Hades Test: Der neue Roguelite-König!
Die Bastion-Macher meistern das nächste Genre.
Was ist das jetzt? Das vierte Spiel im vierten Genre? Seit Bastion vor mittlerweile neun Jahren neu wesentlicher Teil einer Initialzündung war, die Indie-Spiele als Bewegung groß und wichtig werden ließ, leistete sich Supergiant nicht ein Sequel, nicht eine Verfeinerung sicherer, weil bereits erlernter Spielmechaniken und behauptete so fortwährend den Ruf eines der aufregendsten und mutigsten Studios, die heute Spiele produzieren.
Lediglich die knackige und direkte Steuerung sowie das Faible für die isometrische Von-Oben-Perspektive behielt man fast durchgehend bei. Dinge, die zusammen mit den ebenfalls gerne eingesetzten Erzählern aus dem Off fast so etwas wie das Markenzeichen des Entwicklers wurden. Aber inhaltlich? Alles anders. Immer.
Das Chamäleon der Indie-Szene
Ließ man in Bastion das isometrische Action-Adventure wiederaufleben, war in Transistors langsam sterbender Computerwelt ein tiefschürfendes Taktik-Actionsystem für Experimentierfreudige Dreh- und Angelpunkt. Pyre - das vielleicht am wenigsten beachtete, deshalb aber nicht schlechteste Spiel Supergiants - war dann ein Sportspiel, eine Art Unterwelt-NBA-Jam für Leute, die zu viele Fantasy-Romane gelesen haben. Und jetzt eben Hades, das sich nun mit dem brillanten Dead Cells den Roguelite-Thron teilt.
Tatsächlich wäre Dead Cells der naheliegendste Bezugspunkt, denn als Zagreus, Sohn des griechischen Königs der Toten, Hades, aus dessen gleichnamiger Unterwelt zu fliehen, ist eine streng Lauf-basierte Angelegenheit. Nur, dass der Platformer-Anteil aufgrund der Perspektive eben wegfällt. Stattdessen wird Hack-and-Slay-artig geprügelt. Strukturell aber sind große Ähnlichkeiten da, wenn ihr mit jedem Lauf ein bisschen besser werdet und neue Dinge freischaltet, mit denen ihr mit etwas Glück und Übung weiterkommt.
So sammelt ihr zum Beispiel Fertigkeitenpunkte, die ihr dann nach eurem Tod in euren Gemächern vor dem nächsten Run gegen Talentsteigerungen tauschen dürft. Mehr Schaden von hinten, Lebenspunktebonus bei Betreten eines neuen Raumes, mehr Ausweich-Sprints hintereinander, um nur einige frühe Beispiele zu nennen. Oder ihr schaltet mit verdienten Schlüsseln neue Waffen frei und kauft gegen gefundene Klunker neue Einrichtungsgegenstände, die nicht allein der Zierde dienen, sondern euch Zugang zu bestimmten Herausforderungen geben oder künftige Runs modifizieren. Man versucht also zwar im Grunde immer wieder dasselbe, fliehen nämlich, ganz von Anfang an, um neben den anderen Göttern auf dem Olymp Platz zu nehmen. Aber das Spiel verändert und entwickelt sich unentwegt, sodass man einen Bildschirmtod nicht nur als Strafe, sondern auch als Gelegenheit versteht.
Mehr Geschichte als ihr denkt
Vor allem ist es beachtlich, wie viel Charakter und Geschichten Supergiant in einem Spiel dieser Art zwischen die eigentliche Action packte. Es ist zwar sehr verlockend, sich wieder ins berauschende Schlachtengetümmel zu werfen, aber dann würde man die wundervoll antagonistischen Dialoge mit Herrn Papa verpassen, das herzerwärmende Vertrauensverhältnis zum Geist des Achilles nicht so schön weiterentwickeln und Ziehmutter Nyx nicht näher kennenlernen. Und das wäre schade, so schön lakonisch und mit Inbrunst hier alle Sprecher bei der Sache sind. Wer Roguelites wegen ihrer Story-Schwäche sonst mied, darf hierauf gern einen Blick werfen.
Aber ja, die eigentlichen Runs sind schon die Hauptattraktion hier: Lauf um Lauf prügelt ihr euch mit der Waffe und dem dazugehörigen Attacken-Repertoire eurer Wahl durch immer neu arrangierte Serien an Räumen, voller gut gemischter Mobs an Gegnern und perfektioniert dabei nach und nach eure Technik zur Mengenkontrolle und der schadlosen Bewegung durch die Hallen und Säle voller Stachel- und Selbstschussfallen. Bisweilen hat das Bullet-Hell-Charakter, was hier passiert, und es fühlt sich einfach glorreich an, wie schnell, wuchtig und gleichzeitig auf den Punkt sich das hier steuert, wenn man wie ein unantastbarer Derwisch durch die Reihen der Gegner tanzt, bis man mal wieder blinzeln musste, und doch einen Treffer abbekommt. Eine Meisterleistung in Sachen Handhabung und Feedback.
Besonders spannend ist die Skill-Lotterie, die Hades mit jedem Lauf aufs Neue veranstaltet. In jedem Raum gibt es am Ende eine Belohnung (die auf der Tür, durch die ihr ihn betretet, auch klar ausgewiesen ist, damit ihr euer Vorgehen planen könnt). Oft genug ist das eine neue Fertigkeitenspende eines der olympischen Götter, die drastische Auswirkungen auf eure Effektivität hat und die direkte Attacke, euer Special oder euer Projektil massiv aufwertet.
Die Schönhheit des Hades
Sie kommen sogar in unterschiedlichen Seltenheitsgraden daher, sodass immer ein wenig Kopfzerbrechen dabei ist: Nehme ich nun die 25 Prozent mehr Schaden für den Standardangriff, weil ich den am meisten benutze, oder das epische Upgrade für mein Projektil, das eher selten zum Einsatz kommt? Da jede Gottheit thematisch grundlegend anders angelegt ist, sind die Kombinationen und Übereinanderschichtungen von immer mehr Effekten irrsinnig mächtig und facettenreich. Jeder Lauf ist aufs Neue interessant, zumal auch die sechs verschiedenen Waffen sich sehr unterschiedlich spielen und Zagreus fast wie eine komplett andere Spielfigur wirken lassen. Richtig, richtig gut und motivierend.
Und weil Augen und Ohren bei Supergiant Spielen immer noch ein bisschen mehr mitspielen als bei anderen Indies, gibt sich auch Hades wieder wahnsinnig viel Mühe, stilistisch einzigartig daherzukommen. Darren Korb macht mal wieder die Musik, diesmal mehr in Richtung Pathos und mit unterschwelliger Finsternis. Die LSD-Progrock-Plattencover-Ästhetik wich einem Zeichentrick-Stil mit klarer, zielstrebiger Kante und starken Kontrasten, ein Look selbstbewusst wie sein Protagonist. Nichts sieht aus wie das hier, auch etwas, das sich Supergiant bewahrt hat. Ein solches Auge und Händchen muss man erst einmal beweisen - und das vier Mal hintereinander.
Vor der Switch-Version muss ich allerdings ein wenig warnen. Im Dock ist das Spiel ordentlich spielbar, wenngleich deutlich weniger scharf gezeichnet als auf PC. Auch die Bildrate stimmt und versucht, die meiste Zeit die 60 Bilder pro Sekunde zu halten. Aber im Handheld-Modus ist der Bildschirm einfach zu klein, um immer die Übersicht zu haben und die nicht gerade seltenen Textfenster sind nicht so leicht zu lesen. Wer kann, hält sich an die PC-Version. Alle anderen spielen auf der Switch lieber im Dock.
Hades Test - Fazit
Ich bin ziemlich sicher, auch Hades werden einige Spieler wegen des Roguelite-Aspekts erstmal kritisch gegenüberstehen. Aber Fakt ist, dass Zagreus und seine Riege an "Frenemies" auch in den steten Wiederholungen Hades' mehr Charakter und Geschichte beweisen als so manch anderer, generischer Held in einem Actionspiel mit klassischer Kampagnenprogression.
Hades ist einfach ein wahnsinnig rundes Spiel geworden, das auf seinen stabilen Actionspiel-Füßen eine erschreckend effiziente Machteskalationsmaschine erbaute. Wie zuverlässig Zagreus' Flucht aus der Unterwelt berauscht und zu neuen Heldentaten beflügelt, das lässt einen so schnell nicht wieder los. Ganz egal, wie oft man in einem Bosskampf seine Grenzen aufgezeigt bekommt, und sich anschließend ermattet, aber mit Lust auf den nächsten Lauf aus dem blutigen Whirlpool in Papas Thronsaal wieder erhebt.
- Entwickler / Publisher: Supergiant Games
- Plattformen: PC, Switch (getestet auf PC)
- Release-Datum: erhältlich
- Sprache: deutsche Texte, englische Sprachausgabe
- Preis: ca. 20 Euro, keine Mikrotransaktionen