Hard West 2 – Test: Falls euch der Westen nicht wild genug ist
Gönnt euch einen Gin!
Tja, wer einen „Geisterzug“ ausraubt – in diesem Falle Gin Carter und seine Bande an Revolverhelden –, muss nun mal damit rechnen, dass es dort nicht mit rechten Dingen zugeht. Und so verwandelt sich der vermeintliche Geldtransport schon bald in ein gespenstisches Gefährt, das auf mechanischen Spinnenbeinen durch die Gegend kreucht und in dessen Innerem Kreaturen aus dem Reich der Mythen und Legenden ihr Unwesen treiben.
Der nicht ganz so schnöde Mammon
Geführt werden sie von einem buchstäblichen Teufel namens Mammon, der Carters Bande locker in Schach hält, sich aber trotzdem auf ein Pokerspiel mit dem Gangster einlässt – weil er genau weiß, dass er die Partie mit einem, nun, höllisch guten Cheat gewinnen würde. Als Preis verlangt er die Seelen von Carter samt seiner Begleiter, denen im letzten Augenblick aber die Flucht gelingt. Nur einer von ihnen bleibt zurück und so sinnen sie auf Rache, weshalb man daraufhin Mammons Spur aufnimmt, um den Teufel durch halb Nordamerika zu verfolgen.
Ganz ohne Folgen bleibt ihre Begegnung mit dem Teufel dabei auch für die Entkommenen nicht, denn sowohl Carter als auch seine Mitstreiter verfügen von da an über Fähigkeiten, die weit über das Schneller-Ziehen-als-ihr-Schatten hinausgehen. Mal ganz davon abgesehen, dass Carter ohnehin keinen Schatten mehr wirft. Ganz recht: Während das in Hard West 2 gezeigte amerikanische Grenzland dem Wilden Westen anderer Erzählungen grundsätzlich ähnlich ist, durchzieht es gleichzeitig eine Aura des Fantastischen, die sich vor allem beim Horror bedient und der Geschichte einen besonders düsteren Anstrich verleiht.
Bravo. Bravado!
Wobei die Fähigkeiten selbstverständlich auch in den rundentaktischen Gefechten eine große Rolle spielen, denn dort kann Carter plötzlich durch Wände schießen und seine Vertraute Lynn mit einem beliebigen Feind oder Freund die Position tauschen. Weitere Fähigkeiten erhalten die Charaktere, wenn man das Vertrauen zwischen ihnen und Carter stärkt und indem man ihnen bestimmte Pokerkarten in die Hand gibt. Zu beidem später mehr.
Grundsätzlich sind die Kämpfe dabei wie im Vorgänger stark von XCOM inspiriert, denn auch hier bewegt man die Gaunerhelden über rechteckige Felder, während unterschiedlich hohe Deckung etwas Schutz bietet. Man kann außerdem den Kopf einziehen, um zusätzlichen Schutz zu finden – es gibt jedoch kein Overwatch, sprich keine Möglichkeit, die Figuren so aufzustellen, dass sie anrückende Gegner automatisch attackieren. Im Vordergrund steht daher ein ebenso flottes wie offensives Vorgehen, bei dem das Kombinieren der Fähigkeiten verschiedenen Charaktere wichtiger ist als kurze Einzelaktionen und vorsichtiges Positionieren.
Die große Besonderheit in Hard West 2 ist nämlich das so genannte Bravado, was nichts anderes heißt, als dass der aktive Gangster einen kompletten weiteren Zug ausführen darf, falls er oder sie einen Gegner tötet – und zwar beliebig oft. Woraus man unverschämt lange Ketten basteln kann, wenn man es clever anstellt. Meist müssen dafür die anderen Mitstreiter die Gesundheit mehrerer Feinde so herunter schießen, dass man den gewählten Kombo-Kämpfer anschließend wie ein heißes Messer durch warme Butter zieht. Bei mir ist es Ureinwohner und Nahkämpfer Laughing Deer, den ich so ausgerüstet habe, dass er besonders weit laufen kann und mit hoher Wahrscheinlichkeit dann auch noch doppelten Schaden anrichtet.
Denn auch das ist eine Besonderheit: Zwar sind die Ergebnisse aller Aktionen klar vorherbestimmt, da Waffen immer die ihnen zugeschriebene Menge an Schaden anrichten. Gleichzeitig gibt es aber eine Wahrscheinlichkeit für kritische Treffer, die man durch bestimmte Ausrüstungsgegenstände und andere Aspekte der Charakterentwicklung erhöhen kann. Mein Laughing Deer trägt zum Beispiel ein Amulett, das diesen Wert deutlich steigert, und hat in seiner Kartenhand zwei Paare stecken, wodurch er ihn bei jedem Niederringen eines Gegner noch weiter erhöht. Wenn sich eine solche Planung in langen Bravado-Kombos niederschlägt, fühlt sich das natürlich klasse an!
Nicht zuletzt spielt das Glück noch eine andere, ganz buchstäbliche Rolle, denn ein weiterer, eben „Glück“ genannter Wert erhöht die Wahrscheinlichkeit, mit der man überhaupt erst einen Treffer landet. Ob man dieses Glück nutzt oder es lieber aufspart, legt man dabei selbst fest, wobei der Wert nach jeder Aktion nach oben geht, mit der man keinen Treffer landet. Er regeneriert sich damit quasi von selbst, sodass man in kniffligen Augenblicken fast immer die Möglichkeit hat, zumindest ein wenig Schaden anzurichten, anstatt sich hilflos zurückziehen zu müssen.
Nun ist es nicht gerade eine Stärke des Spiels, dass Feinde gerne direkt hinter den Protagonisten in Stellung gehen, ohne von dort auch nur einen einzigen Schuss abzufeuern. Und auch über ein paar eigenwillige Aspekte der Steuerung habe ich mitunter geflucht, bis ich sie endlich so weit intus hatte, dass ich nicht mehr ständig nur versehentlich irgendeine Aktion ausgelöst habe. Ich wünschte auch, man würde beim Beschleunigen nicht den gesamten Ablauf des Spiels um das Zwei- oder Vierfache erhöhen, sondern nur die Laufgeschwindigkeit der Figuren. Mit dem aktuellen System sieht das beschleunigte Spiel nämlich wie ein extrem nervöses und entsprechend albernes Zeitraffer aus.
Auf Missionsziele, die man innerhalb von Rundenlimits erreichen muss, hätte ich außerdem gerne verzichtet. Und weil man potentiell gefährliche Situationen nicht über kluges defensives Positionieren entgegenwirken kann, wird man schnell mal so überrascht, dass man schon auf dem normalen Schwierigkeitsgrad relativ häufig einen älteren Spielstand laden muss. Auch die selbstständig ein Ereignis fixierende Kamera würde ich gerne abschalten und das Drehen der Ansicht per Maus invertieren. Mit anderen Worten: An einigen Stellen wirkt Hard West 2 seltsam unausgegoren und kann mitunter sogar frustrierend sein.
An anderen Stellen finde ich es dafür klasse, dass vor jedem der letzten Züge automatisch ein Spielstand angelegt wird, was den kurzen Frustspitzen zum Glück die Zähne zieht. Abgesehen davon enthält das Taktieren Finessen, die das besondere Flair des ungewöhnlichen Westerns weiter unterstreichen. Dazu zählt das manuelle Hochklappen von Truhen, um zusätzliche Deckung zu schaffen, sowie die Möglichkeit, Kugeln von entsprechend markierten Objekten abprallen zu lassen, sodass man Feinde treffen kann, die sich eigentlich hinter einer Deckung befinden.
Volles Haus oder vier Gleiche?
Zu den Stärken zählt aber auch die Welt, in der man unterwegs ist, wenn Gin Carter & Co. gerade keinen Kampf austragen. Dann reisen sie nämlich frei in der Weltgeschichte umher, wo sie Saloons besuchen und auf abgelegenen Ranches Halt machen – alles aus der Vogelperspektive und in Textform, aber sehr stimmungsvoll vertont beziehungsweise eingesprochen. So holen sie beim Sheriff Informationen ein, besuchen Chirurgen zum Heilen der gesamten Bande, finden an verdorrte Bäume gefesselte Leichen oder geraten in einen Streit zwischen Ureinwohnern und Siedlern. Soll man die Leichen einfach plündern? Und auf wessen Seite stellt man sich, wenn zwei Parteien kurz davor sind, sich die Schädel einzuschlagen? Solche kleinen Geschichten prägen das erstaunlich umfangreiche Erkunden der aktuellen Umgebung und hat man alle oder zumindest alle wichtigen erledigt, reist man ins nächste Areal.
Selbstverständlich dient das Erkunden nicht nur der Atmosphäre, sondern auch dem Ausbau der Charaktere. Immerhin erhält man neben besseren Waffen und anderen Belohnungen auch die erwähnten Karten, von denen jede einzelne schon einen bestimmten Wert steigert, während eine Straße, zwei Paare, ein Full House oder andere Kombinationen neue Fähigkeiten verleihen oder vorhandene erweitern. Es ist also wichtig, die vorhandenen Karten möglichst effektiv auf die gewünschten Gangsterhelden zu verteilen. Schließlich wird Gins Trupp im Verlauf des Abenteuers auch größer, weshalb man sich entscheiden muss, wer überhaupt an seiner Seite kämpfen soll.
Zusätzliche Fertigkeiten erhalten die Kämpfer auch dann, wenn sie ihrem Boss stufenweise mehr Vertrauen schenken, was er ebenfalls in den vielen kleinen Geschichten erreicht. Dabei muss er sich allerdings stets für einen von gleich mehreren Lösungsvorschlägen entscheiden, also den Begleiter wählen, dessen Vertrauen ihm am wichtigsten ist. Und ein wenig schade ist es bei diesen Entscheidungen schon, dass es nicht um Sympathien, sondern lediglich den rein pragmatischen Nutzen einer Figur geht.
Ohnehin findet man auch beim Erkunden der großen Schauplätze ein paar Stolpersteine. Wenn man etwa keinen klaren Hinweis darauf erhält, dass die kommende Mission diejenige ist, mit der man das aktuelle Gebiet endgültig verlässt, lässt man mit ziemlicher Sicherheit Missionen zurück, die man eigentlich noch erledigen wollte. Dabei kann man ohnehin schon kaum im Kopf behalten, welche Aufgaben man noch erledigen musste, um Gegenstände zu erhalten, die man zum Lösen anderer Quests dringend braucht. Darüber wird nämlich nicht Buch geführt, was das Herumreiten immer wieder mal zu einem recht nervtötenden Suchspiel macht.
Hard West 2 – Test-Fazit
Es ist also nicht alles eitel Sonnenschein, weshalb ich beim Spielen mitunter ähnlich durch die Zähne gezischt habe wie die Akteure dreckiger Westernfilme. Alles in allem hatte ich allerdings viel Spaß mit Hard West 2, was vor allem an der flotten Rundentaktik liegt, die spätestens dann zündet, wenn man ein halbes Dutzend Gegner in einem Zug mit nur einem Charakter zur Strecke bringt. Abgesehen davon ist das Erkunden der großen Einsatzgebiete mit ihren vielen kleinen Geschichten und Entscheidungen nicht nur sehr stimmungsvoll, sondern auch spielerisch angenehm eng mit der cleveren Charakterentwicklung verzahnt. Falls ihr in Sachen XCOM-Ähnliche also auf der Suche nach Futter seid, könnte dieser seltsame Western genau das Richtige sein!