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Happy Birthday, Rocket League!

Ein Jahr später immer noch das beste Fußballspiel.

Es kommt nicht oft vor, dass man das Bedürfnis hat, einem Spiel zum Jahrestag zu gratulieren. Rocket League ist so ein Kandidat, weil es in so vieler Hinsicht etwas ganz Besonderes ist. Es stellte auf den Kopf, wie man über Verkaufsmodelle denkt, über Mundpropaganda als Werbemaßnahme und über Plattformgrenzen. Und nicht zuletzt stellte es die Frage, ob man sich 20 Ausgaben FIFA oder PES über nicht eigentlich immer nach einem anderen Spiel gesehnt hatte.

Zum Release buchstäblich millionenfach an PS-Plus-Abonnenten verschenkt, leckten sich plötzlich Besitzer aller anderen Plattformen die Finger nach Rocket League, einem Spiel, das es eigentlich schon einmal gab - nur eben unter weniger handlichem Namen. Das hier war die vom Fleck weg turniertaugliche und auf puren Spielspaß und Geschicklichkeit heruntergekochte Version des Grundes, warum man eigentlich Fußball liebt. Ein Rund, zweimal das Eckige und ein Team auf jeder Feldseite. Dass sie rein zufällig noch einen Weg gefunden hatten, Raketen und Autos mit einzubauen, das ist die unwahrscheinliche Erdnussbutter-und-Schokolade-Fusion, von der man bisher nix wusste.

Keine gute Idee. Aber sooo befriedigend, diese Pressschläge.

Von dem Gedanken, dass Psyonix an den Zigmillionen Usern, die das Spiel kostenlos abgriffen, nichts verdiente, verabschiedete man sich flugs, als der auf der Konsole aufgebaute Hype schnell auf die kostenpflichtige und Cross-Play-fähige PC-Version und schließlich die Anfang 2016 erschienene Xbox-One-Ausgabe überschwappte. Ein faires Modell kosmetischer Mikrotransaktionen erledigte den Rest. Obwohl ein Großteil der Community das Spiel gar nicht bezahlte, verdiente das Studio unterm Strich wirklich gut an diesem taktischen Winkelzug.

Von über vier Millionen Verkäufen sprach Psyonix vor einem halben Jahr. Es spricht viel dafür, dass es seither so gut weiterging. Auf Steam ist es auf Platz acht der meistgespielten Spiele. Dabei ist der Hype der so lawinenartig erfolgreichen PS4-Version nur ein Teil der Wahrheit, warum das Spiel gefühlt so allgegenwärtig ist. Auch der beispielhafte Support vonseiten Psyonix' trug zu diesem perfekten Sturm anhaltender Popularität bei. Regelmäßige Updates halten das Spiel ungemein frisch und verändern die Formel in spannendem Maße, auch wenn der e-sportige Kern derselbe bleibt.

Die ewig gültige Mikrotransaktionen-Ausrede: Wenn man ein Spiel liebt, lässt man gerne mal ein Trinkgeld für digitale Güter springen. Bei Psyonix dürfte die Kasse deshalb ordentlich klingeln.

Mutatoren, die unter anderem Dinge wie die Gravitation beeinflussen, neue Arenen, Loot-Drops unterschiedlicher Seltenheitsgrade und nicht zuletzt Rocket Leagues Version von Basketball im Hoops-Update betonen, dass die Entwickler mit ihrem Werk genauso viel Spaß haben wollen wie ihre User. Es sind kleine, aber geniale Ideen, die die Bindung der Spieler an den Titel nur noch verstärken. Nicht nur in Sachen Zeitinvestition, sondern auch emotional. Das hier ist selbst für PS-Plus'ler kein hinterhergeworfener Freebie, sondern mittlerweile beinahe eine Lebensart.

Der Effekt der auf dem Dreingabenweg erzielten kritischen Spielermenge und der guten Unterstützung ist nicht zu unterschätzen, aber auch sie sind nicht alles. Ständig werden Spiele auf eine potenzielle Millionenschaft an PlayStation-Besitzer mit Abo losgelassen, zuletzt ein kompetenter Twin-Stick-Taktik-Shooter wie Dead Star. Aber sie lassen einen eben nicht diese instinktive Befriedigung verspüren, die selbst dann noch aufkommt, wenn man in Rocket League kein so gutes Spiel macht. Das funktioniert schon auf der Ebene, dass alleine die grundlegende Fortbewegung in den Arenen einen Spaß macht, den andere Titel in ihren besten Momenten nicht hergeben.

Es ist das vielleicht ausgefeilteste Physikmodell, das jemals alleiniger Gegenstand eines Spiels war, auch wenn es vordergründig ein Autoballkostüm trägt. Die Fahrzeuge in Rocket League haben Gewicht und Schwung, sind dabei arcadig genug, um auch Anfänger nicht zu überfordern. Der Prozess aber, Aerials zu meistern - ein Manöver, bei dem man den Raketenantrieb nutzt, um Bälle gezielt und fliegend in der Luft zu treffen -, ist selbst im Scheitern noch ein unglaubliches Gefühl. Und wenn dann eine Glanzparade zehn Meter über dem Boden oder ein Tor aus dem Sturzflug heraus gelingt, gibt es vor dem Fernseher kein Halten mehr. Ein Gefühl übrigens, das niemals alt wird, egal wie oft man trifft.

Klar, warum nicht?!

Vielleicht liegt es daran, dass keine Aktion im Spiel von Zahlenwerten und zu durchlaufenden Animationsphasen beeinflusst wird. Der Simulationsaspekt von Sportspielen nimmt dem Spieler etwas vom Einfluss über das Feldgeschehen und entfernt sich damit ein Stück weiter von ihm, als man eigentlich müsste. Das Ergebnis ist ein optisch authentischeres Fußballspiel, das Onkel, Tanten und Großeltern älteren Semesters im Vorbeigehen durchaus für eine Fernsehübertragung halten könnten. Das Einem-Ball-Nachjagen und Bis-aufs-Blut-Verteidigen in Rocket League fühlt sich mittlerweile aber irgendwie ehrlicher an. Ganz ohne Lizenzen, Superstars und - ja, ok - Beine. Es ist kein Fußballspiel und gleichzeitig das beste Fußballspiel, das ich jemals gespielt habe.

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Und noch etwas hat es Sportspielen voraus: Die Frage, wie es nach einem so spektakulären Jahr weitergehen kann, lässt sich nicht mit "der 20XXer-Version zwölf Monate später" beantworten. Nicht einmal an eine weiter entfernte Fortsetzung denkt man, wenn man als Spieler Bilanz über die Saison 2015/2016 zieht. Das hier ist die Sorte ewiger Liebling, die eigentlich keine und wenn, dann eine sehr späte Fortsetzung braucht. Formvollendet und doch Work-in-Progress. Wie Counter-Strike, Minecraft oder League of Legends. Wenn man mit diesen Dreien in einem Satz genannt wird, hat man sich ein Happy Birthday redlich verdient!

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