hin und her, je nachdem, ob ihr gut oder schlecht spielt. Vor euch gibt es einen Moshpit, aus dem die direktesten Reaktionen kommen. Buh oder Yeah. Whatever. Von mir aus könnten da auch rosa Elefanten herumhüpfen. Solange sie nicht der Tonspur in die Quere kommen, sollen sie doch machen. Das Intro zu einem Song aus der Ego-Sicht, das euch „Lampenfieber", „Bandfeeling" und sonst was suggerieren soll, funktioniert nur in Verbindung mit PR-Blah dazu. Gott, hasste ich diese Gestalten auf dem Screen, die mir vor jedem Song nicht abbrechbar Lebenssekunden raubten.
Bis hier lümmelte ich mit der Arroganz und dem Enthusiasmus eines lebensgestählten Musikkritikers bei der Vorstellung eines neuen Phil-Collins-Albums auf dem Sitzkissen und sah das Comeback davonfließen. Echt? Irgendwelche Clowns, die da im Hintergrund Faxen machen? Das soll es sein? Aber dann wurde ich munter. Die neue Gitarre machte die Runde. Vorserienmodell, von der Verarbeitung her work in progress, also noch kein Kommentar. Am unteren Ende ist alles da, wo es hingehört. Whammy-Bar, Anschlag wie bekannt, ein paar Steuertasten für alle Fälle. Am Hals jedoch, das sind nun keine fünf bunten Fisher-Price-Tasten mehr. Stattdessen gibt es sechs Tasten, allerdings in Zweierpaaren, drei davon nebeneinander, immer zwei Tasten in Folge.
Okay, das ist anders. Kein Herumrudern am Hals mehr, kein Angeln nach der fünften Taste. Klar, das Gefühl war gut, aber ich habe es nie wirklich hinbekommen. Die Expert-Spieler, die ich sah, improvisierten oft, indem sie alle fünf Finger auf die Tasten legten. Für viele Spieler war die fünfte Taste aber gerade beim Party-Casual-Play ein Hindernis. Interessant, drei plus drei Tasten, zusammen gedrückt dann neun Varianten statt fünf. Auf leicht werden nur die unteren drei genutzt, mit jedem höheren Grad kommen dann weitere Tasten und Kombinationen dazu. Spannend. Aber auch gut zu spielen?
Ja. Oh ja! OH YEAH! ROCK'N'ROLL, BITCHES!! Die Eingewöhnungszeit scheint unterschiedlich. Bei mir war es ein Song, andere Kollegen kamen nicht ganz so schnell an, wieder andere erlebten das, was ich auch durchmachte. Es fühlt sich nach Air-Guitar an. So dämlich das klingt und auch ist: Air Guitar zu spielen ist im leicht intoxikierten Zustand kein präzises Abgreifen, es heißt, drei Finger so zu bewegen, als würde man wie ein zugedröhnter Affe nach einer Banane angeln. Das hat nichts mit Gitarrespielen zu tun, aber fühlt sich für jemanden, der praktisch keine Ahnung hat, genauso an.
Die Noten rauschen auf drei Bahnen heran. Plek nach oben, obere Note, nach unten die untere. Simpel. Dicke Note beide gleichzeitig, Linie ist ein offener Anschlag und lange Note ist wie gehabt Halten. Es fühlt sich richtig gut an. In den drei gezeigten Songs kamen die Wechsel nachvollziehbar und gut getimt, es war fast eine zweite GH-Entjungferung. Als hätte man für ein paar Minuten wieder zum ersten Mal das Plastik in der Hand und freut sich wie ein Schneekönig. Flashback vergangener Partys, alter Freunde und konsumierter Getränke passieren Revue, moments of virtual glory passing by.
Die Ektase hält natürlich nur so lange, bis man auf die Songs selbst achtet. Ach, das ist also Fallout Boy? Die waren doch mal ganz nett. Soso, das ist vom neuen Album. Wer hätte gedacht, dass eine Band so schnell so scheiße wird? Die zweite Truppe hatte wohl einen Namen, ich will verteufelt sein, wenn ich mich an ihn erinnern könnte. So was läuft wohl auf Star FM, wenn sie was für die Kids spielen wollen. Was mich am meisten an moderner Kinder-Rock-Mucke ärgert ist, dass jede Subversivität fehlt. Das ist weichgespült, austauschbar. Wo ist... irgendwas? Texte? Sie liebt mich nicht, ich sie auch nicht, wir sind jetzt traurig... Dazu zu versuchen, zu klingen wie die Stones ist auch nicht hilfreich, denn die Stones klangen schon wie die Stones. Meine Güte, Sugar Ray war interessanter als ihr, wie auch immer ihr heißen mögt! Der dritte Song dann versöhnte mich leicht. Sam's Town ist bei den Killers zwar eine ungewöhnliche Wahl, aber eine, die mir liegt. Ist zwar auch nur Springsteen für Arme, aber wenigstens mit netten Melodien und Gitarrenläufen. Geht. Und ist so viel besser als alles, was diese Band seitdem zustande brachte.
Nun, die Auswahl der drei Songs mag nicht so meins sein, also was gibt es noch? Wird natürlich nicht verraten, noch ausgehandelt und wird man sehen müssen, aber es wird wohl eine erkleckliche Zahl an Songs auf die Disc wandern. Aber danach? Wieder Dreierpacks für X Euro? Seltsames Cherry-Picking des Publishers, was wir spielen sollen? Letzteres sicher, einer muss ja auswählen, was man lizenziert. Der Rest des Konzepts ist aber... revolutionär. Nicht mehr und nicht weniger.
Es soll ein Guitar Hero Live TV geben. Hier findet ihr eine Reihe von „Sendern", die eines oder mehrere Sets loopen. Es fiel eine Stunde als Rahmen, kann aber auch je nach Sender und Genre weit mehr sein. Ihr habt dann einen Rock-, einen Metal-, eine Indie-Sender und so weiter, jeder davon bringt ohne Pause und Werbeunterbrechung Musik, als wäre MTV noch gut und wie früher. Dazu laufen im Hintergrund die Originalvideos der Songs - Little Talks hat ein ziemlich abgefahrenes Video... Ihr könnt einfach anfangen zu spielen, die Noten laufen los. In eurer Talentklasse werden dann auch noch zehn andere Leute herausgesucht, ihr spielt nebenbei gegeneinander. Das oder einfach nur für euch. Der Online-Versus ist eine sehr relaxte Angelegenheit, der Offline-Versus für zwei wird aber nicht vergessen werden. Alle Songs in den Kanälen werden auch angezeigt und ihr könnt euch hier nach Lust und Laune Playlisten zusammenstellen. Alle Kanäle werden ständig, idealerweise wöchentlich oder sogar noch öfter, erneuert und erweitert. Neue Band und CDs werden hier vorgestellt und integriert. Ihr spielt mit einem monströsen Repertoire - mehrere hundert wurden mal in den Raum geworfen -, das euch nach dem alten Modell ein Vermögen gekostet hätte.
Aber was kostet euch Guitar Hero Live TV nun? Mein erster Gedanke war: Okay, das sieht nett aus, wenn das wirklich das kann, was es hier zeigt, fünf bis zehn Euro Abo im Monat wäre nicht zu viel, genug Material und Abwechslung vorausgesetzt. Die Ansage, die dann folgte, warf mich milde aus der Bahn. Es wird nichts extra kosten. Guitar Hero TV ist dabei. Kauft das Spiel - für ca. 100 Dollar/Euro inklusive Gitarre - und ihr habt uneingeschränkten Zugang. Okay, wtf and omg, Activision bietet einen Zusatzdienst, der wirklich mal sogar Geld wert wäre, welche Summe auch immer, für lau an?! Twilight Zone Alarm, Somebody get me a Doctor, das klingt zu gut, als dass ich noch wach und normal bin. Aber ja, genau das ist wohl der Plan. Lassen wir uns überraschen, würde ich mal vorsichtig sagen...
Um all das zu genießen, sollt ihr am Ende nicht mal eine Konsole oder einen PC benötigen. Auch auf Mobile wird GH Live laufen, man darf wohl von Android und iOS ausgehen. Der Gedanke, eine der vielen Android-Boxen wie das kommende Nvidia Shield am TV zu haben oder einfach vom Handy an Apple TV oder Chromecast zu streamen, egal ob im Haushalt zum Beispiel bei einem Besuch auswärts eine Konsole steht, ist reizvoll. Alles noch recht vage, technisch gut vorstellbar und klingt sogar sinnvoll. Mal gucken.
Comeback gelungen? Aber so was von! Ich war vorsichtig gesagt skeptisch, bevor ich die neue Wannabe-Axt in der Hand hielt. Aber als dann die neue Anordnung heranrauschte und die drei Finger sicher ihren künftigen Platz im Local-Hero-Rocker-Leben fanden, war die Welt für vier Minuten endlich wieder in Ordnung. Das Teil fühlt sich richtig an. Die Songauswahl, gut, da üben wir noch, aber hey, drei aus x plus theoretisch unendlich viele, da sollte genug dabei sein. Nein, es ist nicht wie beim ersten Mal. Nie ist ein Remaster wie das erste Mal. Aber manchmal macht es einfach zu viel Spaß, als dass man zu viele Gedanken daran verschwendet, dass man hier eigentlich schon mal war.